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„Demokratiegefährdendes Potenzial“

Wenn Andersdenkende zur Sekte erklärt werden

Kürzlich ist der erste Teil eines Sonderberichts, der es prominent in alle österreichischen Medien schaffte, erschienen. Der Titel lautet: „Das Telegram-Netzwerk der österreichischen COVID-19-Protestbewegung und die Verbreitung von Verschwörungstheorien“.

Herausgegeben hat diesen Bericht die Sektenstelle des Bundeskanzleramts. Dieser widmet sich ausschließlich dem Messengerdienst Telegram. Warum ausgerechnet Telegram? Weil sich dort, so die Autoren, besonders viele Verbreiter von Verschwörungsmythen, Staatsverweigerer und Rechtsextremisten fänden und vernetzten.

Der Begriff „rechtsextrem“ kommt in dem 100 Seiten dicken Bericht 112-mal vor, meist im Zusammenhang mit „Verschwörungstheorie“. Dabei wird nicht oder nur ungefähr differenziert: „Neben den Kanälen, die sich im Zuge der Pandemie gründeten und für die Protestmobilisierung genutzt wurden (CMG-Szene), handelt es sich um Kanäle aus dem organisierten Rechtsextremismus, aus verschwörungstheoretischen Milieus, dem Bereich der Esoterik und Spiritualität, der Parteipolitik und den Telegram-Kanälen von ‘alternativen Medien’“, heißt es in dem Bericht. Sie alle gelten dennoch als gleichermaßen verdächtig, selbst die religiösen Gruppen.

Öffentliche Diffamierung

Eine der Schlussfolgerungen des Berichts lautet: „Diese individuellen Entfremdungsprozesse werden von extremistischen Akteurinnen und Akteuren aktiv für ihre politische Agenda genutzt. Verschwörungstheorien sind daher neben den individuellen Risiken auch hinsichtlich ihres demokratiegefährdenden Potenzials zu problematisieren.“ Außerdem würden antisemitische Narrative verbreitet.

Starker Tobak also. Wie haben die Betroffenen auf die öffentliche Diffamierung reagiert? Immerhin wurde dieser Bericht in allen Medien bis hin zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ORF) breit thematisiert, die Geschäftsführerin der Bundesstelle für Sektenfragen, Ulrike Schiesser, in etliche Talkshows und zu Interviews eingeladen, sie gab auch eine gut besuchte Pressekonferenz. 

Manche der Betroffenen ignorierten den Bericht, andere machten sich darüber lustig, manche kritisierten diesen heftig, wie das Online-Medium „Report 24“. Und Einzelne haben Klage angekündigt, wie der Immobilien-Unternehmer und Polit-Blogger Gerald Markel.

Diskurs zwischen Religion und Wissenschaft

Manche überlegen noch, ob und wie sie reagieren sollen, haben sich aber noch nicht öffentlich dazu geäußert. So etwa das im Jahr 2007 an der Universität Graz gegründete Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie, das sich der Beziehung und der akademischen Diskussion zwischen Religion und Wissenschaft widmet. Das RPP-Institut bietet unter anderem gefragte Online-Kurse für Ärzte, Psychotherapeuten und Psychologen an und lädt dazu renommierte Referenten wie Kardinal Christoph Schönborn, Manfred Lütz, Joachim Bauer, Jürg Willi und Kurienkardinal Kurt Koch ein. Man steht also fest auf katholischem Boden.

Auf dieser Grafik des Sonderberichts wird das Institut für Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie (RPP-Institut) erwähnt (weiß hervorgehoben), die Gruppe der Coronamaßnahmen-Gegner (CMG) ist rot eingefärbt

„Erstaunlicherweise fand sich unser Institut in dem Sonderbericht der Sektenstelle in einer Grafik wieder, was die Absurdität des Berichts deutlich macht“, heißt es seitens des Instituts auf Anfrage von Corrigenda. Mehr wollte man vorerst dazu nicht sagen.

Kritiker der Regierungspolitik werden diskreditiert

Es ist also eine ganze Palette von Akteuren, die die Sektenstelle des Bundeskanzleramts hier ins Visier nimmt und mit Rechtsextremismus in Verbindung bringt, wenngleich auch nicht direkt gleichsetzt. Was sie eint, ist, dass sie allesamt aufgrund ihrer kritischen Haltung als Gefahr für die Demokratie identifiziert werden. Das bedeutet, dass eine Behörde, die aus Steuermitteln finanziert wird und einer politischen Instanz untersteht, dazu benützt wird, Kritiker der Regierungspolitik zu denunzieren und zu diskreditieren. Und dies alles unter dem Titel der „Sektenbeobachtung“. 

Mit dem ursprünglichen Anliegen, Jugendliche vor den Fängen von Sekten zu bewahren, hat diese (partei-)politische Agenda offenkundig nichts mehr zu tun. 

Ursprünglich standen Scientology und religiöse Sekten im Fokus

Die Bundesstelle für Sektenfragen, so der offizielle Name, wurde 1998 eingerichtet. Sie untersteht dem Bundesminister für Kultus und Jugend und ist derzeit direkt im Bundeskanzleramt angesiedelt. Das Ziel damals: Es sollte eine Stelle eingerichtet werden, die die staatliche Öffentlichkeitsarbeit im Bereich der Dokumentation und Information über Sekten wahrnimmt sowie Beratung für Betroffene und deren Eltern anbietet. Es ging den Erfindern dieser Institution also um Kinder und Jugendliche, um den Schutz der Familie und den Schutz vor dem Einfluss von Sekten. 

In den ersten Jahren standen Scientology und religiös konnotierte Sekten im Fokus. Die Sektenstelle führte im Lauf der Jahre ein eher unbeachtetes Dasein und war personell und finanziell dementsprechend bescheiden ausgestattet, wurde sogar rückgebaut. Von ursprünglich vier Vollzeit-Mitarbeiterinnen sank die Zahl auf zwei Vollzeit- und drei Teilzeitkräfte im Jahr 2019.

Corona-Krise bringt schlagartig Änderungen

Dies änderte sich schlagartig mit der Corona-Krise. Inhaltlich traten völlig neue Schwerpunkte in den Vordergrund. Nun war die Bundesstelle für Sektenfragen plötzlich eine gesetzlich eingerichtete, zentrale Informations- und Beratungsstelle zu „sogenannten Sekten“ und Weltanschauungsfragen. 

Laut Website des Ministeriums beschäftigt sich diese seitdem nicht mehr nur mit Sekten, sondern nun auch mit fundamentalistischen Strömungen, radikalen und extremistischen Ideologien, Lebenshilfe-Angeboten, Verschwörungstheorien, Apokalypse und Weltuntergang, Weltanschauungsgemeinschaften, sozialutopischen Aussteigergruppen und souveränistischen Bewegungen, also Staatsverweigerern. 

Mit dieser neuen Ausrichtung war man sehr schnell, schneller als die Pandemie. Im Oktober 2020 veröffentlichte die Sektenstelle den Bericht für 2019, der dem österreichischen Parlament vorgestellt wurde: „Aufgrund der Aktualität und der massiven Auswirkungen auf die Gesellschaft wurden die Auswirkungen der Corona-Krise bereits in den Bericht 2019 aufgenommen und in einem eigenen Schwerpunkt zusammengefasst“, erklärte der damalige Geschäftsführer German Müller bei der Präsentation des Berichts.

Coronamaßnahmen-Gegner: Laut Bundesministerin eine „Bedrohung“

Verschwörungstheoretische Deutungen in einer Krisensituation seien aus Sicht der Sektenstelle nichts Neues, sie seien geradezu erwartbar, meinte Müller: „So kursierten etwa relativ bald Behauptungen, dass das Virus in einem Labor entstanden sei. In der Regel wurde dabei dem ‘chinesischen Regime’ unterstellt, das Virus bewusst freigesetzt zu haben.“ 

Es erfolgte also ab der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Protesten gegen die Maßnahmen der Regierung eine starke Betonung des Politischen in der Sektenstelle. Und dies offenbar im Auftrag der Politik. In den jeweiligen Berichten ab 2020 werden von der zuständigen Ministerin Susanne Raab von der christlich-sozialen ÖVP dezidiert die Bedrohungen für Staat und Demokratie durch die Maßnahmen-Gegner benannt. Es erfolgte in der Sektenstelle eine sukzessive Aufstockung bei Personal und Budget sowie eine Erweiterung der Aufgaben und Projekte.

Sektenstelle wird politisiert

Im Jahr 2021 erhöhte die Bundesregierung das Budget um 50 Prozent und stellte zusätzlich 170.000 Euro für den Aufbau eines Informations- und Präventionskonzeptes bereit. Auch wurde mit der Psychologin Ulrike Schiesser eine neue Geschäftsführerin bestellt. Das Personal wurde auf acht Mitarbeiter aufgestockt, sechs neue Mitarbeiter wurden aufgenommen. 

Dies führte im Jahr 2023 zu einer regelrechten Hyperaktivität. Man beschränkte sich nicht, wie im ursprünglichen Auftrag vorgesehen, auf Berichte und Beratung von Betroffenen, sondern wurde politisch tätig. Man verstand sich laut Bundesministerin Susanne Raab ab nun als „Radar für problematische Entwicklungen“. Im Fokus standen dabei „Verschwörungsmythen“ und Gegner der Corona-Maßnahmen. Die Sektenstelle nahm laut Bericht an 106 Vernetzungs- und Austauschtreffen teil, leistete Beiträge zu Tagungen und Fortbildungen und veröffentliche Fachartikel und Online-Tools in Kooperation mit dem europäischen RAN-Netzwerk (Radicalisation Awareness Network), das eigentlich Teil der Terrorismus- und Extremismusbekämpfung auf EU-Ebene ist.

Wahrscheinlich würde die Bundesregierung in der nächsten Legislaturperiode Personal sowie Budget gern abermals erhöhen – wenn denn Schwarz-Grün dann überhaupt noch regiert.

 

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Kommentare

Comment

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Kommentar
3
KeinEidgenosse
Vor 2 Monate 1 Woche

Wie fest der katholische Boden ist, auf dem das RPP steht, ist zumindest fragwürdig. Im Zuge der Corona Krise hat Raphael Bonelli einen Kurs eingeschlagen, der vielen in der Kirche suspekt ist. Zumindest die Kardinäle Koch und Schönborn haben seit damals nicht mehr dort aufgeschlagen, auch Manfred Lütz dürfte wohl heute einen weiten Bogen um das Institut machen (und dort auch kein gern gesehener Gast sein).

Dafür ist dort eine Person ein gefragter Ansprechpartner: Gudula Walterskirchen

https://www.youtube.com/results?search_query=Gudula+Walterskirchen+RPP

Ob genau diese Person damit geeignet ist, einen Artikel zu Kritik an RPP und Consorten zu verfassen? Auch wenn man viele Inhalte des Berichts kritisch sieht, sollte es wohl neutralere und objektivere Journalisten dafür geben.

2
Veritas
Vor 2 Monate 1 Woche

Das hätte transparenzhalber schon erwähnt werden können, aber als Problem sehe ich es nicht, da Frau Dr. Walterskirchen sich bestens auskennt, und weiß, worüber sie schreibt.
Außerdem gibt es keine Hauptstrommedien mehr, die kritisch über solche fragwürdigen Aktivitäten einer Behörde berichten würden, weil sie sich insbesondere in Österreich mitschuldig gemacht haben und ordentlich Kohle eingesteckt haben während der Corona-Zeit.

1
Andreas Graf
Vor 2 Monate 1 Woche

"Das RPP-Institut bietet unter anderem gefragte Online-Kurse für Ärzte, Psychotherapeuten und Psychologen an und lädt dazu renommierte Referenten wie Kardinal Christoph Schönborn, Manfred Lütz, Joachim Bauer, Jürg Willi und Kurienkardinal Kurt Koch ein. Man steht also fest auf katholischem Boden." Die Referenten waren/sind allesamt Impfbefürworter, die Papst Franziskus das Wort redeten, der die COVID-19-Impfung als Akt der Nächstenliebe bezeichnete. Wer einem Impf-Genozid das Wort redet, kann nicht katholisch sein. Bezeichnenderweise fällt das Institut selbst dem Bannstrahl des Systems zum Opfer, dem es hörig sein wollte - wahrhaft ein Dilemma.

1
PD
Vor 2 Monate 1 Woche

Larven aus faulenden hirnen gekrochen

Sind nun ins leben hereingebrochen

Breiten sich dreist über alle gassen:

›Das reich ist unser: wir kommen in massen.

Der geht noch aufrecht – reisset ihn um

Der hat noch ein antlitz – zerret es krumm!

(C) Stefan George

1
KeinEidgenosse
Vor 2 Monate 1 Woche

Stefan George ist natürlich ein Klassiker. Wobei ich persönlich eine Vorliebe für William Butler Yeats habe. In seinem Gedicht "The Second Coming" hat er die Situation von heute vorweg genommen:

Turning and turning in the widening gyre
The falcon cannot hear the falconer;
Things fall apart; the centre cannot hold;
Mere anarchy is loosed upon the world,
The blood-dimmed tide is loosed, and everywhere
The ceremony of innocence is drowned;
The best lack all conviction, while the worst
Are full of passionate intensity.

Surely some revelation is at hand;
Surely the Second Coming is at hand.
The Second Coming! Hardly are those words out
When a vast image out of Spiritus Mundi
Troubles my sight: somewhere in sands of the desert
A shape with lion body and the head of a man,
A gaze blank and pitiless as the sun,
Is moving its slow thighs, while all about it
Reel shadows of the indignant desert birds.
The darkness drops again; but now I know
That twenty centuries of stony sleep
Were vexed to nightmare by a rocking cradle,
And what rough beast, its hour come round at last,
Slouches towards Bethlehem to be born?

Während den Besten jegliche Überzeugung fehlt, sind die Schlimmsten voll von ungezügelter Leidenschaft!

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KeinEidgenosse
Vor 2 Monate 1 Woche

Wie fest der katholische Boden ist, auf dem das RPP steht, ist zumindest fragwürdig. Im Zuge der Corona Krise hat Raphael Bonelli einen Kurs eingeschlagen, der vielen in der Kirche suspekt ist. Zumindest die Kardinäle Koch und Schönborn haben seit damals nicht mehr dort aufgeschlagen, auch Manfred Lütz dürfte wohl heute einen weiten Bogen um das Institut machen (und dort auch kein gern gesehener Gast sein).

Dafür ist dort eine Person ein gefragter Ansprechpartner: Gudula Walterskirchen

https://www.youtube.com/results?search_query=Gudula+Walterskirchen+RPP

Ob genau diese Person damit geeignet ist, einen Artikel zu Kritik an RPP und Consorten zu verfassen? Auch wenn man viele Inhalte des Berichts kritisch sieht, sollte es wohl neutralere und objektivere Journalisten dafür geben.

2
Veritas
Vor 2 Monate 1 Woche

Das hätte transparenzhalber schon erwähnt werden können, aber als Problem sehe ich es nicht, da Frau Dr. Walterskirchen sich bestens auskennt, und weiß, worüber sie schreibt.
Außerdem gibt es keine Hauptstrommedien mehr, die kritisch über solche fragwürdigen Aktivitäten einer Behörde berichten würden, weil sie sich insbesondere in Österreich mitschuldig gemacht haben und ordentlich Kohle eingesteckt haben während der Corona-Zeit.