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Aufruf an Konservative

Bei einem bloßen Zurück darf es nicht bleiben

Das Jahr 2024 hat begonnen. Die Erosion der europäischen, der abendländischen Welt schreitet unbarmherzig voran. In diesem Jahr werden abermals Entscheidungen auf den Tagesordnungen der Parlamente stehen, die den Verfallsprozess beschleunigen können. Und es werden Urnengänge stattfinden, deren Ausgang ihn womöglich verlangsamen.

Die bundesdeutsche Regierung, bestehend aus „woken“ Sozialdemokraten, verweichlichten Freidemokraten, denen Freiheit nur noch vom Gürtel abwärts etwas zu bedeuten scheint, und aus vor nichts zurückschreckenden Grünen, will das „Selbstbestimmungsgesetz“ durchdrücken. Männer und Frauen sollen dann per Sprechakt ihr Geschlecht „wechseln“ können – auch Jugendliche gegen den Willen ihrer Eltern.

Gleichzeitig plant die Ampel den Kampf gegen das ungeborene Leben zu „entkriminalisieren“, indem sie Paragraf 218 Strafgesetzbuch abschaffen will. Dem Töten ungeborener Kinder im Mutterleib soll der Ruch des Grundfalschen und Verbotenen genommen werden. Eine von der Regierung eingesetzte Kommission soll im ersten Quartal entsprechende Vorschläge für eine „Lösung“ außerhalb des Strafrechts präsentieren. Die Unantastbarkeit des Lebens und die Würde des Menschen werden frontal angegriffen, und nennenswerten Widerstand gibt es nicht, weil das Sensorium zum Erkennen dieses Unrechts schon lange durch die Verheißungen von Fortschritt, Freiheit und Framing – in Wirklichkeit: Rückkehr in die Barbarei, Verantwortungslosigkeit und Lüge – abgestumpft ist.

Wer Abtreibungen „Gesundheitsfürsorge“ und „Selbstbestimmung“ nennt, bewegt sich sprachlich auf demselben Niveau wie die DDR-Propagandisten, die eine Mauer, die die eigene Bevölkerung wegsperrte, als „antifaschistischen Schutzwall“ verkauften.

Die Familie soll relativiert und dekonstruiert werden

Regulär gewählt wird im Bund erst wieder 2025 und andere gesellschaftspolitische Umwälzungen wie das rechtliche Konstrukt der „Verantwortungsgemeinschaft“ stehen im Regierungsprogramm. Dieses Vorhaben würde im ersten Schritt zwar nicht als Alternative zur Ehe etabliert, aber der Grundstein dafür gelegt. All diese Punkte eint, dass die Familie bestehend aus Mann, Frau und Kindern relativiert oder dekonstruiert würde. Also jene Einheit, die nicht nur für Christen die „Urzelle des gesellschaftlichen Lebens“ und die „natürliche Gemeinschaft“ schlechthin ist.

Blickt man auf aktuelle Umfragen, so stöhnen immer mehr Menschen auf ob dieses rasanten Tempos, mit dem der „stille Transfer“ von Industrie und Bevölkerung geschieht und die Gesellschaft sich verändert. In Deutschland stehen Christdemokraten, die sich zaghaft von Ex-Parteichefin und -Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Linkskurs emanzipieren, sowie die AfD in der Wählergunst ganz oben. In den drei östlichen Bundesländern Sachsen, Brandenburg und Thüringen, in denen im September neue Landtage gewählt werden, schickt sich die AfD an, stärkste Kraft zu werden.

Die Österreicher wählen im Herbst einen neuen Nationalrat, und die FPÖ steht in Umfragen derzeit mit deutlichem Vorsprung auf Platz 1. Und auch das EU-Parlament, das Anfang Juni neu besetzt wird, dürfte in der nächsten Legislatur klar konservativer zusammengesetzt sein. Auf der anderen Seite des Atlantiks wird ein neuer US-Präsident gewählt. Egal wie das Rennen ausgeht, es wird Auswirkungen auf Europa haben.

Die junge Generation kämpft nicht für Wohlstand, sondern für eine positive Ideologie

Die Gegner des Feldzugs gegen die „Ökologie des Menschen“ (Benedikt XVI.) und die gesellschaftliche Ordnung sind ziellos und damit schwach, auch wenn Umfragen und womöglich später die Wahlergebnisse etwas anderes auszudrücken scheinen. Der Philosoph Alexander Grau prophezeite vor über einem Jahr, den Konservativen gehöre unter bestimmten Bedingungen die Zukunft. Er erkannte:

„Ein politischer Konservatismus, der gestalterische Kraft entwickeln möchte, muss eine eigenständige politische Sprache sprechen, mit einem eigenen politischen Vokabular und eigenen, starken Bildern. Das bedeutet vor allem, dass der Konservatismus sich nicht länger als Verhinderer oder Verzögerer linker Gesellschaftsexperimente sehen darf. Wer immer nur verhindern will, was andere wollen, dem wird nicht einmal das gelingen.“

Der Konservatismus müsse dem linken Gesellschaftsideal „eine eigene Erzählung entgegensetzen“, die aber nicht „nur von der Vergangenheit oder dem angeblich Ewigen“ sprechen dürfe. „Das Ewige gibt es nicht, auch die heiligsten Heiligtümer der Traditionskonservativen sind vergängliche soziale Konstruktionen.“

Im letztgenannten Punkt irrt Grau. Denn worauf soll eine Erzählung sonst basieren, etwa auf Wohlstand und sozialem Aufstieg, wie es Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt unentwegt propagiert? Das allein lockt die jüngeren Generationen in unseren Breitengraden nicht mehr hinter der Ofenbank hervor. Denn sie kennen keine materiellen Entbehrungen mehr, wie es die Nachkriegsgeneration tat. Der frühere Traum vom eigenen Haus, den Fernreisen und dem Kombi aus deutscher Produktion ist in der saturierten Gesellschaft keiner mehr, für den zu kämpfen es sich lohnt.

Ideologien kann man nicht mit Nichtideologien bekämpfen

Der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer schrieb in seinen alten Tagen merklich unzufrieden, es sei zwar gelungen, Deutschland materiell wieder aufzubauen (Deutschland hatte bereits 1960 Großbritannien beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf überholt), der geistige Aufbau sei aber auf der Strecke geblieben. Dieses Versäumnis rächt sich bis heute, was auch in den Programmen der Alternativen in Politik und Gegenkultur ersichtlich ist.

Julian Reichelt, Wortführer des aufstrebenden Medienprojekts Nius, sagte in seiner Weihnachtsansprache: „Gegen den ideologischen Wahn, der unsere politische und mediale Elite erfasst hat, steht die gewaltigste Mehrheit, die dieses Land je gesehen hat. Die Mehrheit des gesunden Menschenverstands. Die Mehrheit, die mit Herz und Verstand weiß, was geschehen muss, um unser Leben besser zu machen.“

Doch Ideologien kann man nicht mit Nichtideologien bekämpfen, wie der US-Amerikanische Autor Irving Kristol schon 1980 in Richtung der Republikanischen Partei rief, die heute übrigens mit ähnlichen Problemen kämpft wie ihre europäischen Pendants. Denn sowohl das geistlose wie auch das unter Konservativen verbreitete allzu geistreiche Palavern führten in die Katastrophe. Auch der Universalgelehrte und katholische Publizist Erik von Kuehnelt-Leddihn kritisierte die Ideologiescheu des Lagers rechts der Mitte (den Begriff „Konservative“ lehnte er ab). Beide sollten recht behalten.

Die Konservativen von heute erfüllen allzu oft das Chesterton-Diktum, wonach sie verhindern, die Fehler der Progressiven zu korrigieren, und also auf Stillstand pochen (wie die CDU bei der Ehe für alle). Und die Rechten bieten oft nicht mehr als ein Zurück zu einem Zustand vor den Krisen der jüngsten Jahrzehnte. Doch bei einem bloßen Zurück oder gar Stillstand darf es nicht bleiben.

Die abendländische Welt bietet das nötige Rüstzeug

Eine positive europäische Ideologie – und hier fällt dem deutschsprachigen Raum früher wie heute eine Schlüsselrolle zu – sollte der Zukunft zugewandt, aber sich ebenso der Vergangenheit und der ewigen Wurzeln unserer Kultur und Zivilisation bewusst sein. Zukunftszugewandtheit bedeutet auch, dem drängendsten Problem unserer Epoche, nämlich dem demografischen Niedergang Europas, ein lautes Ja zum Leben entgegenzurufen! Es bedeutet, den Zweiklang von Vernunft und Glauben, wie er in Europa lange üblich war, wieder als solchen zu begreifen und mit Inhalt zu füllen.

Es bedeutet, sich selbst als Individuum, aber auch die durch Geschichte und Kultur gewachsene Gemeinschaft sowie den in Europa prägenden christlichen Glauben anzunehmen, aber nicht auf folkloristische und museale, nicht auf passive oder rein reaktive Weise, sondern als Teil eines lebendigen Organismus. Unsere abendländische Welt bietet dafür das nötige Rüstzeug – christliche Spiritualität, ein kulturell reiches Erbe, Brauchtum, Verantwortlichkeit, Föderalismus, Subsidiarität, klares, vernunftbasiertes Denken und freie Unternehmerwirtschaft.

Auf dieses Fundament können wir aufbauen. Daran unermüdlich arbeiten und beständig weiterbauen müssen wir aber schon selbst.

 

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