Forever young?

Der Mensch hat schon immer nach einem Elixier der Langlebigkeit gesucht. Die Frage nach dem „ewigen Leben“ war der Menschheit inhärent. Die Langlebigkeit („Longevity“) entwickelt sich jedoch derzeit zu einem Megatrend, der von Milliardären finanziert und vorgelebt wird. Es geht nicht nur darum, möglichst lange und gesund zu leben, sondern auch möglichst jung auszusehen. Manche wollen sogar den Tod überwinden. Wie weit können wir mit den neuen Technologien kommen, und ist „Gott spielen“ überhaupt erstrebenswert?
Technische Methoden sollen helfen, alles zu überwachen und zu kontrollieren: Schlaf, Ernährung, Bewegung. Das Altern wird als Krankheit betrachtet, die es zu heilen gilt. Im Mikrokosmos der „Big Techs“ wird versucht, das Altern als eine Art Code zu „knacken“, während der Tod als dessen Folge gelöst werden kann. Peter Thiel, Mitgründer von PayPal und Big-Data-Analyst Palantir, hat Millionen in die Anti-Aging-Forschung gesteckt.
Thiel behauptet, es werde mit dem Einsatz leistungsstarker Computer möglich, „alle menschlichen Krankheiten auf die gleiche Weise zu beheben, wie wir die Fehler in einem Computerprogramm beheben können. Der Tod wird schließlich von einem Mysterium zu einem lösbaren Problem werden.“
Von Tolkiens Elben inspiriert
Thiel, der hofft, 120 Jahre alt zu werden, ist einer der experimentierfreudigsten Verfechter von Anti-Aging-Therapien. Es ist unklar, welche davon er selbst ausprobiert hat und welche Wirkung sie haben. Im Jahr 2016 erhielt das Silicon-Valley-Start-up Unity Biotechnology 116 Millionen Dollar von Investoren wie Thiel und Amazon-Gründer Jeff Bezos, um Therapien zu entwickeln, die alternde Zellen ausschalten.
Doch Thiel gibt sich damit nicht zufrieden und strebt nichts Geringeres als die Überwindung des Todes an. Das Buch „Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien und die ewig lebenden Elben sollen ihn dazu inspiriert haben. Er hat einen Vertrag mit der Firma „Alcor Life Extension Foundation“ (Motto: „Ein erfülltes Leben muss nicht enden“), wonach sein Körper nach seinem – vermeintlichen? – Tod eingefroren werden soll, um sein Gehirn und seinen Körper zu schützen, damit er bei einer zukünftigen technischen Weiterentwicklung „wiederbelebt“ werden könne.
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Ein weiterer reicher Mann aus den USA, der mit seinen Verjüngungsmethoden zunehmend für Schlagzeilen sorgt, ist Bryan Johnson. Er wurde kürzlich durch die Netflix-Dokumentarserie „Don’t die“ bekannt, in der er seine Vision vom Nicht-Altern und Nicht-Sterben mit Hilfe neuer Technologien und der Unterstützung von KI vorstellt. Der 47-jährige Unternehmer treibt das Streben nach Jugendlichkeit und Gesundheit zu neuen Höhen: Dem Vernehmen nach gibt er über zwei Millionen Dollar pro Jahr für seine Gesundheit aus, schluckt angeblich über 100 Pillen pro Tag und beschäftigt für sein Verjüngungsprogramm über 30 Mitarbeiter.
Dem Tod auf den Leim gegangen
Er sieht dies nicht nur als seinen persönlichen Lebensstil, sondern auch als „die nächste große globale Ideologie“, wie er auf seinen sozialen Medien erklärt. Er will seinen Plan nicht nur individuell anwenden, sondern ihn auch auf „jedes System – Schulen, Regierung und Unternehmen“ – ausweiten. Fast zwei Millionen Menschen folgen dem Mann auf Instagram, und das ist nicht verwunderlich, denn sein Lebensstil und seine Ideen wecken Interesse.
„Biohacking“, was übersetzt so viel heißt wie „das eigene Leben in die Hand nehmen“, ist ein populärer Trend, den Johnson propagiert: Menschen sollen ihre Gesundheit, ihre Leistungsfähigkeit und ihr Aussehen durch ideale Ernährung, Schlafqualität und körperliche Fitness optimieren. Ein guter und legitimer Wunsch, doch Johnson erklärt ihn zum Selbstzweck, und mehr noch: zur Pseudoreligion. Wie Thiel zieht er einen „Herrn der Ringe“-Vergleich heran: So wie sich die Menschen, Zwerge und Elben zusammenschließen müssen, um Sauron zu besiegen, müssten sich alle Religionen, Völker und Nationen zusammenschließen, um den Feind zu besiegen – den Tod.
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Und damit dürften sie dem Tod auf den Leim gegangen sein. Denn man ist Sklave dessen, den man fürchtet. Wirklich frei ist der Mensch erst, wenn er keine Angst mehr vor dem Tod hat. Jede große Heldenerzählung beruht darauf, dass einer sein Leben für etwas Großes riskiert. Johnson & Co. aber fürchten den Tod so sehr, dass ihre Angst vor ihm, ja schon vor schlechten Bio-Werten, ihr Leben bestimmt. Wir haben erst unlängst in der Corona-Pandemie erlebt, wohin das führen kann: zu einer unkritischen Hinnahme massiver Freiheitseinschränkungen aus Furcht vor einer Erkrankung.
Die christliche Lehre wird nicht mehr verstanden
Thiel argumentiert dabei deutlich klüger als Johnson. Er verweist darauf, dass der Tod eine Folge der Sünde ist: „Dead is evil“. Nach christlichem Verständnis ist der Tod aber böse, weil er uns von Gott trennt, und nicht, weil er unser irdisches Leben verkürzt.
Was die beiden aber zeigen, ist, dass die klassischen christlichen Erklärungen des Todes nicht mehr verstanden werden. Sowohl Thiel als auch Johnson verwenden eine religiöse Erzählung, um ihre Träume von ewiger Jugend und Langlebigkeit zu beschreiben. Johnson ist ein dreifacher Familienvater, der in einer Mormonenfamilie aufwuchs, aber später aus der Kirche austrat. Thiel bezeichnet sich als gläubigen Christen und baut sogar die Ablehnung des Todes auf einem theologischen Narrativ. Thiel wurde evangelisch erzogen, seine Überzeugungen sind jedoch „etwas heterodox“.
Diese Ansätze könnten ein Gegenstand langer Diskussionen und wissenschaftlicher Arbeiten werden. Belassen wir es hier dabei, dass es mittlerweile ein post-christliches und auch nicht-christliches Denken zum Tod gibt, während das ja bislang von den Agnostikern gemieden wurde.
Ohne Rückgriff auf die christliche Lehre bietet sich der nüchterne Blick als Mittel der Kritik gegen den Selbstoptimierungswahn an, am besten formuliert von einem X-Nutzer, der behauptete, dass Johnson „viel besser aussah, bevor er anfing, zwei Millionen Dollar pro Jahr für seinen Körper auszugeben“.
Der Tweet erreichte viel Aufmerksamheit, nachdem Elon Musk ihm öffentlich zugestimmt hatte. Ich kann dem Nutzer beipflichten: Bryan Johnson sieht vielleicht ein paar Jahre jünger aus, ähnelt aber mit seiner künstlichen Ausstrahlung, der blassen Haut und den gefärbten Haaren zunehmend einer KI-Puppe.
Ähnlich wie Thiel: Schlussendlich sieht man zwei Männer, die auf ihre Weise gegen eine Midlife-Krise kämpfen. Es ist sicherlich gut und sinnvoll, seinen Körper zu pflegen und an der „besten Version seiner selbst“ zu arbeiten. Vieles davon, was dem Menschen guttut, ist aber seit Jahren konstant und keine Wissenschaft: die Natur, gute Ernährung, Sport und Sonnenschein in Maßen.
Was den Selbstoptimierern fehlt
Es sind aber auch andere Dinge, die im strengen Programm der Selbstoptimierer nicht stattfinden – Sorglosigkeit, Spaß, Leidenschaft, die Fleischmahlzeit und das Glas Wein dazu, Gottvertrauen, Zeit mit Kindern und Enkelkindern oder engen Freunden, Verantwortungsbewusstsein und zuvörderst eine glückliche und liebevolle Beziehung. Und natürlich ist vieles von unseren eigenen Genen vorgegeben, es ist Schicksal und Gnade.
Kurzum, ich glaube, dass ein Mann, der neben seiner Frau und seinen kleinen Kindern einschläft, glücklicher und gesünder ist als ein Bryan Johnson, der durch etliche Geräte die Qualität seines Schlafes messen muss. Das bedeutet nicht, dass Innovation in Biologie, Gesundheit und Schönheit nicht erstrebenswert ist. Das Leben soll jedoch zuerst gelebt und erfüllt sein, bevor man es für immer verlängern will.
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Kommentare
„Der Tod ist ein Skandal.
Aber ein Leben ohne Tod ist auch ein Skandal.“
Der Philosoph Byung-Chul Han
Theodor Fontane hilft aus dieser Klemme:
„Leben – Wohl dem, dem es spendet
Freude, Kinder, täglich Brot,
Doch das Beste, was es sendet,
Ist das Wissen, daß es endet,
Ist der Ausgang, ist der Tod.“
ich bin jetzt im Seniorenalter und denke, in 20 Jahren wird das ganze langweilig, also das ist nicht erstrebenswert
Bravo, Madame!
Ein sehr schöner und treffender Artikel von Ihnen.
Mögen Sie weiter so kluge Texte schreiben und den weltlichen Versuchungen trotzen, die es im Leben so gibt.
Die entscheidende Frage des menschlichen Daseins auf Erden bleibt aber wahrscheinlich auf ewig unbeantwortet: Ist die Lust am Leben und das Leben in Lust mit der Liebe und Sehnsucht nach seelischer Reinheit menschlich erreichbar, um also in der Quadratur dieses Kreises das ewige Leben zu erzielen?
Wish you luck!
Gruß aus HH (früher BXL)
Hartwig Benzler