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Kontrollen an allen deutschen Grenzen

„Bei konsequenter Zurückweisung würde sich die Frage nicht stellen“

Ob Straßen oder Bahnlinien: Seit Montag werden alle deutschen Landgrenzen stationär durch die Bundespolizei kontrolliert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte die Kontrollen für zunächst sechs Monate angeordnet und dabei ausdrücklich auch die Befugnis zu Zurückweisungen an den Grenzen erteilt. Auch wenn die Ampel unter „Zurückweisungen“ von Asylbewerbern nur Schnellverfahren versteht, wie die Opposition aus CDU/CSU und AfD sogleich monierte.

Hintergrund der ausgeweiteten Kontrollen ist der anhaltende Asyl-Massenansturm auf Deutschland, die mutmaßlich islamisch motivierten Messermorde auf einem Volksfest in Solingen sowie last, but not least die jüngsten Wahlerfolge rechts- und linkspopulistischer Parteien – alles Faktoren, die Handlungsdruck erzeugen.

Stichprobenartige Kontrollen an den Grenzen zu Polen und der Tschechischen Republik gibt es seit längerem, und die Grenze zu Österreich wird bereits seit 2015 kontrolliert – wobei Kontrollen nicht gleichbedeutend mit Zurückweisungen oder Einreiseverhinderungen sind. Insofern entsteht mit den personalintensiven regulären Polizeikontrollen an allen deutschen Landgrenzen nun eine neue Situation.

Manuel Ostermann, Vizechef der Bundespolizeigewerkschaft, die rund 20.000 Bundespolizisten vertritt, kritisiert im Interview mit Corrigenda die Bundesregierung für ihre unausgegorene Vorgehensweise: „Wir sehen viele Hürden, die wir so nicht bewerkstelligen können.“ Ostermann, der auch Mitglied der CDU ist, mahnte die Novellierung einer Reihe einschlägiger Gesetze an, um juristische Hemmnisse für effektive Zurückweisungen und Zurückschiebungen endlich zu beseitigen. Zudem forderte er, die Bundespolizei entsprechend ihrer gestiegenen Aufgaben finanziell weit besser auszustatten.

 

Sehr geehrter Herr Ostermann, waren Sie dieser Tage selbst an einer deutschen Staatsgrenze und haben sich ein Bild von der Arbeit der von Ihnen vertretenen Beamten gemacht?

Selbstverständlich sind wir im permanenten Austausch mit unseren Kolleginnen und Kollegen und dementsprechend auch vor Ort. Es gehört zu unserem Job und zu unserem Selbstanspruch, dass wir schon sehr genau wissen sollten, was bei den Polizeibeamten vor Ort los ist.

An Straßengrenzübergängen verlangsamen Ihre Kollegen den fließenden Verkehr und taxieren die Fahrzeuge. Da sitzen, sagen wir, vier Personen im Auto – wie entscheiden Sie innerhalb von zwei Sekunden: die erregen Verdacht, jene nicht?

Die Einsatzkräfte haben eine Vielzahl von polizeitaktischen Maßnahmen, um den grenzüberschreitenden Verkehr zu kontrollieren. Ein Instrument ist auch, die Verkehrsführung durch Trichterfunktionen zu verlangsamen. Die Entscheidungen, welche Person oder welche Kraftfahrzeuge schlussendlich intensiver kontrolliert werden, treffen die Einsatzkräfte vor Ort. Die polizeiliche Erfahrung und die polizeilichen Lagebilder definieren hier oftmals polizeiliches Tätigwerden. Der Erfolg gibt uns in diesem Vorgehen nachweislich recht.

Linke werfen der Bundespolizei gern „Racial Profiling“ vor – zu Recht?

Dieser Vorwurf ist eine tiefsitzende Lebenslüge linker Akteure. Die Bundespolizei hat die gesetzliche Aufgabe, unerlaubte Einreise und grenzüberschreitende Kriminalität zu verhindern. Dazu kommt, dass jede polizeiliche Maßnahme ein Eingriff in die Grundrechte darstellt, so dass die Maßnahmen in jedem Fall einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten müssen. Jeder Polizeibeamte hat genau das quasi mit der Muttermilch aufgesaugt, und die Handlung nach Recht und Gesetz bestimmt das Handeln. Am Ende ist dieser Vorwurf im Kontext zur grenzpolizeilichen Aufgabe nichts weiter als billiger Populismus auf dem Rücken der Einsatzkräfte, pietätlos und vollkommen unberechtigt.

Seit Montag kann an allen deutschen Grenzübergängen zurückgewiesen werden. Auf diesen Tag hätten Sie als Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) „lange und wahrlich intensiv hingearbeitet“, schrieben Sie in einer Pressekolumne. Sind Sie jetzt zufrieden?

Wir begrüßen ausdrücklich die Notifizierung aller deutschen Binnengrenzen (d.h. Mitteilung der Grenzkontrollen auf EU-Ebene, Anm. d. Red.). Die Bundespolizei ist Grenzbehörde und kann aufenthaltsbeendende Maßnahmen treffen. Wir dürfen jetzt zurückweisen, aber nur unter der Voraussetzung, dass die Person mit einer Wiedereinreisesperre belegt ist oder keinen Asylantrag stellt. Durch die Notifizierung greift jetzt nationales Recht, und hier haben wir mit Artikel 16a Grundgesetz und Asylgesetz eine klare rechtliche Grundlage.

Wir würden uns von Bundesinnenministerin Nancy Faeser wünschen, dass diese rechtliche Grundlage auch vollumfänglich Anwendung findet. Wäre das der Fall, dann dürfte es keinen Asylantrag an einer deutschen EU-Binnengrenze mehr geben. Ausschließlich Artikel 16a GG ist hier maßgeblich mit dem entscheidenden Absatz 2 … 

… der bestimmt, dass, wer über andere EU-Staaten beziehungsweise sichere Drittstaaten einreist, nicht asylberechtigt ist.

Ja. Die konsequente Anwendung nationaler Rechtsvorschriften bedeutet also die konsequente Zurückweisung an unseren Binnengrenzen, die nicht unter 16a Absatz 1 GG („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) fallen. Das wäre nicht nur notwendig, sondern vollumfänglich angemessen und durchsetzbar.

 

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In einem Interview haben Sie die nun in Kraft getretenen Maßnahmen der Bundesregierung als „Treppenwitz des Jahres“ bezeichnet. Warum?

Ich bin ja bereits auf die Zurückweisungen eingegangen. Die Bundesregierung verzichtet nicht nur auf die konsequente Umsetzung geltenden Rechts, sondern möchte die Bundespolizei mit den Dublin-Überstellungen beauftragen. Problematisch ist dieses Vorhaben aus mehreren Gründen.

Zählen Sie sie bitte auf.

Zum einen hat die Bundespolizei überhaupt keine Kapazitäten für diese Aufgaben, denn unsere Ermittlungsdienste sind bereits jetzt weit über das erträgliche Maß hinaus belastet, und zum anderen haben wir überhaupt keine Infrastruktur dafür. Die Bundesregierung schiebt hier eine Menge Verantwortung auf die Länder und kümmert sich selbst nicht um die Erweiterung im Rahmen von Infrastrukturmaßnahmen.

Zur Wahrheit gehört nämlich, dass wir im vergangenen Jahr knapp 50.000 dieser sogenannten Dublin-Überstellungen zu verzeichnen hatten. In der gesamten Bundesrepublik haben wir jedoch nur ca. 800 Abschiebehaftplätze, von denen wir im Verfahren knapp 400 nutzen können. Das bedeutet: Wir hätten binnen drei Stunden alle Haftplätze belegt und jede weitere Person würde auf freiem Fuß belassen werden. Darüber hinaus muss jetzt Haft durch einen Richter entschieden werden, so dass wir auch hier überhaupt keine Kapazitäten haben.

DPolG-Bundespolizeigewerkschaft-Vizechef Manuel Ostermann: „Hier sperrt sich die Bundesregierung unverständlicherweise“

Die Bundesregierung hat es versäumt, bundeseigene Abschiebehaftplätze zu installieren, und genau hier schiebt man die Verantwortung an die Länder. Darüber hinaus ist für eine Überstellung die Aufnahmebereitschaft des jeweiligen Landes Voraussetzung.

Wir sehen also viele Hürden, die wir so nicht bewerkstelligen können. Müssten wir auch nicht, wenn wir an der EU-Binnengrenze vollumfänglich zurückweisen oder zurückschieben würden, aber hier sperrt sich die Bundesregierung unverständlicherweise.

„Endlich klar definieren, wer trotz Asylantrags zurückgewiesen werden kann“

Mit den neuen Regelungen sinkt doch die Bereitschaft etwa Polens oder der Tschechei, Asylbewerber in ihren Systemen zu registrieren, andernfalls müssten sie die Betreffenden ja zurücknehmen?

Tatsächlich laufen wir Gefahr, dass keine Registrierung mehr vorgenommen wird, und damit wäre das gesamte Verfahren ohnehin ad absurdum geführt. Wir müssen ja sowieso leider vielerorts die Weigerungshaltung von Schengenvertragspartnern zur Kenntnis nehmen. Aber auch hier würde sich bei konsequenter Zurückweisung die Frage nicht stellen. Vor allem hätte Zurückweisung einen massiven „Domino-Effekt“.

Haben Sie den Eindruck, dass die Bundesinnenministerin auf Ihre Erfahrungen, Anregungen und Hinweise hört? Oder hat Berlin taube Ohren?

Politik wäre immer gut beraten, auf Profis zu hören, denn eine gute Regierung lässt sich eben auch gut beraten. Wir stehen genau dafür immer wieder und zu jeder Zeit zur Verfügung. Egal ob im Bund oder in den Ländern.

Nennen Sie uns bitte drei Ihrer dringendsten Punkte, die die Politik aus bundespolizeilicher Sicht im Interesse unserer Sicherheit zuerst lösen muss.

Paragraf 71 Aufenthaltsgesetz muss novelliert werden, damit die Bundespolizei dauerhaft im örtlichen Zuständigkeitsbereich zur Grenzbehörde gemacht wird. Somit entfällt die Debatte um Grenzkontrollen.

Das Asylgesetz bedarf ebenso der Novellierung. Dort muss endlich klar definiert werden, wer trotz Asylantrags zurückgewiesen werden kann. Die entscheidenden Punkte sind: Wenn Asylanträge offenkundig unzulässig sind, weil

- jemand mit einer Wiedereinreisesperre belegt ist, 
- ⁠oder aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, 
- ⁠oder über einen sicheren Drittstaat nach Europa eingereist ist,
- ⁠oder über ein anderes EU-Land nach Deutschland einreist, 
- ⁠oder bereits in einem anderen EU-Land registriert ist,

muss die Bundespolizei an der Grenze zurückweisen/-schieben dürfen. Auch hierfür braucht die Bundespolizei neben dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Zuständigkeit über die Prüfung und Entscheidung solcher Anträge.

Beim Bundespolizeigesetz (BPOLG) müssen präventive Möglichkeiten für Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) und Online-Durchsuchungen geschaffen werden, die die elektronische Kommunikation erfasst, bevor diese verschlüsselt wird oder nachdem diese entschlüsselt wurde.

Und der dritte Punkt: Wir brauchen im Nachtragshaushalt für 2024 mindestens 500 Millionen Euro und für das Haushaltsjahr 2025 nochmal ca. 800 Millionen für die Bundespolizei, um laufende Kosten und notwendige Investitionen abdecken zu können.

Aus der Bundespolizei wieder einen regulären Bundesgrenzschutz zu machen und diesen von schutzpolizeilichen Aufgaben zu erlösen – wäre solch eine Forderung sinnvoll? Sie haben wiederholt die unklare Zuständigkeitsfrage für die Bundespolizei kritisiert.

Die Bundespolizei ist die größte Sicherheitsbehörde Deutschlands und in der gesamten Sicherheitsarchitektur nicht mehr wegzudenken. Deutschland kann und soll nicht auf seine Bundespolizei verzichten. Dieser Vorschlag wäre ein Bärendienst für die Sicherheit in Deutschland und obendrein völlig unnötig. Ziel muss es sein, die Bundespolizei finanziell, materiell, gesetzlich und personell für die immer größer werdenden Herausforderungen zu wappnen.

 

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Kommentare

Kommentar
2
Manu
Vor 2 Monate

Es ist gut, wenn Experten wie Herr Ostermann Klartext reden. Denn das entlarvt so schön die Lügen der Politiker.

1
Andreas Graf
Vor 2 Monate

Die Bundespolizei übt nur noch eine Alibifunktion aus. Mit offenen Grenzen sind wir defacto kein Rechtsstaat mehr. Die Bundespolizisten agieren praktisch als Refugees wider Willen. Das ist die bittere Wahrheit. So deutlich darf es Herr Ostermann als Diener des „Staates“ natürlich nicht sagen.

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Andreas Graf
Vor 2 Monate

Die Bundespolizei übt nur noch eine Alibifunktion aus. Mit offenen Grenzen sind wir defacto kein Rechtsstaat mehr. Die Bundespolizisten agieren praktisch als Refugees wider Willen. Das ist die bittere Wahrheit. So deutlich darf es Herr Ostermann als Diener des „Staates“ natürlich nicht sagen.

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Manu
Vor 2 Monate

Es ist gut, wenn Experten wie Herr Ostermann Klartext reden. Denn das entlarvt so schön die Lügen der Politiker.