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Demokraten vs. Republikaner

US-Wahlkampf: Düstere Aussichten für den Lebensschutz

Der Parlamentarismus erlebt oftmals dann eine Sternstunde, wenn ethische Themen diskutiert werden. Die Abgeordneten lösen sich von der Fraktionsdisziplin, argumentieren und entscheiden frei nach ihrem moralischem Kompass. Die Findung von für alle Beteiligten zufriedenstellenden Kompromissen gestaltet sich bei solch hochsensiblen Themen zwar noch herausfordernder als dies ohnehin schon im demokratischen Prozess der Fall ist. Doch hochemotionale Themen können dennoch oftmals befriedet werden. Die in Deutschland vorherrschenden Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen wird von weiten Teilen der Politik und Medien als guter Kompromiss angesehen. 

Gleichwohl Abtreibungen in Deutschland laut Paragraf 218 Strafgesetzbuch rechtswidrig sind, gilt unter bestimmten Umständen Straffreiheit. Wird eine vorherige Beratung bei einer staatlich anerkannten Stelle aufgesucht und wird die Abtreibung von einem Arzt durchgeführt, sind diese bis zur zwölften Woche straffrei. Linksliberal eingestellte US-Amerikaner würden die deutsche Gesetzgebung schon nahezu als Verbot ansehen. Und so ist es wenig verwunderlich, dass der Lebensschutz nicht nur einen bedeutenden Teilbereich des Kulturkampfes in den USA darstellt, sondern auch eines der wichtigsten Wahlkampfthemen vor allem für die Demokraten ist. 

Seit 1973 ist kein Ende des Konflikts in Sicht

Von 1973 bis 2022 waren in den USA landesweit Abtreibungen bis zur Überlebensfähigkeit des Fötus erlaubt. Der Oberste Gerichtshof legalisierte mit seinem Grundsatzurteil im Fall Roe vs. Wade explizit Abtreibungen bis zur 23./24. Schwangerschaftswoche, sprich bis zum sechsten Schwangerschaftsmonat. Herausgefordert wurde dieses Urteil im Jahr 2018, als der Bundesstaat Mississippi ein Gesetz erließ, welches die meisten Schwangerschaftsabbrüche ab der 15. Woche verbot. 

Die von der republikanischen Regierung in Jackson erwartete Klage gegen ihre vom Bundesrecht abgekoppelte Regelung folgte umgehend. Die zuständigen Bezirks- und Berufungsgerichte gaben der Beschwerde auch statt. Mississippi rief daraufhin den Obersten Gerichtshof an. Eine Begebenheit, die offensichtlich das ursprüngliche Ziel der Regierung des Magnolien Staates war, um eine Chance auf eine landesweite Änderung des Abtreibungsrechts zu bekommen. 

In den Jahren 2021 und 2022 befasste sich somit der Supreme Court erneut mit dem Abtreibungsrecht. Mit der Urteilsverkündung im Fall Dobbs vs. Jackson Women’s Health Organization gab der Oberste Gerichtshof das Recht der Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen sodann wieder an die Bundesstaaten zurück, ein juristischer Sieg für Mississippi. Die landesweite liberale Regelung Roe vs. Wade gehört seitdem praktisch der Geschichte an.

Abtreibungsbefürworter in der Mehrheit

Seit zwei Jahren herrscht nun ein dynamischer Prozess hinsichtlich der Abtreibungsregelungen in den einzelnen Bundesstaaten vor. Je nach gesellschaftspolitischer Ausrichtung eines Staates wird entweder der Lebensschutz („Pro Life“) oder die sogenannte „reproduktive Selbstbestimmung“ der Frau („Pro Choice“) stärker berücksichtigt. Gegenwärtig sind in 14 Bundesstaaten Abtreibungen nicht erlaubt.

In weiteren 27 Bundesstaaten sind Schwangerschaftsabbrüche zeitlich begrenzt, je nach Staat zwischen der sechsten und 24. Schwangerschaftswoche legal. In neun Bundesstaaten sowie dem District of Columbia gibt es keine Restriktionen. 

Des Weiteren wurden als Folge des Gerichtsurteils in den vergangenen zwei Jahren in sieben Bundesstaaten Referenden über die Regelung zu Schwangerschaftsabbrüchen abgehalten. In allen sieben Voten gewannen die Anliegen der Abtreibungsbefürworter eine Mehrheit. Im Wahljahr 2024 werden in bis zu zehn weiteren Bundesstaaten die Wähler ob ihrer Ansicht zu dem Thema befragt.

Joe Biden – ursprünglich ein Verfechter des Lebensschutzes

Nachdem die bislang abgehaltenen Referenden für die Befürworter einer liberalen Abtreibungsregelung erfolgreich verliefen, wirbt die Demokratische Partei auch im Präsidentschaftswahlkampf 2024 offensiv mit diesem Thema. Präsident Joe Biden, als Katholik ursprünglich ein Verfechter des Lebensschutzes, plädiert ebenso für eine landesweite, einheitliche liberale Regelung wie Vizepräsidentin Kamala Harris und ihr Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz, der als Gouverneur schon eine liberale Abtreibungspolitik in seinem Bundesstaat Minnesota verantwortet. 

 

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Roe vs. Wade soll als Gesetz verankert, Abtreibungen bis zur Überlebensfähigkeit des Fötus erlaubt werden. Demokratische Führungspersönlichkeiten im U.S. Kongress räumten der gesetzlichen Verankerung von Roe vs. Wade schon Priorität für die neue Legislaturperiode ein. Zur Verwirklichung ihrer Ziele müssten Demokraten freilich zunächst bei den anstehenden Wahlen im November die nötigen Mehrheiten in beiden Kammern des U.S. Kongresses erringen sowie die Präsidentschaftswahl für sich entscheiden.

Demokraten wollen bundesstaatliche Gelder für Abtreibung freigeben

Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Harris kritisierte lautstark auch die Einschränkungen von Abtreibungen in republikanisch-regierten Bundesstaaten. Ebenso versprach Harris als Präsidentin von ihrem Vetorecht Gebrauch machen zu wollen, sollte ihr ein Gesetz zu einem landesweiten Abtreibungsverbot vorgelegt werden. Reisen von Frauen in liberale Bundesstaaten, um Abtreibungen vornehmen zu lassen, unterstützt Harris ausdrücklich. 

Das von den demokratischen Delegierten verabschiedete Wahlprogramm verspricht zudem die Abschaffung des „Hyde Amendment“. Diese Regelung untersagt es bislang, dass bis auf wenige Ausnahmen bundesstaatliche Mittel für Schwangerschaftsabbrüche bereitgestellt werden. Um das zentrale politische Ziel in diesem Wahlkampf, der langfristigen Sicherung der „Wahlfreiheit der Frau“, zu erreichen, wollen Demokraten auf Bundesebene ausschließlich liberale Richter nominieren.

Vielen Linken geht Roe vs. Wade nicht weit genug

Mit ihrer liberalen Position bei einem ethisch sensiblen Thema versuchen Demokraten primär bei Frauen in den Vorstädten zu punkten. Doch auch in der Gesamtbevölkerung sind Demokraten mit ihrem Wahlprogramm näher an den Menschen als dies bei Republikanern der Fall ist. 

Laut einer repräsentativen Umfrage des Pew Research Center plädieren nämlich knapp zwei Drittel der US-Amerikaner für die Legalität von Abtreibungen in „allen/ den meisten Fällen“. Ebenso wollen Demokraten die eigene Basis, die gar zu 85 Prozent eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts befürwortet, für die Wahlen im November motivieren.

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Für Teile des liberalen Amerikas geht die Wiederherstellung von Roe vs. Wade durch ein landesweites Gesetz allerdings nicht weit genug. Vor dem Parteitag der Demokraten protestierten hunderte US-Amerikaner für ein noch liberaleres Abtreibungsrecht. Ein „Recht auf Schwangerschaftsabbruch“ sollte es laut den Aktivisten in jeder Phase einer Schwangerschaft geben. 

Dass der weltgrößte Abtreibungskonzern „Planned Parenthood“ in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsortes des Demokratischen Parteitags mit einer „mobilen Gesundheitsklinik“ aufwartete, passt vor diesem Hintergrund in das Bild. Dabei wurden kostenlose Abtreibungen ebenso angeboten wie Vasektomien und die „Pille danach“.

Republikaner sind gespaltener Meinung

Für innerparteiliche Kritik sorgt derweil das Wahlprogramm der republikanischen Kandidaten für die beiden höchsten Ämter im Staat, Donald Trump und J.D. Vance. Aus der Sicht erzkonservativer Republikaner und Lebensschützer, darunter der ehemalige Vizepräsident Mike Pence, nimmt Trump im Bereich des Schutzes ungeborenen Lebens nämlich eine zu moderate Position ein. 

Der 45. US-Präsident erkennt nämlich das Urteil des Supreme Court an, die Bundesstaaten sollen ihre eigenen Regeln verabschieden. Ein landesweites Verbot von Abtreibungen lehnt Trump ebenso ab wie ein Verbot des Versands von Abtreibungspillen: „Die Bundesregierung sollte mit dieser Angelegenheit nichts mehr zu tun haben“, sagt Trump gegenüber dem Fernsehsender CBS.

Lebensschützer wählen Trump, obwohl er Maximalforderungen ablehnt

Wohl wissend, dass es sich beim Lebensschutz bislang um kein Gewinnerthema handelt, teilt Trump die Maximalforderungen vieler seiner Parteikollegen nicht. Dabei vertritt der Republikaner eine Position, die einer traditionellen Auslegung der Verfassung gleicht: Mehr Rechte für die einzelnen Staaten, weniger Befugnisse für die Bundesregierung. 

Auf die Unterstützung der „Pro Life“ Bewegung kann Trump ohnehin bauen, war er doch als Präsident für die erfolgreiche Nominierung von drei Obersten Richtern, welche die Verfassung im konservativen Sinne auslegen, verantwortlich. Diese Begebenheit wiederum führte erst zum faktischen Ende von Roe vs. Wade. Zudem stellt das demokratische Ticket auf Grund seines radikalen Liberalismus keine Alternative für Lebensschützer dar.

Eine Million Abtreibungen in den USA im Jahr 2023

Das liberale Amerika bezeichnet Abtreibungen relativierend als lediglich eine „medizinische Versorgung“. Für das konservative Amerika sind Schwangerschaftsabbrüche schlichtweg Mord. Im Kulturkampf zwischen Frauenrechtlern sowie Abtreibungsbefürwortern und Lebensschützern gerät allzu oft das eigentliche Ziel von politischen Entscheidungen aus dem Blick: Die Verbesserung der Lebensumstände aller Beteiligten. 

Für die Lebensschützer in den USA bedeutet dies, dass ihre Anliegen erst nachhaltigen Erfolg, zumal an den Wahlurnen, haben werden, wenn sie einen mitfühlenden Konservatismus anbieten. Explizit bedeutet dies, sich nicht nahezu ausschließlich auf Abtreibungsverbote und -fristen zu fokussieren, sondern auch weitergehende Lösungen für Frauen (und Familien) in Not anzubieten. 

Die seit dem Jahr 2022 implementierten zahlreichen Einschränkungen haben nämlich nicht zu einem Rückgang an Abtreibungen geführt – im Gegenteil. Laut dem eher linksgerichteten Guttmacher Institute gab es in den USA im vergangenen Jahr mehr als eine Million Schwangerschaftsabbrüche – so viele wie seit einer Dekade nicht mehr.

Kommt der Kulturkampf nach Deutschland?

Die Präsidentschafts- und Kongresswahlen sowie zahlreiche Voten auf Bundesstaatsebene geben im November auch die Richtung für die weitere Entwicklung des Lebensschutzes in den USA vor. Unabhängig vom Wahlausgang wird es auch in diesem Politikbereich eine Befriedung zwischen konservativem und liberalem Amerika kurz- und mittelfristig nicht geben. 

Derzeit droht dieses ethisch sensible Thema das gesellschaftspolitische Klima auch in Deutschland stark zu vergiften. Die amtierende linksliberale Bundesregierung versucht die Büchse der Pandora zu öffnen, indem sie den „Kompromiss“ Paragraf 218 Strafgesetzbuch abschaffen will. Die Christdemokraten sind dagegen und beharren auf dem Status Quo. Ihnen sollte es hingegen zu denken geben, dass jährlich über 100.000 Kinder innerhalb der derzeitigen Regelung abgetrieben werden.

 

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