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Ethnische Konflikte und Christenverfolgung

Christen in Indien: brennende Kirchen, Mord und ein banger Blick nach Pakistan

Die Situation für Christgläubige in Indien ist insgesamt bedrohlich – das ist schon länger bekannt. Und es geht hier nicht um kleine Gemeinden, sondern um rund 69 Millionen Menschen. Das klingt für unsere Ohren sehr viel, dennoch sind die Christen in Indien, diesem Land mit 1,4 Milliarden Menschen, eine Minderheit von knapp fünf Prozent.

Bisher schien die Lage immer noch besser als im benachbarten Pakistan. Ein Blick über die Grenze genügt: In Faisalabad, Pakistans drittgrößter Stadt, wurden Mitte August mehrere hundert Christen zu unschuldigen Opfern wütender Übergriffe von Angehörigen der muslimischen Mehrheit – mehrere Kirchen und hunderte Häuser gingen in Flammen auf.

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Mehrere tausend Menschen ganz unterschiedlicher christlicher Konfessionen mussten fliehen. Auslöser für die Unruhen war, dass ein muslimischer Pakistani eine „Beleidigung des Koran“ gesehen haben wollte.

Leider sind derlei Vorwürfe nicht immer faktenbasiert, sondern sie können als zivile Waffe eingesetzt werden, denn nach geltender Gesetzeslage in Pakistan kann Blasphemie mit dem Tode bestraft werden, und vor Gericht ist nur geringe Beweislast erforderlich. Diese Gesamtsituation steht nicht in Einklang mit der 1948 unterzeichneten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, zu denen auch Pakistan gehört.

Christen werden zusehends gesetzlicher Willkür unterworfen

Nun verschlimmert sich also auch im indischen Bundesstaat Manipur, ganz im Osten des Subkontinents gelegen, die Lage für Christen zusehends. Ihren Anfang nahm dieser drastische Anstieg der Gewalt bereits im Jahre 2014, ziemlich exakt mit der Regierungsübernahme des auch heute noch regierenden Premierministers Narendra Modi. Die Täter sind dabei nicht nur Moslems, sondern sie kommen zunehmend aus dem Hindu-Umfeld und gehören häufig extremistischen Gruppen an, die der pro-hinduistischen Bharatiya Janata Party (BJP) nahestehen. Speziell kommt in Manipur hinzu, dass sich zwei Volksstämme – die Meitei, mehrheitlich Hindus, und die Kuki, mehrheitlich Christen – bekämpfen.

Die meisten indischen Bundesstaaten haben in den vergangenen Jahren sogenannte „Anti-Bekehrungsgesetze“ erlassen, die christliche Gruppierungen der gesetzlichen Willkür unterwerfen. Anders als in Pakistan, wo muslimische Kräfte ohne jede Kontrolle über Leben und Tod entscheiden, sind in Indien auch Muslime von politischen Repressionen betroffen. Denn in Indien gibt es zwar ungefähr dreimal so viel Muslime wie Christen, mit 15 Prozent der Bevölkerung stellen sie trotzdem eine Minderheit.

Unter den Hindus, die mit rund einer Milliarde Menschen in Indien eine 70-Prozent-Mehrheit stellen, gewinnen seit Modis Amtsübernahme extremistische Gruppen und fundamentalistische Strömungen immer mehr die Oberhand. An immer mehr Orten brechen ethnische Konflikte aus, wobei sich häufig der Kampf um politische und wirtschaftliche Ressourcen mit religiös geprägter Verfolgung auf unklare Weise mischt – ein explosives Gemisch. Hindu-Organisationen verbreiten antichristliche Botschaften und zündeln rhetorisch am eigentlich über Jahrzehnte erträglichen Verhältnis zwischen den religiösen Gemeinschaften.

Der Kampf zweier Volksgruppen

Christliche Gemeinden sind hier immer die Leidtragenden. Die Rolle muslimischer Gruppen ist dagegen ambivalent – einerseits bekämpfen sie ihrerseits die Christen, andererseits leiden auch sie unter staatlicher Repression.

Die jüngsten Unruhen in Manipur, die Anfang Mai begannen, haben ihren Ursprung in einer gerichtlichen Entscheidung des Manipur High Court, des Obersten Gerichtshofes des Bundesstaates. Der sicherte den Meitei, einer überwiegend hinduistischen ethnischen Gruppe, den Status einer „geschützten Minderheit“ zu. Dieser Status der „geschützten Minderheit“ soll im Vielvölkerstaat Indien strukturelle Diskriminierung abbauen und den Angehörigen von Minderheiten bestimmte Vorteile gewähren – die Meitei gehören aber zur Hindu-Mehrheit.

Dementsprechend sieht die christliche Minderheit der Kuki, die in dieser Region ebenfalls den Status der „geschützten Minderheit“ hat, den Versuch, die Macht und die Eigentumsverhältnisse in der Region weiter zugunsten der hinduistischen Mehrheit zu verschieben. Das Oberste Gericht Indiens bestätigte diese Einschätzung zumindest indirekt, es brandmarkte die Entscheidung des bundesstaatlichen Manipur High Court als „absolut falsch“.

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Ob das den Kuki noch hilft, scheint unklar. Sie erhielten von den lokalen Behörden, aber unmissverständlich auch durch hinduistische Nachbarn, teils aggressive Aufforderungen, ihre traditionellen Wohnorte in bestimmten Waldgebieten zu verlassen. Offensichtlich wollten die Meitei den nunmehr gerichtlich anerkannten Minderheitenschutz ausnutzen, um Land in den betreffenden Bergregionen zu kaufen – oder es anders in Besitz zu nehmen. In der eskalierenden Situation in der gesamten Region Manipur nutzten gewaltbereite Hindu-Gruppen die ethnisch strukturierten Ausschreitungen alsbald als Vorwand, um sehr gezielt gegen Christen vorzugehen – es ging nun also nicht mehr um wirtschaftliche Fragen, sondern um religiöse Verfolgung, um klare Menschenrechtsverletzungen.

Mehr als 100 getötete Christen sind bislang zu beklagen. Über 50.000 Menschen befinden sich auf der Flucht. Nicht zuletzt Frauen wurden Opfer von sexualisierter Gewalt. Ein Amateurvideo, das diese Übergriffe dokumentierte, verbreitete sich viral, was die Gewaltspirale anfachte. Auf dem 26 Sekunden langen Clip, der Corrigenda vorliegt, ist zu sehen, wie eine lärmende Meute dutzender vorwiegend junger Männer am hellichten Tag zwei splitternackte junge Frauen eine unbefestigte Straße hinaus auf ein offenes Feld verschleppt.

Die Männer tragen zum Teil lange Holzstöcke mit sich. Die Gesichter der entführten Frauen zeigen große Angst und Verzweiflung. Beide sind wehrlos der Umklammerung durch die jungen Männer ausgeliefert. Einer der Männer schlägt der zweiten der beiden Frauen unvermittelt mit der flachen Hand ins Gesicht, ein weiterer im pinkfarbenen Hoody und mit Maske greift ihr in roher Geilheit mit der rechten Hand sekundenlang ans Geschlecht. Eine der Frauen wird Medienberichten zufolge anschließend vergewaltigt.

Das „Vereinigte Christliche Forum Nordostindiens“ mahnte Gerechtigkeit an: „Wir fordern eine sofortige und gründliche Untersuchung dieses abscheulichen Verbrechens. Die Täter müssen, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit oder ihrem Hintergrund, identifiziert, festgenommen und vor Gericht gestellt werden.“

Anfang August untersagte das oberste Gericht in Manipur die Beerdigung von 35 getöteten Christen. Die Massenbeisetzung auf einem neu geschaffenen Grab auf dem Land eines Meitei-Dorfes könne provozierend wirken, hieß es laut UCA News zur Begründung. Aus Kirchenkreisen verlautete zudem, es sei von viel mehr Todesopfern auszugehen als bekannt. Die Informationslage ist auch deshalb dünn, weil es ausländischen Journalisten nicht gestattet ist, in die Region zu reisen.

„Extremistische Hindus betrachten Christen als unerwünschte Fremde“

Auffällig zurückhaltend gibt sich bis dato die indische Bundesregierung. Selina Biedermann, Mitglied der Geschäftsführung der Menschenrechtsorganisation „Christian Solidarity International“ (CSI), sieht hier Anzeichen für eine klandestine Parteinahme der Regierung in Kalkutta zugunsten der Hindus:

„Obwohl das Christentum seit fast zweitausend Jahren in Indien vertreten ist, stellen radikale Hindus Christen oft als Nicht-Inder dar. Anlässlich der Ausschreitungen in Manipur wird berichtet, dass die hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party die Gewalt gegen die christliche Minderheit weiter anheizt. Wir halten diese Berichte für glaubwürdig. Dafür spricht auch, dass die Gerüchte nicht verstummen, die massive Zerstörung christlicher Kirchen in Manipur sei von staatlichen und zentralen Behörden unterstützt worden.“

Diese Beobachtung aus Manipur bestätigt die Menschenrechtsorganisation Open Doors im Übrigen für ganz Indien:

„Extremistische Hindus betrachten Christen als unerwünschte Fremde. Sie wollen ihr Land von Islam und Christentum reinigen und schrecken nicht davor zurück, auch massive Gewalt einzusetzen, um dieses Ziel zu erreichen. Christliche Konvertiten hinduistischer Herkunft tragen in Indien die Hauptlast der Verfolgung.“

Der Präsident der Hilfsorganisation CSI, John Eibner, hat nun wegen der anhaltend dramatischen Lage in Manipur den indischen Premierminister Modi aufgefordert, der Sicherheitslage und den Rechten religiöser Minderheiten verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken. Modi reagierte darauf und gab interessanterweise seiner Empörung über die öffentliche Vergewaltigung christlicher Kuki-Frauen durch Meitei-Hindus Ausdruck. Die Vergewaltigungen, die zuvor nur Gerüchte waren, aber zur Eskalation der Proteste geführt hatten, wurden damit von höchster Stelle indirekt bestätigt. Der indische Premier sicherte in diesen und allen anderen Fällen die konsequente Strafverfolgung zu und gab erste Fahndungserfolge sowie Festnahmen bekannt – ein politisches Statement. Die Lage der Christen hat das konkret, vor Ort in Manipur also, bislang nicht verbessert.

Indien liegt auf Platz 11 der Staaten mit der stärksten Christenverfolgung

Die Situation in Indien – wie auch die schon seit längerem beobachtete katastrophale Lage in Pakistan – wird dokumentiert im Weltverfolgungsindex von Open Doors. Dort liegt Indien auf Platz 11 der Staaten, in denen Christen weltweit am meisten verfolgt werden. Die aktuelle Gewalt in Manipur, die sich aus Glaubensgründen gezielt gegen Christen richtet, bestätigt das einmal mehr und könnte dazu führen, dass Indien in der unheilvollen Rangfolge der christenfeindlichsten Länder noch weiter nach oben steigt.

Das würde auch der Reputation des Landes, die ohnehin angekratzt ist, weiter schaden, denn schon steht Indiens Premierminister Modi im Ruf, das Abgleiten in eine illiberale ethnische „Demokratie“ nicht entschieden genug zu bekämpfen. Die angestrebte ökonomische Partnerschaft mit westlichen Staaten, um das aus europäischer Sicht zu sagen, könnte Schaden nehmen, eine Vertiefung der Wirtschaftskontakte könnte in weite Ferne rücken.

Ökonomische Prosperität ist dabei für die Christen in Manipur nur ein weniger zentraler Faktor, so sehr die wirtschaftliche Not vielerorts auch drückt. Sie blicken nach Pakistan, dem Nachbarland, dem historischen Westteil Indiens. Dort ist die Lage bereits jetzt so, wie sie in Manipur werden könnte. Ganz gezielt werden dort Berufe, die als niedrig und unrein gelten, an Christen vergeben.

Wer an Christus glaubt, kann jederzeit wegen angeblicher „Blasphemie“ angezeigt werden

Jederzeit kann, wer an Jesus Christus glaubt, wegen angeblicher – tatsächlich fast nie stattfindender – „Blasphemie“ angezeigt werden, wie der Fall der Katholikin Asia Bibi, der international Schlagzeilen machte, zeigt. Die Frau wurde wegen Blasphemie zum Tode verurteilt – acht Jahre dauerte der Kampf um ihr Leben –, bis sie schließlich nach Kanada ausreisen konnte.

„Die berüchtigten Blasphemiegesetze Pakistans zielen insbesondere auf religiöse Minderheiten ab. Auch muslimische Minderheiten sind davon betroffen“, bekräftigt Open Doors. Wer eine Reform dieser Blasphemiegesetze fordert, wird offen von denjenigen unter den Muslimen im Lande bedroht, die glauben, dass „Ungläubige“ den Tod verdienten. Weil das schreckliche Beispiel Pakistans in Asien offenbar zunehmend Schule macht, leben die Christen von Manipur in wachsender Angst.

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Kommentare

Kommentar
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H.D.
Vor 1 Jahr 2 Monate

Grauenhaft, die Bilder des Mobs, und nur Männer sind zu sehen.
Weit und breit keine einzige Frau in der Öffentlichkeit.
"Das BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat den Abschluss der Partnerschaft gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium federführend vorangetrieben und unterstützt Indien mit mehr als einer Milliarde Euro pro Jahr."

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H.D.
Vor 1 Jahr 2 Monate

Grauenhaft, die Bilder des Mobs, und nur Männer sind zu sehen.
Weit und breit keine einzige Frau in der Öffentlichkeit.
"Das BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat den Abschluss der Partnerschaft gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium federführend vorangetrieben und unterstützt Indien mit mehr als einer Milliarde Euro pro Jahr."