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Kritik an „Männer-Studie“

Die Sehnsucht nach Schubladen-Denken und Klicks

Jeder Sonntag hat in Deutschland das Potenzial zum „kleinen Sommerloch“, wenn die Bedingungen es erlauben. Am vergangenen Sonntag passte alles, neben der Wettervorhersage (gute Aussichten) gab es nicht so viel zu berichten. Die Meldung der Funke-Mediengruppe über eine brandneue Männlichkeitsstudie kam da wie gerufen und fügte sich nicht nur in das sommerliche, sondern auch in das gesellschaftliche Klima.

Denn die im Auftrag der Organisation „Plan International“ erstellte Online-Befragung meinte herausgefunden zu haben, was sich hervorragend als Schlagzeile eignet: Jeder dritte Mann zwischen 18 und 35 Jahren in Deutschland soll partnerschaftliche Gewalt gegen Frauen akzeptabel finden. Donnerwetter! Rasch schrieb die Mehrheit der deutschen Medienlandschaft die schockierende Schlagzeile voneinander ab – zu einem Zeitpunkt, als keiner einzigen Redaktion die vermeintliche Studie vorlag. Kritische Einordnung oder eine Überprüfung, wie repräsentativ die Untersuchungsergebnisse tatsächlich sind? Fehlanzeige.

Während von der ARD-Tagesschau bis zur FAZ alle eifrig ihre Grafiken basteln und Frauen zu Hause ihre männlichen Angehörigen bis zur Zahl drei durchzählen lassen, kommen in den sozialen Netzwerken die ersten Zweifel auf. Soziologen, Statistiker, Wissenschaftsjournalisten und andere melden sich zu Wort; die Ergebnisse der Männlichkeitsstudie passen nicht zu dem, was andere Untersuchungen auf dem inzwischen gut beleuchteten Gebiet zutage gefördert haben. Fast jeder zweite Proband äußerte sich homophob, Aussagen zu sportlicher Betätigung oder Alkoholkonsum decken sich nicht mit den gut untersuchten Zahlen aus der sonstigen Forschung.

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Methodisch unsaubere Arbeit

Dass jeder dritte Mann kein Problem mit häuslicher Gewalt haben soll, deckt sich weder mit der Empirie des Alltages noch mit den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ganz ohne Ironie schreibt der Berliner Kurier: „Die Dimension der Akzeptanz von häuslicher Gewalt übersteigt alles, was zu erwarten gewesen wäre.“ Zu einer Überprüfung der Quelle führt das Erstaunen jedoch nicht. 

Als die Studie dann endlich öffentlich einsehbar ist, wird schnell klar, wie unsauber methodisch gearbeitet wurde. Zwar ist die befragte Gruppe mit knapp eintausend Probanden relativ klein, doch ist die Größe üblich für repräsentative Umfragen. Das Problem: Die Teilnehmer wurden über ein sogenanntes Online-Access-Panel befragt, können sich also ohne eine repräsentativ erfolgte Auswahl selbsttätig für eine Teilnahme entscheiden und zudem noch Freunden einen Einladungslink schicken.

Dieses eigentlich für die Marktforschung übliche Tool führt zu einer hohen Selbstselektion der Probanden, wodurch die am Ende befragte Gruppe sich teils erheblich von der Durchschnittsbevölkerung unterscheidet. Ein Rückschluss auf alle, nicht einmal auf die Mehrheit der deutschen 18- bis 35-jährigen Männer ist also kaum möglich. Dabei bleibt jeder einzelne Befürworter häuslicher Gewalt sicher einer zu viel, jedoch dürfen nicht ihre Altersgenossen in Mithaftung genommen und damit in Mitleidenschaft gezogen werden.

Misogyne Subkultur wurde befragt

Selbst „Plan International“ räumt in dem Abschnitt über die Methodik ein, dass man bei der gewählten Herangehensweise ein bestimmtes, unter anderem „computeraffines“ Milieu anspräche. Die Echokammer ist programmiert, und es ist nicht unklug, davon auszugehen, dass die vermeintliche Studie letztlich eher nicht repräsentative Probanden aus einer kleinen, misogynen und online vernetzten Community zum Mitmachen animierte ­– zumal das Abstimmen vergütet wurde. Somit stieß die Befragung wohl eher zufällig auf eine Subkultur, was zum vorsichtigen Genuss des Gesamtergebnisses einlädt. Schließlich tauchen neben methodischen auch noch theoretische Mängel auf – so wird beispielsweise die Freude an (sportlichen) Wettbewerben ganz nonchalant auf einen Beleg für „toxische Maskulinität“ zurückgeführt, dabei ist ein Wettbewerb insbesondere unter Jugendlichen, gerade unter männlichen, nicht per se schädlich. 

Der Medizinwissenschaftler Kai Schulze-Wundling von der London School of Economics, der der Misogynie gänzlich unverdächtig an der Gesundheit von Frauen (FemTech) forscht, bringt auf den Punkt, was kritische Beobachter empfinden: „In jedem halbwegs vernünftigen Seminar zur Sozialforschung werden regelmäßig methodisch bessere Hausarbeiten geschrieben. (…) Ich empfinde es als dreist, wie auf Basis dieser dünnen Datenlage ein Bild der ‘Männlichkeit’ in Deutschland konstruiert wird, denn die Headline müsste eigentlich sein: ‘900 Männer, die irgendwie in einem Online-Access-Panel gelandet sind, denken X über Männlichkeit’“.

Was in Gottes Namen also hat eine Vielzahl deutscher Medien dazu bewogen, so unkritisch mit einer Meldung umzugehen? Dem einzelnen Blogger oder einer kleinen Zeitung mag man vergeben, dass die Methodik hinter einer Studie, die auf manchen Plattformen inzwischen ­– wenn auch kleinlaut – zur „Online-Befragung“ degradiert wurde, nicht eingehend überprüft wurde. Selbst dann ist es ein journalistisches Unding, Schlagzeilen zu produzieren, bevor die Studie überhaupt vorlag. Immerhin ist in der Meldung durchaus eine Art Generalverdacht veranlagt. Haben gerade die großen Häuser nicht nach der „Causa Relotius“ gelobt, künftig gründlicher vorzugehen?

Misstrauen gegenüber Wissenschaft und Medien ist programmiert

Dem Thema „häusliche Gewalt“ jedenfalls haben manche dadurch einen regelrechten Bärendienst erwiesen. Wer unliebsame Erkenntnisse ausblenden möchte, der wird bei der nächsten Wissenschafts- oder Medienschelte – leider zu Recht – auf jenes Ereignis verweisen können. Gleichzeitig geht der einende Effekt einer sauber erarbeiteten Diskussionsgrundlage für die gesellschaftliche Debatte verloren – stattdessen bleibt von der „Plan International“-Studie nur die polarisierende Oberfläche, die Diskutanten nach Gutdünken wahlweise zum Spott oder zur Sturheit einlädt. 

Erklären kann man diesen medialen Unfall nur mit der dominanten Sehnsucht, die „richtigen“ Schlagzeilen zu produzieren. Eine Studie, die in jedem dritten Mann das Potenzial zum heimischen Gewalttäter erkannt haben will, war für die Anhänger von Patriarchat-Schubladendenken einfach zu verlockend, um sie nicht unter das Volk zu bringen. Für die Unpolitischeren unter den Medienschaffenden hat die Aussicht auf Klicks, Kasse und Kontroverse den Rest getan.

Mit dieser Einstellung allerdings werden gerade die öffentlich-rechtlichen Häuser die Sollbruchstellen in der Gesellschaft nur noch strapazieren, anstatt ­– wie in ihrem Bildungsauftrag vorgesehen – das Fundament für ehrliche Willensbildung zu stärken. Es ist bedauerlich, dass keine Korrekturmeldung die Wirkung dieser Anti-Männer-Falschmeldung einzuholen vermag – die Katze ist aus dem Sack. Es bleibt zu hoffen, dass sich in Anbetracht der Debatte um jene Online-Befragung die Mittel finden, um die Studie – diesmal als eine, die den Namen verdient – zu wiederholen. Jedem Opfer von häuslicher Gewalt, egal ob männlich oder weiblich, wäre damit gedient. Den Vorverurteilten sowieso.

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