Kleine Reflexion über den Sinn des Weihnachtsfestes
Was ist Weihnachten? Die Verlockung ist groß, mit einer der zahllosen gängigen Phrasen zu antworten: das Fest der Lichter, das Fest des Schenkens, das Fest der Nächstenliebe, das Fest der Familie, der Freude und des Friedens. Auch wenn all diese Beschreibungen trotz ihrer Abgedroschenheit durchaus etwas Richtiges zum Ausdruck bringen, so verfehlen sie doch das Wesentliche. Denn Weihnachten ist nun einmal ein christliches Fest, und man wird daher seinen Sinn nicht erfassen können, ohne sich über das Wesen des Christentums klar zu werden.
Was also ist das Christentum? Auch hier gibt es die Neigung zu floskelhaften Antworten, die das wahre Wesen der Sache verdecken. Der Philosoph und Theologe Romano Guardini hat in einer Betrachtung über den „Sinn der Weihnachtsbotschaft“ ebenso treffend wie hart geschrieben, das Christentum sei „nicht die Religion der Nächstenliebe oder der Innerlichkeit oder der Persönlichkeit und was von dieser Art noch gesagt werden mag“. Um es einmal am Beispiel der Nächstenliebe festzumachen: Der Christ ist freilich aufgerufen, seinen Nächsten zu lieben. Die Quelle aber, aus der er diese Liebe schöpft, ist nicht er selbst, sondern Gott. Gottesliebe und Menschenliebe gehen Hand in Hand.
Dass jedoch der Mensch überhaupt Gott lieben kann, ist nicht selbstverständlich. Denn man kann nur lieben, was man kennt. Gott aber kennen wir nur, insofern Er sich aus freien Stücken zu erkennen gibt. Hierin liegt nun der Kern des Christentums: Gott offenbart sich dem Menschen, indem er selbst Menschennatur annimmt und in rettender Absicht in die von Sünde bestimmte Geschichte des Menschengeschlechts eintritt. Weihnachten ist nichts anderes als die Feier dieses geheimnisvoll großen, einzigartigen und alles umwälzenden Ereignisses: der Menschwerdung Gottes.
Welch ein Akt der absoluten Selbsterniedrigung
Doch Vorsicht. Wieder droht die Gefahr, dass unsere Sprache dieses einmalige Geschehen von unendlicher Tiefe verflacht. „Gott ist Mensch geworden“ – wie oft haben wir diese Wendung gedankenlos vernommen oder leichtfertig dahingesagt! Um zu begreifen, was dies wirklich bedeutet, hilft es, sich zunächst klarzumachen, was nicht gemeint ist. „Menschwerdung Gottes“ heißt nicht, dass Gott nur rein äußerlich Menschengestalt angenommen hätte, als sei das Menschsein eine Art Kleidungsstück, das sich überstreifen und wieder ausziehen lässt.
Nein, „Menschwerdung Gottes“ heißt, dass Gott, ohne Seine göttliche Natur abzulegen, zugleich die menschliche Natur in ihrer Gänze angenommen hat. Jesus ist daher ganz Mensch und ganz Gott, wie es die Kirche in der Lehre von der Doppelnatur Christi ausgedrückt hat.
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Welch ein Akt der absoluten Selbsterniedrigung! Der Selbstgenügsame schlechthin, der Vollkommene, der Seiner eigenen Schöpfung in keiner Hinsicht bedarf, der Herr über Leben und Tod, der alles, was Er erschaffen hat, in unendlicher Weise überragt – dieser Gott wird einer von uns. Er erblickt als kleiner, wehrloser Säugling das Licht der Welt.
Nichts Menschliches außer der Sünde bleibt Ihm im Laufe seines irdischen Lebens fremd. Der Gottmensch erfährt am eigenen Leib den bittersten Schmerz, die tiefste Verzweiflung und schließlich einen gewaltsamen und schmachvollen Tod, um Sühne zu leisten für unsere Schuld. All dies – die Verbindung zwischen Weihnachten und Karfreitag – gilt es mitzudenken, wenn von der Menschwerdung Gottes die Rede ist.
Gott lässt sich dazu herab, Mensch zu sein
Weihnachten heißt also: Gott lässt sich dazu herab, Mensch zu sein, in der Absicht, sich liebend für uns aufzuopfern. Wir stehen an Heiligabend vor der Paradoxie göttlicher Demut: Derjenige, der unendlich über alles erhaben ist, macht sich aus Liebe zu uns klein.
Er vollzieht dadurch zugleich die Umkehrung der Ursünde seiner Kreaturen: Der Fall der Engel resultierte aus dem Hochmut, das heißt der Anmaßung, ohne Gott vollkommen sein zu wollen. Seinen Nachahmer fand die Hoffart Luzifers im Verhalten Adams, der der Verlockung der Schlange erlag. Sie hatte seiner Frau Eva vorgelogen: „Ihr werdet wie Gott sein“ (Gen 3,5).
Diesem falschen Versprechen gehen wir auch heute noch massenhaft auf den Leim. Dass unser Dasein und unser Heil nicht in unserer Hand liegt, verdrängen wir. Und wo uns unsere eigene Endlichkeit zum Problem wird, flüchten wir uns in utopische Träumereien der technologischen oder politischen Selbsterlösung.
In Zeiten des „Pride Month“ sucht man vergeblich einen einzigen „Demutstag“. Die Demut ist es aber, die uns den Weg zu Gott weist. Ein weiteres, verheißungsvolles Paradox wartet hier auf uns, wenn wir uns auf die Weihnachtsbotschaft einlassen: „Factus est Deus homo, ut homo fieri Deus“, heißt es bei Augustinus: „Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott werde.“
Sie haben richtig gelesen: An Weihnachten wird uns nicht nur die Menschenwerdung Gottes, sondern auch zugleich die Aussicht auf die Vergöttlichung des Menschen verkündet. Zu erreichen ist sie aber nur auf dem Weg der göttlichen Logik der Demut: Nur wer sich vor Gott klein macht, wird an Seiner Größe teilhaben.
Kommentare
Weihnachten auf den Punkt gebracht. Besser geht's fast nicht es zu deuten.
@Enrico Thonet Dem kann ich mich nur anschließen.
Dem ganzen Autoren- und Corrigenda-Team wünsche ich frohe und gesegnete Weihnachten! 👋