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Ideologische Kündigung?

Junger Lehrer verliert Job wegen Demos und Pro-Familien-Positionen

Nun, Nelsi Pelinku, der 33-jährige katholische österreichische Lehrer albanischer Abstammung, von dem hier die Rede ist, hat tatsächlich Demonstrationen besucht, die als kontrovers angesehen werden. Darunter zählt auch die Teilnahme an einer Mahnwache der Identitären Bewegung am 6. August 2019 in Wien. Zwei Jahre später wurde er als Landesvertragslehrer an einer Mittelschule im österreichischen Bundesland Salzburg angestellt.

Diese und andere Teilnahmen und die Ausübung seiner Meinungsfreiheit wurden ihm zum Verhängnis. Nicht direkt, wenn man die Akten sorgfältig durchsichtet.

Nelsi Pelinku: „Natürlich habe auch ich mich nicht lupenrein verhalten und Fehler begangen. Trotzdem war die Kündigung eine überschießende Maßnahme.“

Das Arbeitsverhältnis war wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Effizienz des Unterrichts an der Mittelschule bereits angespannt. Pelinku störte sich am „Teamteaching“, einer Unterrichtsmethode, bei der zwei Lehrer gemeinsam unterrichten. Pelinku empfand „die Zusammenarbeit im Teamteaching als Zwang und konnte keinen Mehrwert darin erkennen“. In diesem Zusammenhang wurden mehrere Konflikte zwischen Lehrkräften und Pelinku protokolliert.

Das wäre aber im Rahmen des normalen Konfliktes geblieben, wenn die Dinge nicht eine merkwürdige Wendung genommen hätten.

Die Internet-Denunzianten

Drei Schülerinnen googelten den Namen des Lehrers im Dezember 2022 und stießen auf einen Eintrag der linksradikalen Gruppierung „Recherche Wien“, der als „Adventskalender 2022“ tituliert war: „Türchen Nr. 17: Nelsi Pelinku“. Da wurde Pelinku gedoxxt. Doxxen bedeutet, persönliche Informationen von jemandem, ohne dessen Erlaubnis öffentlich zu teilen. Eine Internetpraxis, die von Aktivisten aller Art, in diesem Fall von Linksextremisten, gerne praktiziert wird. 

Dort wurden sein vollständiger Name, Beruf, Arbeitsort und Demonstrationsteilnahmen veröffentlicht, die sich über mehrere Jahre erstreckten. In der Online-Fiche wird Pelinku wie folgt beschrieben: „Und was macht Nelsi, wenn er nicht gerade Kinder und Jugendliche rechte Scheiße indoktriniert? Wie ihr auf folgenden Bildern sehen könnt, marschiert Nelsi Pelinku gern mit Rechtsextremisten auf Coronademos oder reiht sich ein bei den christlichen Fundamentalist*innen beim Marsch für die Familie.“

Wie aus den Gerichtsakten hervorgeht, die Corrigenda vorliegen, hat Pelinku die Schule kurz vor Weihnachten vorab über eine möglicherweise bevorstehende Veröffentlichung seiner Person im Internet informiert.

Nachdem sich die Schülerinnen nach der Entdeckung des Adventskalenders an die Vertrauenslehrerin gewandt hatten, meldeten sich auch einige Eltern, um sich telefonisch zu erkundigen.

Nach den Weihnachtsferien gab es Anfang 2023 ein klärendes Gespräch mit der Schulleitung. Pelinku erklärte der Schule seine Wertehaltung, betonte, Privates und Berufliches zu trennen, und versicherte, dass seine Gesinnung keinen Einfluss auf die Schule habe. Außerdem habe er einen Rechtsanwalt betreffend der Internetseite beauftragt. 

An dieser Stelle muss man fragen, wie ein neuer Internet-Eintrag einer linksradikalen Website bei der Google-Suche sofort gefunden wird. Technisch ist das möglich, wenn die Webseite von Google als relevant eingestuft wird und die Suchmaschine ihre Einträge priorisiert. Ansonsten müsste man nicht öffentliche, also wenig bekannte Personen geradezu akribisch recherchieren. Es ist daher durchaus möglich, dass die Schüler von den Betreibern der „Recherche Wien“ oder deren Umfeld informiert wurden.

Nach dem Sturm ist vor dem Sturm

Nach dem Gespräch machte die Schule am 12. Januar 2023 Meldung bei der Personalstelle über den „Adventskalender“. Daraufhin wurde Pelinku „von der Personalstelle mit Schreiben vom 13. Januar 2023 zu einer Stellungnahme aufgefordert“. 

Ende Januar 2023 antwortete Pelinku schriftlich und versicherte, dass er keiner Gruppierung angehöre und dass diese Internetseite nur aus Denunziationszwecken bestehe und sie als linksextremistisch einzustufen sei. 

Doch die Personalstelle ließ nicht locker. Sie beauftragte am 6. März 2023 das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) mit der Beantwortung der Frage, „ob sich aus der (mutmaßlichen) Teilnahme des Klägers an einer Reihe politischer Kundgebungen ‘einzeln oder in der Gesamtschau ableiten’ lasse, dass der Kläger ‘öffentlich faschistisches, antisemitisches oder rassistisches Gedankengut oder sonst eine verfassungsfeindliche Einstellung zur Schau stellt’.“ 

Das DÖW ist eine wissenschaftliche Einrichtung in Wien. Es erforscht, dokumentiert und vermittelt die Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Das DÖW wurde 1963 gegründet und spielte eine zentrale Rolle bei der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Österreich. Inzwischen gibt es Kritik daran, dass das DÖW legitime konservative Positionen als extremistisch bewertet und in „Antifa“-Manier Konservative ausforscht. In wissenschaftlichen Kreisen genießt das DÖW jedoch nach wie vor hohes Ansehen.

Im Netz des DÖW

Am 6. April 2023 ging die Stellungnahme des DÖW ein. Darin distanziert sich der behandelnde Sachbearbeiter des Falls, aus Befangenheit: 

„Da der Dienstort von Herrn Pelinku, […], zugleich mein Herkunftsort ist und ich mit mehreren Mitgliedern des Kollegiums, darunter auch die Schulleiterin, persönlich bekannt bin, habe ich es im Sinne der Vermeidung des Anscheins von Befangenheit für angebracht erachtet, Ihre Anfrage von meinen KollegInnen im Arbeitsbereich Rechtsextremismus des DÖW bearbeiten zu lassen. Deren Beantwortung Ihrer Fragestellung übermittle ich nachfolgend.“

Wenn sich jemand wegen Befangenheit zurückzieht und dann doch als einzige Person ohne weitere Ansprechpartner mit einem 26-seitigen Schreiben antwortet, vermittelt das nicht gerade den Eindruck, Distanz gewahrt zu haben.

Das DÖW verfasste eine 26-seitige Stellungnahme, ging akribisch auf jede einzelne Demonstrationsteilnahme ein und kam zu dem Schluss, dass alle Gruppierungen, die Demonstrationen organisiert hatten, an denen Pelinku teilgenommen hatte, in Österreich legal tätig sein dürfen, vom DÖW aber als rechtsextremistisch eingestuft werden. Und „inwieweit die hier behandelten Aktivitäten mit dem Lehrberuf an sich, mit der Wahrung seines Ansehens in der Öffentlichkeit und insbesondere mit dem Anspruch einer diskriminierungsfreien Bildungserfahrung für alle SchülerInnen unter den Bedingungen geschlechtlicher und ethnischer Diversität vereinbar ist, maßt das DÖW sich nicht zu entscheiden an.“


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Der „queerfacts“ Flyer

Besonders kontrovers war der Vorfall mit dem Flyer der „HOSI“, der am schwarzen Brett der Schule ausgehängt war. HOSI steht für „Homosexuelle Initiative“ und ist eine der ältesten und bekanntesten Organisationen für die Rechte von LSBTQIA+ in Österreich. Die Mittelschule führt regelmäßig Workshops mit der HOSI durch, auch während Pelinkus Anstellung. Am 11. April 2023 nahm Pelinku nach einem Vortrag einen Workshop-Flyer mit dem Titel „queerfacts“ vom Schwarzen Brett, zerriss ihn und warf die Reste weg.

Danach beschuldigte er die Schulleiterin im Konferenzzimmer, mit einem „pädophilen Kinderschänderverein“ zusammenzuarbeiten, was auf die Anwesenden bedrohlich wirkte. Die Schulleiterin meldete das Verhalten von Pelinku der Personalstelle, da sie es als Grenzüberschreitung und Affront empfand.

Pelinku entschuldigte sich später, übergab einen neuen Flyer, beharrte jedoch darauf, dass sich seine Meinung nicht ändern werde. 

Dieser Vorfall schien zu ruhen, fand jedoch wieder Relevanz beim Kündigungsschreiben.

Der Dienstverzicht

Nach Aussagen von Lehrkräften in den protokollierten Gesprächen spielten die Gesinnung oder Ideologie Pelinkus an der Mittelschule, insbesondere im Rahmen seiner Unterrichtstätigkeit, keine Rolle. „Es gab bei seiner Dienstverrichtung keine Hinweise auf identitäres oder rassistisches Verhalten oder Gedankengut oder auf das Vorliegen einer rechtsextremen Gesinnung“.

Ein Schreiben von Eltern, darunter zwei Mütter, die Pädagoginnen sind, ging am 19. April 2023 bei der Schulleiterin ein.  Sie kritisierten verschiedene Äußerungen von Herrn Pelinku im Unterricht sowie seine religiös geprägte Lebenseinstellung und schrieben, dass die Bildungsdirektion eine Lösung für das Problem mit Herrn Pelinku finden solle.

Daraufhin sprach die Personalstelle am 24. April 2023 einen Dienstleistungsverzicht aus. Weil „der Personalstelle Meldungen zugegangen sind, die schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen Ihrerseits vermuten lassen.“

Nähere Gründe wurden nicht genannt, obwohl Pelinku danach fragte.

In drei Schreiben, die zwischen dem 30. April und dem 2. Mai 2023 bei der Personalstelle eingegangen sind, sprachen sich Eltern und Schülern dafür aus, Pelinku weiter unterrichten zu lassen. Ohne Erfolg.

Ein verwirrendes Ende

Pelinku nahm am 25. Mai 2023 schriftlich zu den Vorwürfen Stellung, und die Personalstelle hatte den vollständigen Sachverhalt Ende Mai 2023 vorliegen.

Am 7. Juni 2023 wurde der Zentralausschuss über die geplante Kündigung informiert, der diese jedoch am 19. Juni 2023 ablehnte und stattdessen eine Ermahnung und einen Schulwechsel vorschlug. Als Begründung gab der Zentraulausschuss an, dass die „im Teamteaching aufgetretenen Probleme in dieser Form in fast allen Mittelschulen bestehen und dem dienstjungen Pelinku (knapp zwei Dienstjahre an einer Mittelschule) keine Gelegenheit eingeräumt wurde, sein Verhalten zu verbessern.“

Der Zentralausschuss ist ein Organ der Personalvertretung im öffentlichen Dienst in Österreich. Er vertritt die Interessen der Mitarbeiter einer bestimmten Gruppe (z. B. Landeslehrer) gegenüber der Dienstbehörde oder dem Dienstgeber.

Trotz der Empfehlung setzte die Personalstelle bis zum 6. Juli 2023 keine weiteren Maßnahmen. Am 6. Juli 2023 erhielt Pelinku ein 14-seitiges Kündigungsschreiben, in dem als Begründung neben den schulinternen Konflikten vor allem die eins zu eins übernommenen Inhalte des DÖW-Berichts angeführt wurden.

Vergleich zwischen dem Kündigungsschreiben der Bildungsdirektion und der Stellungnahme des DÖW im Fall Pelinku

Freispruch: Einmal ja, einmal nein

Pelinku focht seine Entlassung beim Landesgericht Salzburg an. Am 11. Juli 2024 wurde seiner Klage stattgegeben. Sein außerdienstliches Verhalten, also die Teilnahme an Demonstrationen hielt das Gericht für irrelevant. Die verbleibenden Vorfälle seien insgesamt nicht so schwerwiegend, dass sie als schwere Pflichtverletzung gewertet werden könnten. Die Kündigung war daher zumindest in erster Instanz unwirksam. 

Doch seine ehemalige Arbeitgeberin, die Bildungsdirektion des Lands Salzburg legte Berufung beim Oberlandesgericht Linz ein, weil sie mit dem Urteil nicht einverstanden war.

Im Prinzip ging es darum, festzustellen, ob das Arbeitsverhältnis nach dem 1. September 2023 weiterbesteht. Das Oberlandesgericht hat die Berufung akzeptiert. Es hat das vorherige Urteil aufgehoben und entschieden, dass das Arbeitsverhältnis von Pelinku nach dem 1. September 2023 nicht weiterbesteht.

Der Hauptgrund war aber kein inhaltlicher, sondern ein formeller. Nämlich, dass Pelinku sich nach der Kündigung auf andere Lehrerstellen beworben und dabei angegeben hatte, dass sein Arbeitsverhältnis am 31. August 2023 enden würde. Das Gericht sah darin eine Zustimmung zur Kündigung. Die Vorwürfe gegen den Lehrer wurden teilweise als berechtigt angesehen.

Wie Pelinkus Fazit aussieht

Pelinku selbst räumt gegenüber Corrigenda Fehler ein: „Natürlich habe auch ich mich nicht lupenrein verhalten und Fehler begangen. Trotzdem war die Kündigung eine überschießende Maßnahme.“ Die Entscheidung, an der Mittelschule zu unterrichten, sei rein pragmatisch gewesen. Er strebte eine Anstellung an einer österreichischen Auslandsschule an, für die ein unbefristetes Dienstverhältnis Voraussetzung war. „Ich habe so gut es ging versucht, mich anzupassen, auch wenn manches, wie das Teamteaching, mir zuwiderlief,“ erklärt er.

Die Frage, ob die Schule und die Bildungsdirektion ausreichend deeskalierende Maßnahmen ergriffen haben, bleibt ungeklärt. Anfragen dieses Magazins an das Bildungsamt, etwa ob eine Versetzung oder andere Lösungen erwogen wurden, blieben trotz mehrfachen Insistierens unbeantwortet. Pelinku sieht darin ein Versäumnis: „Die positiven Stellungnahmen von Eltern und Schülern waren bekannt, wurden aber ignoriert.“ Pelinku versucht nun, seine Rechtskosten durch Spenden zu decken.

 


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