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ängstlich, schlafgestört, depressiv

Immer anderswo, immer in Angst

Es hat nicht erst mit diesem „Ding in der Hand“ begonnen. Lange vor der Smartphone-Ära stellte Max Frisch in seinem im Jahr 1954 veröffentlichten Roman „Stiller“ fest, wir seien „Fernseher, Fernhörer, Fernwisser“. Hätten wir doch das Allermeiste, was unser Weltbild konstituiert, nicht mit eigenen Augen erfahren, seien nie an Ort und Stelle gewesen: „Man braucht dieses Städtchen nie verlassen zu haben, um den Schah von Persien aus drei Meter Entfernung zu kennen und zu wissen, wie der Monsun über den Himalaya heult oder wie es tausend Meter unter dem Meeresspiegel aussieht.“ Der Blick geht also immer in ein Anderswo.

Für die Vertreter der sogenannten Generation Z, also all derjenigen, die nach 1995 geboren wurden, ist das längst ein Lebensgefühl. Das Hier spielt kaum eine Rolle; der Ort, an dem man sich gerade befindet, ist ein „Unort“, ist also da, wo man nicht sein will, und nur insofern relevant, als dass von ihm aus via Smartphone in ein Anderswo aufgebrochen wird. Dorthin, wo Influencer und Superstars wohnen, wo manipulative Nachrichten und superrealistische Fake-Fotos gang und gäbe sind, ebenso Online-Pranger, Online-Shaming, Gewalt und Pornografie.

Ein äußerst verwirrender Kosmos, gerade für Heranwachsende. Und daher im Grunde gänzlich ungeeignet. Kein Wunder also, dass sich die sogenannte Gen Z in einem besorgniserregenden Zustand befindet.

Digitalisierung macht psychisch krank

Jonathan Haidt spricht von der „Generation Angst“ – so lautet auch der Titel seines nun auf Deutsch erschienenen Bestsellers. Der Professor an der New York University Stern School of Business gehört zu den einflussreichsten Psychologen der heutigen Zeit und legt dezidiert dar, dass die Digitalisierung zu einer veritablen Krise der psychischen Gesundheit geführt hat. 

Die nicht nur, aber vor allem die Gen Z betrifft. Denn sie sei, so Haidt, „unbestritten die allererste Generation, die ihre Pubertät mit einem Portal in der Tasche durchlebte, das sie fort von den Menschen um sie herum in ein alternatives Universum rief“. Um dort sozial erfolgreich zu sein, müssten sie diesem Universum einen Großteil ihrer bewussten Aufmerksamkeit widmen, am besten rund um die Uhr. Die rund vierzig Stunden, die ein durchschnittlicher Jugendlicher derzeit am Smartphone verbringt, gleicht einem Vollzeitjob. Dazu kommt, dass auch offline ein Teil der Aufmerksamkeit in der virtuellen Sphäre gebunden bleibt.

Haidt spricht von dem „größten Experiment, das je an der Menschheit vorgenommen wurde“, und meint es freilich alles andere als anerkennend. „Diese schnellste Neuverdrahtung von Beziehungen und Bewusstsein in der menschlichen Geschichte hat es uns allen erschwert, zu denken, uns zu konzentrieren, uns selbst soweit zu vergessen, dass wir uns um andere kümmern, und enge Bindungen aufzubauen“, erläutert der Autor. Dabei macht es freilich einen Unterschied, ob man erlebt hat, wie es „ohne“ gewesen ist, also ob man eine spielebasierte Kindheit hatte oder smartphonebasiert aufgewachsen ist, wie eben die Generation Z.

Apps werden entwickelt, um abhängig zu machen

Dass sie so ängstlich, schlafgestört, depressiv, selbstverletzend und suizidal ist wie keine Generation vor ihr, lässt sich vielleicht auch anders erklären – doch was wäre noch plausibel? Für Haidt gibt es keinen Zweifel, zu offensichtlich sind die Zusammenhänge. 

Die psychische Krise hielt Anfang der 2010er-Jahre unter Kindern und Jugendlichen Einzug, just als die Nutzung von Smartphones in Kombination mit sozialen Netzwerken rasant anstieg. Seither ist keine Erleichterung eingetreten, im Gegenteil. Die Unternehmen setzen weiterhin alles dran, um abhängig machende Apps zu entwickeln. Sie würden, so Haidt, ihre Nutzer in den sensibelsten Jahren ihrer zerebralen Neuverdrahtung wie Ratten konditionieren.

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Weiteres Problem: Helikopter-Eltern

Der digitale Dauerbeschuss ist belastend genug. Doch zusätzlich, auch das zeigt Haidt auf, macht immer mehr Kindern und Jugendlichen zu schaffen, dass sie mit Helikopter-Eltern aufwachsen, die beständig wachend über ihnen kreisen und möglichst alle Gefahren aus dem Weg räumen. Der Ausbau sogenannter „Safety-Zonen“ ist längst derart vorangeschritten, dass Kinder in ihrer natürlichen Entwicklung sabotiert werden. 

Ihnen wird vermittelt, dass die Welt kein sicherer Ort sei; das Gefühl der Ängstlichkeit verstärkt sich nur noch weiter. Statt sich selbst auszuprobieren und eigene Grenzen auszuloten, also in den „Entdeckungsmodus“ zu schalten, verharren sie im vorsichtigen „Verteidigungsmodus“.

Der digitale Kick muss her

Das setzt einen fatalen Mechanismus in Gang: Im realen Leben warten keine Abenteuer mehr, weil man sich ihnen gar nicht erst aussetzen darf, umso dringender braucht es den digitalen Kick. Wie gefährlich das werden kann, haben Eltern wiederum meistens gar nicht auf dem Schirm. Obwohl viele sich sorgen, ihr Kind könnte von einem Sexualstraftäter überfallen werden, berücksichtigen sie zu wenig, dass Sexualverbrecher heutzutage den größten Teil ihrer Zeit in der virtuellen Welt verbringen und von dort aus in Kontakt mit Kindern treten. Sexuelle Inhalte sind überdies für Minderjährige oft ohne Hindernisse zugänglich. 

Haidt nennt das Beispiel einer Vierzehnjährigen, die sich zum ersten Mal im Alter von zehn Jahren Onlinepornos anschaute, während ihre Mutter nebenan damit beschäftigt war, sich um die gesunde Ernährung der Tochter zu sorgen, indem sie Früchte und Gemüse penibel nach unterschiedlicher Farbe sortierte.

In der realen Welt zu sehr, online zu wenig beschützt

Paradox: Kinder werden in der realen Welt zu sehr, online aber zu wenig beschützt. Dabei wäre richtig und wichtig, sie im realen Leben wesentlich weniger zu kontrollieren und ihnen mehr Räume für unbeaufsichtigtes Spielen und Ausprobieren ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen, vor allem im Freien, sie hingegen der virtuellen Welt erstmal gar nicht zu überlassen. Haidt will Smartphones zwar nicht völlig verbannen, schlägt aber vor: Kein Smartphone vor der neunten Klasse, keine sozialen Medien vor dem 16. Lebensjahr. Das mag vielleicht unrealistisch klingen, aber es ist letztlich nur eine Frage, inwiefern wir bereit sind, uns darauf einzulassen. 

Eltern, Schulen und Politik sind gleichermaßen gefragt, um den Wandel voranzubringen. Uns und vor allem den Kindern zuliebe. So bedrohlich Digitalität auch ist, sie ist keine Naturkatastrophe, der wir hilflos gegenüberstehen müssen.

 

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Andreas Graf
Vor 2 Monate

Generation Z = Generation doof. Das Smartphone ist wie eine Droge und mach abhängig. Genauso wie Kokain paralysiert das Smartphone das Gehirn. Die Kindererziehung mit Smartphone ist nicht gerade verantwortungsvoll. Noch Fragen?

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Andreas Graf
Vor 2 Monate

Generation Z = Generation doof. Das Smartphone ist wie eine Droge und mach abhängig. Genauso wie Kokain paralysiert das Smartphone das Gehirn. Die Kindererziehung mit Smartphone ist nicht gerade verantwortungsvoll. Noch Fragen?