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Israel, USA und linkes Weltbild

Wie mich junge Antiimperialisten politisierten

Die antiimperialistische, antiamerikanistische und antisemitische Fratze von „Fridays for Future“-Aktivisten, Künstlern, Instagrammern, Medienmenschen und Migrantenkids der zweiten, dritten Generation, die seit dem 7. Oktober selbstbewusst aus dem Halbdunkeln hervortritt, sorgt bei vielen Bürgern für Verwunderung.

Warum scheren sich Klimaschützer, die sonst für CO2-Reduzierung auf die Straße gehen, für „Free Palestine“? Welche Gefühle wurden in Madeleine Darya Alizadeh – besser bekannt unter „dariadaria“–, der Gründerin einer nachhaltigen Modemarke wachgerufen, dass sie sich anscheinend verpflichtet fühlt, mehrere Instagram-Beiträge über den Krieg in Nahost zu posten? Das zwar durchaus differenziert, aber das antizionistische, pro-palästinensische und intersektionale Narrativ à la „der imperialistische jüdische Staat unterdrückt die Palästinenserschimmert doch durch, wenn sie sich zum Beispiel über einen NZZ-Kommentar der Schriftstellerin Mirna Funk aufregt, in dem diese kritisiert, die Palästinenser gerierten sich als Opfer.

Die teils in Berlin, teils in Tel Aviv lebende Kolumnistin und Vaterjüdin sei laut der Nachhaltigkeitsbloggerin Alizadeh „keine relevante, sachliche und fundierte Quelle für Einschätzungen“, was die Lage in Israel angehe. Denn, so schrieb die Wienerin am 18. Oktober: „In nur zehn Tagen wurden 4.200 Menschen getötet und über eine Million vertrieben“. Darunter drei Clown-Smileys.

Zankapfel 2003: USA-Krieg gegen Irak-Regime

Mich überraschen diese ans Tageslicht gelangten Haltungen überhaupt nicht. Sie wecken Erinnerungen an meine eigene Politisierung: Die Stunde meines „Woke“-Werdens, meines politischen Erwachens erfolgte 2003, im Zusammenhang mit den Ereignissen nach dem Anschlag von 9/11. Im März 2003 begannen die USA mit Großbritannien an ihrer Seite den Irakkrieg mit dem Ziel, den damaligen irakischen Diktator Saddam Hussein zu stürzen.

Diesen Umstand nahm mein Religionslehrer zum Anlass, darüber zu sprechen, ob es einen gerechten Krieg gebe. Der allgemeine Tenor der pazifistischen Klassenkollegen lautete: Krieg ist per se schlecht und in allen Fällen abzulehnen. „Einer gegen alle“ übte auf mich schon immer einen Reiz aus und so konnte ich mit meiner Meinung nicht länger hinter dem Berg halten. Ich verteidigte den Einmarsch der US-Armee im Irak. Die Befreiung eines Landes von einem Diktator, der während eines Massakers 150 Schiiten töten, Hunderttausende irakische Bürger foltern und zwischen 50.000 und 100.000 Kurden niedermetzeln ließ, erschien mir gerechtfertigt.

Meine konträre Ansicht sorgte für Empörung unter den Klassenkollegen. Wie kann man nur für Krieg eintreten? Außerdem ginge es den Amis nicht um eine selbstlose Tat, sondern die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen, zum Beispiel Öl aus dem Irak zu bekommen. Überhaupt: Warum müssten die USA immer Weltpolizei spielen?

Die „ böse Weltpolizei“ befreite Deutschland von den Nazis

Der Religionslehrer stellte daraufhin die Frage in den Raum, ob der Zweck die Mittel heilige. Um den Zweiten Weltkrieg zu beenden, habe es auch nicht gereicht, wenn die Alliierten an Hitlers Büro klopften und ihn um Frieden anflehten, lautete mein Einwand. Das Nazi-Regime konnte nur mit Gewehren und Bomben besiegt werden. Wir könnten nur froh sein, dass die „Weltpolizei“ und ihre westlichen Verbündeten 1945 die KZ-Häftlinge befreiten, die deutsche Bevölkerung über die Grauen der Konzentrationslager aufklärte und von 1946 bis 1960 die hungernde Bevölkerung mit über zehn Millionen CARE-Paketen versorgte.

Mit Politik hatte ich zu der Zeit wenig am Hut. Doch meine Argumente für den Irakkrieg und die USA erschienen mir damals – im zarten Alter von 13 Jahren – einleuchtend. Heute sehe ich den Einmarsch der Amerikaner im Irak und den damit einhergehenden Glauben an ein „nation building“ und an die Demokratisierung der arabischen Welt differenzierter.

Für mich war dies lediglich eine Diskussion, ein Meinungsaustausch. Deshalb verwunderten mich die verärgerten Reaktionen meiner Mitschüler. Einer warf mir in der Pause nach der Religionsstunde einen verächtlichen Blick zu und meinte, er sei „sauer“ auf mich. Eine andere, sensible Seele fing gar zu weinen an. Sie konnte einfach nicht verstehen, wie ich Krieg und Gewalt rechtfertigen könne.

Mit „Fuck Bush, fuck Blair“-Aufklebern gegen den Imperialismus

Zwei, drei Klassenkollegen, darunter eine, die sich an der Irakkrieg-Diskussion beteiligte, sympathisierten mit der Sozialistischen Jugend (SJ), einer österreichischen Jugendorganisation, die den Sozialdemokraten nahesteht. Den Klassenraum tapezierten sie mit Werbeplakaten für den Fackelzug der SJ, der traditionell am Vorabend zum ersten Mai stattfindet. Die Plakate zeigten einen Haifisch mit spitzen Zähnen, aus dessen Maul ein nach rechts gerichteter Stiefel kam. „Den Rechten die Zähne zeigen“ stand als Slogan darüber.

Ich stand vor dem Poster und sinnierte darüber, wer oder was „die Rechten“ seien. Zu einer Lösung kam ich damals nicht. Ich weiß aber, dass das schwarz-rote Plakat für mich Aggression und Rohheit ausstrahlte und in mir kein gutes Gefühl hinterließ.

Der Irakkrieg beschäftigte einige politisierte Schüler noch länger. Überall klebten sie Sticker auf mit der Aufschrift „Fuck Bush, fuck Blair“. Die Schülerin – sie ist später Künstlerin geworden –, die ich mit meiner Ansicht bezüglich des Irakkriegs zum Weinen gebracht hatte, kam mit einer bunten „Peace“-Flagge zur Schule, die sie als Rock umfunktioniert hatte. Sie war es auch, die in den Tagen nach der hitzigen Debatte eine Hose mit kleinen, aufgedruckten USA-Flaggen trug – was ich ob ihrer Haltung zur USA als heuchlerisch empfand.

Jungsozialisten und Muslime gegen USA

Im Juni 2006 gingen dieselben Kollegen auf die Anti-Bush- Demonstration, die aufgrund der Teilnahme des US-Präsidenten George W. Bush an dem EU/USA-Gipfel in Wien stattfand. Mit dabei war die Aktivistengruppe „Resistance for Peace“, die sich für Menschenrechte, Tierrechte und Umweltschutz einsetzte. Die Gruppierung löste sich 2014 auf.

Unterstützt wurde die Demonstration von den üblichen linken und muslimischen Verdächtigen: der Initiative Muslimischer ÖsterreicherInnen, der irakischen Gemeinde, der Muslimischen Jugend Österreich, der Österreich-Arabischen Union, der Kommunistischen Partei Österreichs, der Grünen Wien und der Sozialistischen Jugend – um einige zu nennen.

Die Sozialistische Jugend des Bundeslands Vorarlberg riefen Ende Oktober 2023 zu der Demo „Freiheit für Palästina“ auf. Man wolle „gegen die Unterstützung Österreichs bei der Vertreibung und Unterdrückung der Bevölkerung Palästinas durch den israelischen Staatsapparat“ protestieren. Die Kundgebung wurde von der Polizei frühzeitig beendet. Wegen kritischer Social-Media-Posts „für die Verteidigung von Gaza“ droht den Vorsitzenden des SJ Vorarlberg nun der Ausschluss. Die SJ Österreich und die SPÖ Vorarlberg distanzierten sich von dem Beitrag.

Alle Narrative vereint im linken Weltbild

Nein, das antizionistische, antiimperialistische und antiamerikanistische Bollwerk unserer Tage ist kein neues, überraschendes Phänomen. Wo Antikapitalismus ist, ist meist auch Antiimperialismus nicht weit. Antiimperialismus geht oft mit einer antizionistischen, pro-palästinensischen Haltung einher und mündet in der Intersektionalität, weil all diese Narrative das gleiche, linke Weltbild zur Grundlage haben, das trotz der vielleicht hehren Absichten nie zu etwas Gutem führt.

Wer das nicht glauben will oder kann, ist naiv. Die verträumte, oft passive Mehrheit täte gut daran, aus ihrem politischen und weltanschaulichen Schlaf zu entsteigen. Denn der Schrecken beim Aufwachen wird umso größer, je länger man schläft.

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Kommentare

Kommentar
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gerald antal gamauf
Vor 1 Jahr

bravo, Du 'eine gegen alle'

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gerald antal gamauf
Vor 1 Jahr

bravo, Du 'eine gegen alle'