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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Die Schweiz als Hotel

Man hat es zuvor geahnt und ist nun bestätigt. Eine Konferenz, in der Frieden zwischen zwei Kriegsparteien vermittelt werden soll, funktioniert eher schlecht, wenn eine dieser beiden Parteien fehlt. 

Russland war nicht eingeladen worden zur groß angekündigten „Friedenskonferenz“ auf den Schweizer Bürgenstock, einer malerischen Hotelanlage hoch über einem See im Zentrum des Landes. Und China, ein weiteres wichtiges Land, blieb der Veranstaltung demonstrativ fern. Also beschränkte sich das Treiben unter Regierungsvertretern und Diplomaten darauf, sich gegenseitig zu versichern, hinter der Ukraine zu stehen und sich Frieden für sie zu wünschen. Es wurde viel geredet, viel auf Schultern geklopft, aber nichts erreicht.

Diese bescheidene Bilanz ziehen die meisten Medien. Jubelschreie über einen Durchbruch blieben aus, und sie wären auch schwer vermittelbar. Wenn überhaupt ein Ansatz von Euphorie durchschimmert, dann beim Gastgeber, der offiziellen Schweiz. Bundespräsidentin Viola Amherd war sichtlich stolz, in ihrem Amtsjahr an einem einzigen Wochenende mehr Staatschefs die Hand schütteln zu dürfen als jeder ihrer Vorgänger in der gesamten Präsidentschaft.

Ein „erster Schritt“

Die Schweizer Medien schließen sich diesem Stolz mehrheitlich an. Klar, Frieden gestiftet habe die Konferenz nicht, das räumt man ein, aber das habe ja auch keiner ernsthaft erwartet, so der Tenor. Das Treffen habe einfach einen „ersten wichtigen Schritt“ für den weiteren Prozess gebildet. 

Das klingt ein bisschen so, wie wenn einer auf seinem Laufband zuhause nach Jahren erstmals für drei Minuten im Gehschritt unterwegs ist und das dann als ersten Schritt zum Marathon in New York bezeichnet. Technisch gesehen mag es das sein, nur hat es mit der Realität wenig zu tun.

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Ein weiteres positives Fazit, das viele Kommentatoren zogen: Möge außer einer bescheidenen gemeinsamen „Erklärung“ ohne jede Wirksamkeit ein echtes Resultat auch gefehlt haben, so habe sich doch die Schweiz als Gastgeber immerhin von ihrer besten Seite gezeigt. Alles hat geklappt auf dem Bürgenstock. Das Essen war pünktlich auf dem Tisch, die Presseleute hatten ihre Arbeitsflächen, die Minibar war in allen Zimmern gefüllt. Kein Regierungsmitglied wurde versehentlich von einem Türsteher abgewiesen, und die Transfers zwischen Flughafen und Hotelanlage verliefen reibungslos.

Organisieren konnte die Schweiz schon immer

Das ist schön, aber gleichzeitig eine etwas absonderliche Feststellung. Dass die offizielle Schweiz ein hervorragender Organisator ist, hat nie jemand angezweifelt. Im Gegenteil, es ist so ziemlich das Einzige, was uns die ganze Welt ohne zu zögern attestieren würde. Selbstverständlich lief alles wie am Schnürchen. So verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk eben. Wir bauen auch Jahrhundert-Tunnels durch Bergmassive in Rekordzeit, und das Fiasko rund um den Berliner Flughafen hätte es nie gegeben, wenn man das Projekt rechtzeitig an die Schweiz delegiert hätte.

Das alles musste man niemandem beweisen, weil es bekannt ist, und es nun als Gewinn aus dem Wochenende zu bezeichnen, ist der beste Beleg dafür, wie wenig wirklich zustande kam an diesen beiden Tagen.

Die eigentliche Leistung bestand eher darin, dass die Schweiz für diesen Anlass überhaupt zum Handkuss kam. Den Pfad der Neutralität, der sie früher zum logischen Kandidaten für solche Konferenzen machte, hat sie längst verlassen. Nach der Verkündigung der EU-Sanktionen gegen Russland hat die Landesregierung nicht einmal eine Anstands-Viertelstunde gewartet, bis sie nachzog. An unzähligen Amtsgebäuden wehten in den vergangenen zwei Jahren gelb-blaue Flaggen, und der ukrainische Präsident ist für den Schweizer Ausßenminister Ignazio Cassis „ein guter Freund“.

Höchstens der Tourismus profitiert

Da kann man aber sogar noch einen draufsetzen. Am Tag vor dem Start der Veranstaltung genoss der ukrainische Parlamentspräsident einen Auftritt im Bundeshaus, im Epizentrum der politischen Macht des Landes. Man gab ihm so viel Aufmerksamkeit und Schutz, dass die Parlamentarier, die zeitgleich eine Session abhielten, nicht mal mehr ungestört ihre Arbeit machen konnten, weil das Gebäude von Sicherheitskräften nur so wimmelte. Das war nun wahrlich keine Glanzstunde der Diplomatie: ein klarer Positionsbezug des Gastgebers, der nur Stunden später so tat, als wäre er der Hort der unentschiedenen Objektivität. 

Das kann nicht funktionieren, und es hat auch nicht funktioniert. Aber vielleicht locken ja die Kamerabilder von der Anhöhe Richtung Vierwaldstättersee den einen oder anderen Touristen aus den USA oder Asien an. Dann können sich wenigstens die Vermarkter der Schweiz freuen. 

An was sich die Schweizer auch noch lange erinnern dürfen: an die Millionen, die das Ganze gekostet hat. An den Frontlinien in der Ukraine wird man aber kaum von der Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock sprechen. Denn dort ändert sich durch diese leider rein gar nichts.

 

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Kommentare

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Kommentar
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KeinEidgenosse
Vor 2 Monate 2 Wochen

Vielleicht sollte sich Stefan Millius etwas eingehender damit befassen, was man in der Ukraine wirklich über die Konferenz denkt. Hier z.B. eine Stellungnahme des Journalisten Illia Ponomarenko:

https://x.com/IAPonomarenko/status/1802394299130097914

Im Kern ging es bei dieser Konferenz darum, ob der Westen (zu dem auch die Schweiz gehört?) es zulässt dass das Recht des Stärkeren über die Stärke des Rechts triumphiert. Beim Kongress haben sich 80 Teilnehmerstaaten klar dazu bekannt, dies nicht hinzunehmen. Insofern handelte es sich durchaus um eine Glanzstunde der Diplomatie!

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Andreas Graf
Vor 2 Monate 2 Wochen

Die Ukraine hat mit dem großen Bruder Amerika im Rücken großspurig bei der Konferenz von Istanbul den Frieden abgelehnt. Ebenso hat die Ukraine zuvor schon das Abkommen von Minsk gebrochen. Das Recht ist eben ein dehnbarer Kaugummi. Eine Glanzstunde der Diplomatie war das Kaffeekränzchen in der Schweiz sicherlich nicht. Die korrupte Ukraine ist kein Verhandlungspartner. Deshalb knipst Putin jetzt das Licht aus. Das Verhandeln müssen die Eidgenossen noch lernen. Außer Spesen nichts gewesen.

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Hansjoerg
Vor 2 Monate 2 Wochen

Der Spruch zu den Flegel Aktionen der Herren Graber und Aeschi tönt jetzt gar stark nach SVP Support.

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KeinEidgenosse
Vor 2 Monate 2 Wochen

Vielleicht sollte sich Stefan Millius etwas eingehender damit befassen, was man in der Ukraine wirklich über die Konferenz denkt. Hier z.B. eine Stellungnahme des Journalisten Illia Ponomarenko:

https://x.com/IAPonomarenko/status/1802394299130097914

Im Kern ging es bei dieser Konferenz darum, ob der Westen (zu dem auch die Schweiz gehört?) es zulässt dass das Recht des Stärkeren über die Stärke des Rechts triumphiert. Beim Kongress haben sich 80 Teilnehmerstaaten klar dazu bekannt, dies nicht hinzunehmen. Insofern handelte es sich durchaus um eine Glanzstunde der Diplomatie!

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Andreas Graf
Vor 2 Monate 2 Wochen

Die Ukraine hat mit dem großen Bruder Amerika im Rücken großspurig bei der Konferenz von Istanbul den Frieden abgelehnt. Ebenso hat die Ukraine zuvor schon das Abkommen von Minsk gebrochen. Das Recht ist eben ein dehnbarer Kaugummi. Eine Glanzstunde der Diplomatie war das Kaffeekränzchen in der Schweiz sicherlich nicht. Die korrupte Ukraine ist kein Verhandlungspartner. Deshalb knipst Putin jetzt das Licht aus. Das Verhandeln müssen die Eidgenossen noch lernen. Außer Spesen nichts gewesen.

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KeinEidgenosse
Vor 2 Monate 2 Wochen

Das Abkommen von Minsk II war bereits kurz nach der Unterzeichnung hinfällig, als russische Truppen zum Sturm auf Debalzewe antraten und den Ort drei Tage nach der offiziell verkündeten Waffenruhe eroberten. Aber das ist auch wenig überraschend. Putin hat sich noch nie an irgendwelche Abkommen wie das Budapest Memorandum gehalten, das der Ukraine im Tausch für ihre Atomwaffen territoriale Integrität zusicherte.

Und was Frieden oder Waffenstillstand mit Russland bedeuten, wurde auf den Strassen von Butscha und in den Massengräbern von Izium klar ersichtlich. Aber klar, die Korruption in der Ukraine gibt Putin natürlich das Recht, ihr das "Licht auszuknipsen". Wo doch Russland der Hort von Recht und Gesetz ist... . Das Böse ist immer abscheulich, aber manchmal ist es auch lächerlich.