Politischer Aktionismus um seiner selbst willen
Wer in der Schweiz ein Hakenkreuz auf eine Fassade sprüht, wird bestraft. Allerdings nicht härter, als wenn eine Tulpe oder der Name der Angebeteten als Motiv dient. Der Straftatbestand liegt nämlich in der Sachbeschädigung und nicht im Symbol. Was man mit dem Farbspray hinterlässt, ist egal.
Das liegt an einer eidgenössischen Eigenheit. Womit auch immer Nationalsozialisten sich gern schmückten: Man darf es grundsätzlich in der Schweiz straffrei vor sich hertragen. In direkt betroffenen Staaten, darunter Deutschland, sieht man das begreiflicherweise weniger entspannt. Dort sind diese Insignien generell verboten.
Soweit die Ausgangslage – in der Theorie. In der Praxis tut sich ein großer Graubereich auf. Die Verwendung dieser Symbolik kann nämlich auch in der Schweiz zu einer Verurteilung führen. Und zwar immer dann, wenn sie der Verbreitung der NS-Ideologie dient. Diese kann als Aufruf zu Hass gewertet werden, der seit rund 20 Jahren mit dem sogenannten „Anti-Rassismus-Gesetz“ unter Strafe steht. Das Bundesgericht, die höchste juristische Instanz im Land, hat das vor einigen Jahren in Zusammenhang mit Nazi-Symbolen so definiert.
Antisemitismus nimmt zu – aber nicht wegen Rechtsextremen
Das alles klingt nach „irgendwie nicht und irgendwie doch“, also durchaus sehr schweizerisch. Es ist wahres Futter für Juristen. Das Hakenkreuz ist in Ordnung, aber nicht, wenn es eine Botschaft transportiert. In einem konkreten Bild: Wer gemütlich auf einer Hakenkreuzfahne als Badetuch an einem See liegt, tut nichts Falsches. Wer sie in den Straßen vor sich hin trägt und Parolen skandiert, hingegen doch. Der Widerspruch ist offensichtlich. Ist das Ding nun legal oder illegal? Wo beginnt die Verbreitung von Hass?
Aber nun soll alles anders werden. Noch vor einem halben Jahr sah der Bundesrat, die Landesregierung, keinen Handlungsbedarf. Praktisch über Nacht hat er aber seine Haltung geändert und ein parlamentarisches Verfahren eingeleitet, das NS-Symbole wie in der Nachbarschaft gänzlich illegal machen will. Dann wäre es vorbei mit der Zeit der Abwägung. Der Hass ist künftig im Hakenkreuz inkludiert, egal, wie man es präsentiert.
Man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, weshalb der Bundesrat diese Änderung in die Wege geleitet hat. Im Sog des wieder aufflammenden Konflikts im Nahen Osten hat der Antisemitismus vielerorts Aufwind erhalten. Dass das Schweizer Parlament gerade jetzt Vorarbeiten aufnimmt, um die Symbolik des Nationalsozialismus strafbar zu machen, ist also kaum ein Zufall. Die Schweiz fühlt sich verpflichtet, etwas zu unternehmen, und das scheint der einfachste Weg.
Aber „etwas unternehmen“ ist oft Aktionismus um seiner selbst willen. Die aktuellen Anstrengungen sind gleichermaßen verständlich und unsinnig. Verständlich, weil nichts so sehr für Antisemitismus steht wie Hakenkreuze und Co. Unsinnig, weil das Problem ganz wo anders liegt und mit diesem Verbot nicht gelöst wird.
Den antifaschistischen Publizisten entgleitet ihr Existenzrecht
Denn wenn man die Geschichte des angeblichen Rechtsextremismus in der Schweiz nüchtern verfolgt, stellt man fest: Es gibt keine relevanten organisierten Tendenzen in diese Richtung. Seit vielen Jahren existiert ein „Handbuch Rechtsextremismus“, das aufzeigen soll, wie groß die Gefahr aus dieser Richtung ist. Das Werk leidet aber allmählich unter Schwindsucht. Inzwischen muss jedes noch so weit hergeholte Ereignis bemüht werden, um die Seiten zu füllen. Den antifaschistischen Publizisten entgleitet ihr Existenzrecht. Die Schweizer haben, abgesehen von ganz wenigen persönlich frustrierten irrlichternden Zeitgenossen, schlicht keine Schlagseite hin zur extremen Rechten.
Das sieht der aufgeklärte Zeitgenosse mit einem Blick. Ein schöner Teil der erwähnten Hakenkreuze auf Hausfassaden ist nämlich spiegelverkehrt aufgesprayt. Die angeblichen Neonazis sind offenbar zu dumm, um das Symbol ihrer Vorbilder richtig anzubringen. Da waren also keine von paramilitärischen Truppen geschulten Nachwuchskader am Werk, die einen Umsturz von rechts planen. Dem Vandalenakt liegt keine gefestigte Ideologie zugrunde, sondern viel Alkohol, gepaart mit dem Wunsch, zu provozieren. „Mein Kampf“ hat jedenfalls keiner von den Sprayern gelesen. Es sind Akte der Pubertät, mehr nicht. Das „Vierte Reich“ steht nicht vor der Tür.
Der aktuelle Antisemitismus in der Schweiz hingegen – und nicht nur dort – kommt von links. Er ist beseelt von der Solidarität mit Palästina und hat wenig zu tun mit den kruden Ideen eines neu aufkeimenden Nationalsozialismus. Ein allfälliges Verbot von NS-Symbolen in der Schweiz ist daher eine verzweifelte Ausgeburt des Zeitgeistes. Ein zum Scheitern verurteilter Versuch, das scheinbar Richtige zu tun, indem man das Offensichtliche unterbindet, ohne das eigentliche Problem anzugehen.
Was ist mit Hammer und Sichel?
Niemand verliert etwas, wenn das Hakenkreuz auch in der Schweiz offiziell verboten wird. Es gibt keinen guten Grund, es zur Schau zu stellen, und ein Artikel im Strafgesetzbuch mehr bringt die Demokratie nicht zum Erliegen. Aber dieser Akt ist reine Symptombekämpfung. Die Gewalt auf den Straßen, marodierende Horden, die Privateigentum angreifen und eine Umgestaltung der Gesellschaft fordern, Menschen, die einer anderen Religion das Existenzrecht absprechen: Das alles kommt exklusiv von der linksextremen Seite.
Wenn diese Seite unterwegs ist, ruft der Staat aber nach „Deeskalation“ der Polizei, zeigt unterschwellige Sympathie und würde nie auf die Idee kommen, die entsprechenden Symbole zu verbieten. Hammer und Sichel? Das ist vielleicht nicht ganz zeitgemäß, aber eben doch gut gemeint. Man lässt es laufen. Obschon unter diesem Symbol unzählige Menschen starben.
Was die Schweiz braucht, ist kein neues Verbot von historischen Zeichen, sondern eine öffentliche Debatte darüber, was wirklich eine Bedrohung für die Gesellschaft ist. Sind es sinnentleerte Symbole von rechts, die ohne ideologischen Unterbau dem reinen Protest dienen? Oder doch die reale Gewalt von links, die wir an jedem 1. Mai erleben – ohne dass sich Widerstand regt?
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