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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Väter als bloße Samenspender

Wer ist das Opfer einer Abtreibung? Das Kind, das nicht zur Welt kommen durfte natürlich. Oft genug auch die Mutter, weil sie das vielleicht gar nicht wirklich wollte und Opfer der Umstände wurde. Aber einer zählt mit Sicherheit nicht dazu: Der männliche Erzeuger. Den betrifft das Ganze gar nicht, und deshalb hat er sich auch nicht dazu zu äußern.

Das ist die Aussage eines aktuellen Urteils der höchsten juristischen Instanz in der Schweiz, des Bundesgerichts. Auch wenn es dort natürlich nicht so steht, sondern hinter vielen Paragrafen und langatmigen Ausführungen versteckt ist.

Worin die „schwere seelische Notlage“ bestand, wurde nicht bekannt

Es geht um einen Fall, der fast zwei Jahre zurückliegt. Im Kanton Freiburg entschied sich eine Frau für eine Abtreibung. Schwanger war sie damals etwa in der 15. oder 16. Woche. Erlaubt ist der Abbruch in der Schweiz nur bis zur 12. Woche. Aber Strafgesetzbücher sind berühmt für die Formulierung von Ausnahmen. Hier heißt sie: Es geht auch später straffrei – wenn „besondere Bedingungen“ vorliegen. Dazu zählen beispielsweise Notfälle.

Der Laie denkt in diesem Zusammenhang dabei wohl als erstes an das Szenario, dass das Leben der Frau durch die Schwangerschaft akut gefährdet ist. Das war es hier nicht. Aber laut den Ärzten lag eine „schwere seelische Notlage“ vor. Worin diese genau bestand, ist nicht bekannt.

Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein

Nun war die Frau wie in allen dokumentierten Fällen in der Menschheitsgeschichte nicht von allein schwanger geworden. Es gab auch einen Vater in spe. Dieser zeigte die Frau an. Er sei durch die späte Abtreibung, zu der er seinen Segen nicht gegeben hatte, in seinen Rechten verletzt worden, so seine Begründung, und damit ein Opfer.

 

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Das Schweizer Rechtssystem hatte von der ersten Minute an wenig Lust, sich mit der Sache zu befassen. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg leitete pflichtschuldig eine Untersuchung ein, teilte dann aber bald mit, das Verfahren werde eingestellt. Der Vater des Kindes gab nicht klein bei. Mit dem Ergebnis, dass sich nun das Bundesgericht Gedanken dazu machen musste. Das ist in der Schweiz jeweils das Ende der Reise. Die Bundesrichter sind die letzte Instanz.

Vater ohne jegliche Rechte

Wobei, Korrektur: Nein, das Bundesgericht musste sich keine Gedanken machen. Oder wollte es nicht tun. Die Richter schaufelten die schwierige Frage elegant ab. Sie stellten sinngemäß klar, dass die Sache gar nicht erst zu ihnen hätte vordringen dürfen. Denn laut Bundesgericht hatte der Erzeuger des Kindes nicht das Recht, die damalige Einstellung des Verfahrens anzufechten. Dort hätte Schluss sein müssen mit dem Rechtsstreit.

Die Begründung: Eine Beschwerde konnte in diesem Fall nur jemand erheben, der „selbst Träger des geschützten Rechtsguts oder Angehöriger des Opfers“ sei. Das Opfer ist in diesem Fall das ungeborene Kind, der Träger des „Rechtsguts“ ist die Mutter. Und der Vater? Der ist rein gar nichts – und übrigens auch kein Angehöriger. Denn schließlich besitzt jemand, der noch nicht zur Welt gekommen ist, keine eigene „Rechtspersönlichkeit“ und hat entsprechend überhaupt keine Verwandten. Mutter, Vater, Geschwister, Onkel und Tanten: Das hat man erst mit dem ersten Atemzug im Freien. Vorher ist man – ja, was ist man eigentlich? Jedenfalls das: völlig allein.

Die Mutter als einzige „Anwältin“

Dieses Urteil ist das, was man bekommt, wenn eine Reihe hochstudierter Juristen zusammensitzen und versuchen, Arbeit zu vermeiden. Es werden Begriffe bemüht wie „Rechtspersönlichkeit“ und „Träger des Rechtsguts“, die klingen, als würde man gerade über die nicht erbrachten Garantieleistungen bei einer Mikrowelle verhandeln.

In der Tat ist ein im Bauch heranwachsendes Kind noch keine „Rechtsperson“ im juristischen Sinn. Es erhält keine Steuerrechnung, muss keine Radio- und Fernsehgebühren bezahlen und verfügt über keinen Reisepass. Gemäß Bundesgericht geht es aber darüber hinaus: Es hat auch keinerlei Rechte. Die werden stellvertretend von einer einzigen Person wahrgenommen: der „Trägerin des Rechtsguts“, also der Mutter. Der Vater des Kindes, man kann es leider nicht eleganter ausdrücken, fungierte demnach nur als Samenspender und hat darüber hinaus zu schweigen.

 

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Wirklich neu ist das alles zugegebenermaßen nicht. Väter galten juristisch schon immer als vernachlässigbare Komponente bei der Schwangerschaft. Jedenfalls bei einer Abtreibung. Kommt das Kind zur Welt, dann werden die Männer durchaus in die Pflicht genommen. Aber bis zu diesem Punkt gibt es für das Ungeborene eine einzige anwaltschaftliche Vertretung: die Mutter.

Ein Mann wäre gern mit allen Konsequenzen Vater geworden

Was haben wir in der Bilanz? Eine Frau, die sich streng genommen strafbar gemacht hat mit einem zu späten Schwangerschaftsabbruch, der mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug geahndet werden kann. Ärzte, die einen unüberwindbaren „seelischen Notstand“ diagnostizierten und sie damit vor der Justiz schützten. Einen Mann, der offenbar gern mit allen Konsequenzen Vater geworden wäre, dem das höchste Gericht der Schweiz mitteilt, dass er gar nicht mitreden darf und der nun auch noch die Verfahrenskosten von 3.000 Franken bezahlen muss.

Und natürlich nicht zu vergessen: ein Bundesgericht, das sich nicht mit Fragen der Ethik und Moral auseinandersetzen wollte und deshalb kurzerhand die Hälfte der Menschheit beim Thema Schwangerschaftsabbruch zu völlig Unbeteiligten macht.

 

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