Eine Umbenennung als geschichtspolitische Umdeutung
Zu den Aufregern dieser Woche gehörte die Nachricht, dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) veranlasst hat, den bisher Bismarck-Saal genannten, großen Besprechungsraum im Auswärtigen Amt umzubenennen.
Schon seit Jahrzehnten ist die Benennung von Institutionen, ihren Häusern oder Räumen nach Persönlichkeiten aus der Geschichte Bestandteil der deutschen Erinnerungskultur. Die Absicht dahinter ist klar. Die Persönlichkeit soll geehrt und ihr Andenken bewahrt werden. Gleichzeitig stellen sich nachfolgende Generationen in die Tradition der betreffenden Persönlichkeit. Nicht selten wird eine Person der Geschichte aber auch instrumentalisiert für Zwecke der Tagespolitik.
Die Parteizentrale der CDU in Berlin heißt „Adenauerhaus“, die der SPD „Willy-Brandt-Haus“, um nur zwei weithin bekannte Einrichtungen zu nennen. In Bonn beispielsweise hieß aber die Parteizentrale der SPD seit 1975 „Erich-Ollenhauer-Haus“. Der mit dem Umzug von Bonn nach Berlin 1999 verbundene Namenswechsel hat, ohne weitere Beachtung zu finden, reibungslos funktioniert. Freilich ist Erich Ollenhauer, der sozialdemokratische Emigrant, unter dessen Vorsitz in der frühen Bundesrepublik die SPD im Godesberger Programm Abschied vom Sozialismus nahm, einmal mehr dem Vergessen anheimgefallen.
Bismarck bescherte Europa jahrzehntelang Frieden
Wenn wir nun erfahren, dass der Bismarck-Saal im Auswärtigen Amt umbenannt werden soll, hat das insofern einen Nachrichtenwert, weil in Ministerien offenbar auch heute noch an bedeutende Persönlichkeiten der deutschen Geschichte erinnert wird. Das Bundesministerium der Justiz richtete zum Beispiel einen Elisabeth-Selbert-Raum ein, in dem unter anderem in einer Vitrine ein Weinglas ausgestellt wird, das Elisabeth Selbert (SPD) gehört haben soll. Selbert hat 1948/49 im Parlamentarischen Rat am Grundgesetz mitgewirkt.
Als sie sich politisch in der eigenen Fraktion nicht durchsetzen konnte, mobilisierte sie die außerparlamentarische Öffentlichkeit mit Demonstrationen und brachte auch die Gewerkschaften in ihrem Sinne auf Trab. Die SPD verzieh es ihr nicht, und so erhielt sie zur ersten Bundestagswahl 1949 einen Wahlkreis, den sie nur verlieren konnte. Sie war nie Mitglied des Bundestages geworden.
Bei Neubezug des Auswärtigen Amtes erhielt ein Konferenzraum auch den Namen Otto von Bismarcks. Bismarck hatte noch während des Deutsch-Französischen Krieges am 18. Januar 1871 in Paris das Deutsche Reich ausgerufen. Doch das Auswärtige Amt wollte nicht so sehr den Reichsgründer ehren, sondern seine diplomatische Leistung würdigen.
Als Reichskanzler hatte Bismarck ein ausgeklügeltes Vertragsbündnis („Dreikaiserbündnis“, „Dreibund“ und „Rückversicherungsvertrag“) geschaffen, das über mehrere Jahrzehnte ganz Europa Frieden bescherte. Erst die diplomatische Zerschlagung der Bündnissysteme nach seiner Abdankung 1890 führte zum Ersten Weltkrieg.
Eine „Zeitenwende“ auch in der Geschichtsdeutung?
Wenn nun in unseren Zeiten, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als „Zeitenwende“ verstanden wissen will, der Bismarck-Saal umbenannt wird, dann darf man schon einmal laut darüber nachdenken, ob hierbei nicht auch das Auslöschen von Erinnerungen bezweckt und letztlich sogar eine Umdeutung der Geschichte beabsichtigt ist.
Sicherlich kann man nachvollziehen, dass die Ampelregierung in ihrer Erinnerungskultur auch mehr als bisher an Frauen erinnern will. Aber das ist hier im Auswärtigen Amt ja nicht einmal der Fall. Vielmehr soll der Raum, der zu DDR-Zeiten der Versammlungssaal des Politbüros der SED war, nun den Namen „Saal der Deutschen Einheit“ tragen.
So drängt sich der Eindruck auf, dass gezielt eine geschichtspolitische Umdeutung begünstigt werden soll, wenn man den Tagungsort des Politbüros auf diese Weise mit der Deutschen Einheit in Verbindung bringt. Man kann schon förmlich den Besucherdienst hören, der bei Besichtigung den Raum mit den Worten präsentiert: „Meine Damen und Herren! Jetzt sind wir im Saal der Deutschen Einheit, in dem während der ehemaligen DDR bis zum Jahre 1989 das Politbüro der SED tagte.“
Es ist vermutlich naiv zu glauben, dass die geschichtspolitischen Umdeutungen durch das Auslöschen von Erinnerungsorten mit der Umbenennung des Bismarck-Saales zu Ende seien.
Im Verkehrsministerium gibt es den Erich-Klausener-Saal. Klausener stemmte sich in seiner Zeit als Leiter der Polizeiabteilung im preußischen Innenministerium energisch gegen den Straßenterror der NSDAP. Als Mitglied im „Zentrum“, mehr noch aber als Leiter der „Katholischen Aktion“ Berlin wurde er rasch zum populären Katholikenführer, der sich öffentlich gegen die Rassen- und Kirchenpolitik der Hitler-Leute wandte, so zuletzt vor 60.000 Gläubigen auf dem Märkischen Katholikentag am 24. Juni 1934 in Berlin-Hoppegarten.
Nicht auszudenken, wie weitere Umbenennungen aussehen könnten
Die braunen Machthaber hatten ihn längst im Visier. Hitler befahl die gewaltsame Entmachtung der SA-Führung und die Ermordung unbequemer Regimekritiker („Röhm-Putsch“). Am 30. Juni drang ein Kommando der SS im Auftrag Reinhard Heydrichs in dessen Dienstzimmer im Reichsverkehrsministerium ein, SS-Hauptsturmführer Kurt Gildisch erschoss Klausener aus nächster Nähe.
Nicht auszudenken, wie dieser Saal benannt wird, wenn die Ampelkoalition gewillt ist, nicht mehr an die von den Nazis fälschlicherweise so genannte Niederschlagung des „Röhm-Putsches“ zu erinnern, und das nur, weil ausgerechnet ein bekennender Katholik von Hitler ermordet worden war.
Der jeweilige Bundesminister kann ohne Weiteres solche Namensänderungen auf dem Wege einer Weisung durchsetzen. Auch im Deutschen Bundestag sind die Gebäude – im Reichstagsgebäude einige Fraktionssitzungssäle – nach Persönlichkeiten benannt worden, die den jeweiligen Parteien wichtig sind. Hier wandert aber die Raumbenennung mit dem Umzug der Fraktionen zwischen zwei Wahlperioden in einen anderen Raum mit. Überaus erheiternd wäre es wohl, wenn beispielsweise die AfD-Fraktion plötzlich ihre Fraktionssitzungen im Rosa-Luxemburg-Saal durchführen müsste!
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