Wie sinnvoll ist es, auf Online-Ratgeber zu hören?
Zugegeben: In meinem Bücherregal findet man Bücher, die Titel wie „Mindset: Die neue Psychologie des Erfolgs“, „Classy: Aufregende Tipps für die Lady von heute“ oder „Was französische Eltern besser machen“ tragen. Neben den großen Werken der klassischen Weltliteratur und Philosophie interessierten mich schon immer Sachbücher, die suggerierten, aus mir eine Frau von Welt, gut organisiert und erfolgreich machen zu können. Und wie ich finde, haben sie mir tatsächlich geholfen. Diese und ähnliche Bücher würde ich jeder jungen Frau empfehlen. Trotzdem sind fremde Ratschläge immer mit Vorsicht zu genießen, gerade die der Influencer und „Gurus“ in den sozialen Medien.
Heute kann jeder von sich behaupten, ein Experte für etwas zu sein: eine geschiedene Frau, die genau weiß, wie man sich gegen Manipulatoren und Narzissten wehrt, eine frischgebackene Mutter, die erklärt, wie man Kinder zu kreativen und selbstständigen Wesen werden lässt, ein muskulöser „Self-made-man“, der sich zu einem Produktivitäts-Guru stilisiert.
Selbstoptimierung ist zu einem blühenden Geschäft geworden
Das Problem dabei: die unpopulären Wahrheiten und faktenbasierten Erkenntnisse sind da eher selten zu finden. Dass beispielsweise die Schuld am Scheitern einer Beziehung nicht nur der „toxische“ Partner trägt, sondern man selbst auch eine Mitschuld haben kann oder dass die eigene Einstellung das eigentliche Problem bei der Partnersuche darstellt, anstatt die Schuld bei der ganzen Gesellschaft oder dem anderen Geschlecht zu suchen.
Zum einen ist die Selbstoptimierung zu einem blühenden Geschäft geworden, und zum anderen sind es Menschen heute gewöhnt, die eigenen Gefühle zum Maßstab aller Dinge zu machen. Kürzlich entdeckte ich auf Instagram das Profil einer Londoner Psychotherapeutin, Seerut K. Chawla heißt sie, die genau diese Trends und Narrative in der „Pop-Psychologie“ analysiert und in Frage stellt.
Ihrer Ansicht nach ist es heute eine Gefahr, so sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, dass man das Leben, das man zu leben hat, eigentlich verpasst. Der Sinn von Therapie und Psychologie sollte es sein, den Menschen zu helfen, im Leben aufzublühen, und nicht, einen Lebensstil zu entwickeln, der aus Selbstbesessenheit, Trauer, Opferrolle und zwanghafter Selbstanalyse besteht.
Ein Blick vom eigenen Vater genügt manchmal ...
Genau an diesem Punkt würden viele der gut gemeinten Online-Ratgeber scheitern. Populär seien Begriffe wie „inneres Kind“, „Heilungsreise“ oder „Grenzen“, die aber oft dazu ermutigen würden, egoistisch zu agieren, die eigenen Bedürfnisse immer zur ersten Priorität zu machen und keine Verantwortung im Leben zu übernehmen.
Der Kluge lernt von jedem, heißt es, und es ist gut, sich Ansichten und Erfahrungen von verschiedenen Menschen anzuhören. Nicht alle sind es aber wert, ungefiltert konsumiert zu werden. Man sollte auf diejenigen hören, die beruflich in ihrem Fach qualifiziert sind, ihre Behauptungen wissenschaftlich und faktisch belegen können und die im Leben als Vorbild dienen können. Nicht alles bekommt man in der eigenen Familie mit. Die Art, sich elegant zu kleiden, ein angenehmer Gesprächspartner zu sein oder Probleme zu kommunizieren, muss gelernt werden.
Die nötigen Wahrheiten für unser Leben sind jedoch nicht in populären Sachbüchern oder auf Instagram zu finden. Den einen unangenehmen, aber wichtigen Ratschlag, den man nicht hören will, hat für uns oft ein Familienmitglied oder ein langjähriger Freund bereit. Ein Blick vom eigenen Kind, Mutter oder Vater genügen manchmal, um zu verstehen, was man im Leben falsch macht. Letztendlich ist es die eigene Intuition und innere Stimme, die einem sagt, was es zu tun oder zu lassen gilt. Unabhängig davon, was der mediale Mainstream oder moderne Gurus davon halten würden.
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