„Es gäbe bereits jetzt eine Mehrheit für einen Wiedereinstieg in die Kernenergie“
Die FDP, die laut aktuellen Umfragen um den Wiedereinzug in den nächsten Bundestag zittern muss wie eine Hochspannungsleitung, zeigt sich energiegeladen: Qualitätsstrom aus deutschen Kernkraftwerken soll wieder durch unsere Netze fließen! Eine Truppe um den Thüringer Ex-Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich, die Bundestagsabgeordnete Katja Adler, den Energieexperten André Thess und die Jungen Liberalen Kassel wollen durch einen Mitgliederentscheid Druck auf die Bundestagsfraktion unter Christian Dürr ausüben, noch vor den Neuwahlen 2025 ein entsprechendes Gesetz ins Parlament einzubringen. Seit Dienstag nach dem zweiten Advent läuft der Mitgliederentscheid. Den müssten 3.500 FDP-Mitglieder unterschreiben, damit sich der Bundesvorstand damit befasst. Stand jetzt konnten die Kernkraft-Liebhaber fast 1.000 Unterschriften gewinnen.
Die Fragestellung des Mitgliederentscheids lautet:
„Soll die Bundestagsfraktion der Freien Demokratischen Partei (FDP) unverzüglich nach Durchführung des Mitgliederentscheids aus ihrer Mitte ein Gesetz in den Bundestag einbringen (§ 76 Abs. 1 GO BT), das im Wesentlichen dem Atomgesetz in seiner bis zum 26. April 2002 geltenden Fassung entspricht und im Ergebnis alle rechtlichen, technischen und sonstigen Aspekte regelt, die erforderlich sind für die Wiederaufnahme des Betriebs der noch in einen betriebsfähigen Zustand versetzbaren Kernkraftwerke Brokdorf, Emsland, Grohnde, Isar 2, Gundremmingen C, Krümmel und Neckarwestheim 2 sowie die Erforschung und den mittelfristigen Bau neuer Kernkraftwerke der sogenannten Generation IV?“
Das von der ersten rot-grünen Bundesregierung revidierte Atomgesetz verbietet seither die friedliche Nutzung der Kernenergie.
„Freiheit und Wohlstand einer Industrienation wie Deutschland stehen und fallen damit, dass wir versorgungssichere, bezahlbare und umweltfreundliche Energie haben“, sagte Mitinitiator André Thess, langjähriger Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart, bei der Vorstellung der Initiative. Die jetzige Energiekrise zeige, dass Weichenstellungen der vergangenen Jahre „leider in eine Situation geführt haben, wo diese Grundfesten einer freiheitlichen Industriegesellschaft in Frage gestellt werden“.
Über den Vorstoß, die Kernenergie wieder nach Deutschland zu holen, über den Zustand der FDP und was es bedeutet, eine kinderreiche Familie zu haben, hat Corrigenda mit Thomas Kemmerich gesprochen, dem Landesvorsitzenden der FDP Thüringen.
Jetzt, auf den letzten Metern der verkürzten Legislaturperiode, wollen Sie als FDPler auf einmal in die Kernenergie wieder einsteigen. War Ihre Partei denn nicht seit Ende 2021 in der Regierung?
In der Tat hat die FDP immer wieder Anläufe unternommen, die letzten sechs Kernkraftwerke zu erhalten, konnte sich aber als kleinster Koalitionspartner gegen Grüne und SPD nicht durchsetzen.
Die Ampel hat sechs KKW-Blöcke abgeschaltet. Sie hatten schon einmal einen Vorstoß gewagt – mit zwei anderen Landesverbänden brachte Ihr Thüringischer Landesverband einen Antrag zum Wiedereinstieg in die Kernkraft auf dem FDP-Bundesparteitag im April ein, scheiterte indes, wenn auch knapp. Sehen Sie denn jetzt größere Chancen?
Nach dem Ampel-Aus gäbe es bereits jetzt im Bundestag eine Mehrheit für einen Wiedereinstieg in die Kernenergie, und es ist wahrscheinlich, dass die Bundestagswahl hier nochmals eine Verschiebung hin zu pro-nuklearen Kräften erbringen wird.
„Kernenergie zu nutzen, entspräche einem Konjunkturprogramm“
Was ist das Besondere an der Kernkraft, dass Deutschland darauf nicht verzichten könne? Bei uns kommt auch nach dem Atomausstieg der Strom noch immer zuverlässig aus der Steckdose.
Eben nicht: Deutschland hat einen hohen Energiebedarf, und um die Nachfrage zu decken, insbesondere in Zeiten, in denen die Erzeugung aus erneuerbaren Energien (wie Wind und Sonne) nicht ausreicht, werden Stromimporte notwendig. Deutschland importiert Strom hauptsächlich aus den Nachbarländern, darunter Frankreich, die Schweiz, die Niederlande, Dänemark und Polen. Besonders Frankreich, das stark auf Kernenergie setzt, ist ein wichtiger Stromlieferant. Es entspräche volkswirtschaftlich einem Konjunkturprogramm in Höhe von mehreren Prozent des BIPs, die CO2-arme und regelbare Kernkraft wieder zu nutzen, wie verschiedene volkswirtschaftliche Studien zeigen.
Sie und die anderen Unterzeichner fordern: „Deutschland sollte kurz- bis mittelfristig wieder in die Nutzung der Kernenergie einsteigen.“ Die letzten sechs KKW sind freilich inzwischen alle demoliert, im Rückbau begriffen.
Trotz des laufenden Rückbaus können noch neun (!) Kernkraftwerke mit vertretbarem Aufwand in den Leistungsbetrieb zurückgeholt werden, wie eine US-Studie mit dem Titel „Wiederanfahren der deutschen Reaktoren: Durchführbarkeit und Zeitplan“ kürzlich ergab. Demnach stehen dem Neustart unserer Kernkraftwerke keine nennenswerten technischen Hindernisse entgegen.
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Sie wollen sich für den Bau von Kernkraftwerken der Generation IV starkmachen. Leider gibt es in Deutschland keine einzige Ausbildungsstätte mehr, wo man so etwas lernen könnte. Die Lehrstühle für Kernphysik stehen gleichsam auf dem Sperrmüll …
Kerntechnik wird noch an den Technischen Universitäten in Dresden und München gelehrt. Der Lehrstuhl an der TU Dresden wird derzeit neu besetzt. Aber in der Tat müssten wir neue Lehrstühle wieder einrichten, wenn wir langfristig die Kerntechnik weiterentwickeln wollen. Das haben wir auf dem Schirm.
„Wir müssen uns auf das Erbe von Scheel, Genscher, Graf Lambsdorff und Westerwelle besinnen“
Ihre Partei steckt in einer Krise. Auch in Ihrem Bundesland, wo sie in diesem Jahr aus dem Landtag flog. Welche Weichen muss die FDP stellen, um wieder Fuß zu fassen?
Mit der Erwartung, die Einschränkung der Freiheitsrechte durch die Coronakrise schnellstmöglich zu beenden; der Erwartung, das regulatorische Dickicht in Deutschland deutlich zu beschneiden; der Erwartung, die Digitalisierung zeitgemäß voranzutreiben und mit dem Vertrauen auf den wirtschaftlichen und rechtsstaatlichen Sachverstand hat die FDP bei der letzten Bundestagswahl 11,4 Prozent erreicht. Diese Erwartungen sind in der Ampel schwer enttäuscht worden.
Die Zustimmung zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht und eine Verlängerung der Einschränkungen bis Frühjahr 2023 waren falsch. Neben Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat man zudem Robert Habeck (Grüne) als völlig überforderten Wirtschaftsminister agieren lassen, der mit Clan-ähnlichen Strukturen in keiner Weise für einen wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt hat. Zwei Jahre Rezession, das Abschalten der Atomkraftwerke auf dem Höhepunkt der Energiekrise sind nur die Spitze des Eisberges.
Zur Person Thomas Kemmerich
Der Unternehmer Thomas Kemmerich ist seit 2015 Landesvorsitzender der FDP Thüringen. Der gebürtige Aachener zog 2017 in den Bundestag ein, später wurde er Spitzenkandidat für die Thüringer Landtagswahl im Oktober 2019. Damals gelang es Kemmerich, seine FDP wieder ins Parlament zu führen, wenn auch denkbar knapp mit einem James-Bond-haften Hechtsprung über die Fünfprozenthürde von 5,007 Prozent – 73 Stimmen mehr als nötig. Nach dem geglückten Einzug in den Landtag in Erfurt – der studierte Jurist war bereits von 2009 bis 2014 Landtagsabgeordneter – gab Kemmerich sein Bundestagsmandat auf und wurde Vorsitzender der FDP-Landesfraktion.
Bundesweite Bekanntheit erlangte der heute 59-Jährige am 5. Februar 2020, als er infolge der komplexen Mehrheitsverhältnisse im Thüringer Landtag mit Stimmen der AfD-Fraktion unerwartet zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Die daraufhin einsetzende Skandalisierung der Wahl und der fehlende Rückhalt aus der Bundes-FDP sowie das Fehlen eines eigenen Kabinetts führten drei Tage darauf zu dessen Rücktritt. FDP-Bundesvorstandsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte Kemmerich im selben Jahr auf, aus der FDP auszutreten.
Kurz nach der deutschen Wiedervereinigung war Kemmerich nach Weimar umgesiedelt und hatte aus den Überbleibseln einer ehemaligen DDR-Produktionsgenossenschaft eine profitable Friseurkette gemacht. Kemmerich ist katholisch und seit bald 30 Jahren verheiratet. Er ist Vater von drei Söhnen und drei Töchtern. Kemmerich ist Vize-Vorstand im thüringischen Landesverband des Verbands kinderreicher Familien. Seit 2006 ist der ehemalige Ministerpräsident des Freistaat Thüringen mit kurzer Unterbrechung Vorsitzender des Vereins Liberaler Mittelstand Thüringen.
Wir müssen uns auf das Erbe von Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff und Guido Westerwelle besinnen. Dann können Sie einschätzen, welchen Weg ich der FDP vorschlagen würde, um zu alter Stärke zurückzukehren.
In der FDP gibt es Stimmen hinter vorgehaltener Hand, die sagen, dass Christian Lindner wohl doch nicht der alternativlos beste Parteichef sei. Immer öfter fällt der Name Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Täte eine Frau wie sie mit ihrer direkten Art und den klaren Positionen der Partei gut?
Unsere Spitzenkandidatin zur EU-Parlamentswahl wurde in keiner Weise dem diplomatischen Erbe eines Genscher gerecht. Personaldebatten verbieten sich bis zum Zeitpunkt nach der Bundestagswahl.
„Unternehmer und Vater von sechs Kindern zu sein, prägt meine politischen Überzeugungen“
Sie sind sechsfacher Vater. Spielt das eine Rolle bei Ihren politischen Bewertungen und Entscheidungen?
Ich bin im Alter von 41 Jahren in die FDP eingetreten, das war eine bewusste Entscheidung aus meiner Lebenserfahrung und einem gewählten Lebensentwurf. Dazu gehört neben der knapp 35-jährigen Geschichte als Unternehmer, auch Vater von sechs Kindern zu sein. Beides prägt meine politische Überzeugung und Motivation. Insofern liegt mir sehr daran, Generationengerechtigkeit herzustellen und für deutlich mehr Anerkennung für das Unternehmertum und insbesondere das mittelständische und familiengeprägte Tun in der Gesellschaft zu sorgen.
Wie kommt man als Katholik und Vater in einer Großfamilie zur FDP?
Die FDP ist die einzige Partei, die jeden Lebensentwurf akzeptiert. Einer dieser Lebensentwürfe ist die Großfamilie, auf die ich sehr stolz bin.
Sollte die FDP, sollte die Politik überhaupt mehr für kinderreiche Familien tun?
Die Gesellschaft muss viel mehr tun für die nächste Generation, insbesondere aber auch für Familien mit mehreren Kindern. Anekdotisch ist hier zu nennen, dass die typische Familienkarte meist nur zwei Erwachsene und zwei Kinder vorsieht. Auch muss es wieder möglich sein, etwa mit steuerlicher Unterstützung, dass man nicht zwei volle Erwerbseinkommen benötigt, um den Familienwunsch nach beruflicher Gestaltung und Erziehung von Kindern erfüllen zu können. Deshalb ist das Einhalten der Schuldenbremse geboten, um den nächsten Generationen nicht die Versäumnisse der jetzt aktiven Politik aufzubürden.
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Kommentare
Starkes Interview und richtige Position.
Danke für das Interview, denn es war für mich insofern erkenntnisreich, da mir nicht bewusst war, dass es Männer solchen Schlages bei den Liberalen überhaupt gibt. Wäre ich FDP-Mitgelied, würde ich den Antrag unterschreiben. Um ehrlich zu sein: Ich könnte es mir aber nie vorstellen, dieser Partei in diesem Zustand beizutreten.