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Kolumne „Mild bis rauchig“

Der un-menschliche Gott

Kein Volk schenkt den Hunden so viel Aufmerksamkeit wie die US-Amerikaner. Hunde sind dort ein wichtiges Mittel gegen die Vereinsamung in großen Städten und verlässliche und treue Partner da, wo Menschen ansonsten mit gelebter Verlässlichkeit und Treue Probleme haben.

In der Folge dieser Wertschätzung des Hundelebens verschaffen die Amerikaner den ungewöhnlichsten Dienstleistern ein gutes Auskommen. Da gibt es die Hunde-Hebamme, den Hunde-Trainer, den Ausrichter des Hunde-Geburtstages mit Hunde-Spielen und Hunde-Kuchen voller Zutaten aus biologischem Anbau, Eventmanager für die Hunde-Hochzeit und den Hunde-Salon mit Friseur, Massage und Nagelpflege. 

Nicht zuletzt haben Hunde in Amerika ein eigenes Facebook, das sich „My social petwork“ nennt, Hunde-Kliniken, in denen Herzprobleme, Übergewicht und sogar Burnout therapiert werden – und schließlich für die Hundeseele: all überall in den Vereinigten Staaten – Hundegottesdienste, in denen die Vierbeiner gesegnet werden in der Hoffnung, dass sie den Menschen möglichst lange als Lebenspartner und Familienmitglieder erhalten bleiben.

Die menschliche Welt wird inhuman – das Tier vermenschlicht

Diese Phänomene, die allesamt nicht Grimms Märchen, sondern der Tageswirklichkeit in den USA entnommen sind, beweisen schlussendlich das eine: Wenn die menschliche Welt tierisch und inhuman wird, wird das Tier – in diesem Fall der Hund – vermenschlicht. Die eigentlichen Eigenschaften werden ihm abtrainiert und menschliche Eigenschaften antrainiert. Am Ende wird er wohl irgendwann auch noch wählen gehen dürfen.

Auf der Basis dieser anthropomorphen Umgangsweise mit dem Tier stellt sich natürlich schnell die Frage, was das eigentlich sei – „Vermenschlichung“. Ja gut, das Hineintragen ursprünglich menschlicher Eigenschaften in eine tierische oder gar in eine rein materielle Welt. So weit, so gut. Aber was ist „menschlich“? Hier gerät ja im gegenwärtigen Zeitalter des Transhumanismus so einiges aus den Fugen. 

Eine Zeit, in der wir vom morgendlichen Klassiksender bis zum adoleszenten Popformat tagein-tagaus damit beatmet werden, dass es eine Natur des Menschen offenbar nicht gibt, sondern er zusammengesetzt ist aus den Setzungen von Überzeugungen, deren wichtigstes Merkmal die Mehrheitsfähigkeit ist. 

 

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Nein, es gibt nicht nur zwei Geschlechter, nein, die Ehe ist kein natürliches Fortpflanzungs- und Partnerschaftsparadigma, nein, es gilt nicht „Ich denke, also bin ich!“ sondern „Ich fühle, also bin ich!“ – oder genauer „Ich bin beleidigt, also bin ich!“ – nein, es gibt keine an der Erkenntnis objektiver Wahrheiten maßnehmende Handlungsmaximen, nein, die Welt, in der wir (noch) leben, organisiert sich selbst: demokratisch, halbgebildet, materialistisch, esoterisch, politisch korrekt, multireligiös und multikuturell und nicht nach womöglich diese Welt übersteigenden Gebote als Bemessungsgrundlagen für die Bewertung menschlichen Handels, sprich: die Moral.

Im Reich Gottes geht es nicht „menschlich“ zu

Sie lehnt sich nicht mehr an natürlich-menschliche Einsichten an, sondern dreht den Spieß einfach um: „natürlich“ ist das, was ich ihr sage, dass sie ist ... Der Gang der Erkenntnis beginnt also nicht bei der zu beschreibenden Sache, sondern startet einsam bei dem, der erkennen will. Er entscheidet am Ende subjektiv. Und er lebt daraufhin nach den von ihm geschaffenen subjektiven Maßstäben. Keine Natur und kein Gott können ihn in eine andere Richtung lenken als zu sich selbst. 

An dieser anthropozentrischen Weltsicht reibt sich natürlich alles, was seine geistige Herkunft nicht bei sich selbst, sondern bei Gott sucht, denn dort kreuzen sich die Parameter, und „menschlich“ und „gut“ verschmelzen zu einer neuen Einheit. Man sieht es bei der berühmten Diskussion, die Jesus mit Seinen Aposteln führt, als es um das Gerangel nach dem besten Platz geht. 

Im Markusevangelium (Vgl. Mk 10, 35-45) greift Jesus den „menschlichen“ Willen zur Macht auf und erteilt Seiner Gefolgschaft eine neue Lehre. Die Apostel Jakobus und Johannes hatten Ihn gefragt: „Lass in deinem Reich einen von uns rechts und den andern links neben dir sitzen.“ Es ist eine „menschliche“ Bitte aufgrund eines zutiefst „menschlichen“ Wesenszuges. Es geht um die besten Plätze. Typisch für das Streben der Menschen.

In der Reaktion Jesu merkt man aber indes, dass offenbar dieses Ansinnen – dieses „menschliche“ Ansinnen – so wie es geäußert wird, genauso unpassend ist, wie die Hunde-Hochzeit oder die anderen Vermenschlichungen des Hundelebens. Und zwar deswegen, weil im Reich Gottes – wie Jesus dort erklärt – andere Grundsätze gelten. 

Denn dort geht es nicht „menschlich“ zu – sondern: göttlich. Und das heißt, dass das, was wir Menschen an Maßstäben produzieren, nicht ohne weiteres gilt. Es muss an den größeren Maßstäben gemessen werden, die aus dem, den Menschen übersteigenden Willen Gottes stammen. Ein Leben als Christ, das sagt das Evangelium deutlich, richtet sich eben nicht nach den „menschlichen“ Bedürfnissen wie Karrierestreben, Vorteilssuche oder Anerkennungssucht. Sondern das Leben, das dem Ruf Christi folgt, soll eben davon Abstand nehmen. „... wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.“ (Mk 10, 43f) 

Darin besteht die entscheidende christliche Sicht auf die Welt

Jesus lässt also das üblich „Menschliche“ gerade nicht zu, wenn es darum geht, Ihm zu folgen. Im Gegenteil! Es widerspricht ganz und gar dem, was Menschen normalerweise wollen. Es setzt neue Maßstäbe und setzt die alten außer Kraft. Er stoppt das „menschliche“ Streben nach Eigennutz, weil darin Unheil liegt.

Darin besteht die entscheidende christliche Sicht auf die Welt: Dass sie nur dann wirklich „menschlicher“ werden kann – und das heißt, dem Menschen dienlicher – wenn sie sich von den alten Gleisen „menschlichen“ Denkens verabschiedet und mit den Gedanken Gottes zu denken beginnt. Denn in der Abkehr von sich selbst liegt der eigentliche Gewinn für jeden Einzelnen. 

 

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Dieser Gewinn besteht darin, die menschliche Struktur des Gegeneinanders zu durchbrechen und durch ein göttliches Miteinander zu ersetzen. Nur der, so sagt Jesus, der dienen kann, wird der Erste sein, nur der, der sich hintanstellen kann, wird vorne sein – und zwar, weil er damit das erfüllt hat, was Jesus zum Grund aller Beförderungen erklärt: die Grundhaltung des absichtslosen Dienens. 

Natürlich ist das einigermaßen schwer und es misslingt sogar bei denen, die ansonsten die Weisungen Christi ernstnehmen. Umso mehr ist jeder gehalten, sich zu bemühen, Diener zu sein. Damit will Gott nicht erniedrigen. Im Gegenteil, Er will mit Seinem Gebot helfen, die Welt weiterzubringen. Denn das, was sie am wenigsten verträgt, ist das Beherrschenwollen. 

Daran leidet sie und geht unter Umständen sogar zugrunde – wie man im Augenblick an vielen Stellen der Welt beobachten kann, wo der andere nur der Gegner ist, den ich unterjochen, bestimmen, besiegen und deswegen am Ende sogar töten darf, weil damit mein Platz gesichert ist. 

Ein Paradox des Christentums

Ein Krieg ist nichts anderes als das Ergebnis eigensinnigen Festhaltens an der menschlichen Selbstsucht – im Kleinen wie im Großen. Das Beherrschenwollen ist der Keim der Weltzerstörung. Das lehrt Jesus. Das, was der Welt hingegen hilft, ist die Liebe, die stille, duldende, barmherzige, vertrauende, versöhnende Liebe und die Bereitschaft einander zu dienen. Hier fließt niemals Blut – es sei denn das Herzblut, das man braucht, um zu dienen.

Seither ist dieses Paradox ein Wesenselement des Christentums. Wir sollen Diener sein. Jedoch nicht, um damit etwas Äußeres zu leisten. Es geht vielmehr darum, dass wir in der Tiefe unseres Herzens davon bestimmt sind, gut zueinander zu sein und nicht nur zu uns selbst. 

Und das gelingt in aller Regel nicht durch einen Dialog auf Augenhöhe, der heute immer so gerne als die Patentlösung für Probleme aller Art betrachtet wird, nicht durch eigensinniges Sichselbstnachvornebringen. Es gelingt nur durch die freiwillige Unterordnung untereinander, durch das Abschiednehmen von jeder Form des Ellenbogendenkens und durch die Wandlung des Eigensinns in das, was nur die Liebe leisten kann: in Hingabe.

So rettet Gott die Menschlichkeit

Menschen werden nur dadurch vor Unmenschlichkeit bewahrt, wenn sie sich von sich selbst abkehren und sich selbst um des anderen willen loslassen können. Wer will das angesichts der diversen derzeitigen Weltbrände leugnen, wo das ur-„menschliche“ Streben nach Macht und Besitz das Leben in großen Teilen der Welt so über alle Maßen unmenschlich macht.

Wenn es also um die Frage geht, was der christliche Glaube in unserer Zeit zu sagen hat und was er darin tun kann und muss, dann ist es dies: Vorleben, wie man der Versuchung widersteht, die Welt an den Maßstäben Gottes vorbei retten zu wollen, die – wenn man so will – „unmenschlich“ genannt werden können, sind sie doch frei von der ur-menschlichen Sucht nach sich selbst und dem, was das an Unmenschlichkeit zur Folge hat. 

Und so rettet am Ende nur der un-menschlich-göttliche Gott dem Menschen seine Menschlichkeit.

 

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Kommentar
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Dinah
Vor 7 Stunden 21 Minuten

Eine Hundehaltung, die dem Wesen des Tieres widerspricht, ist selbstverständlich problematisch für Mensch und Hund. Entsprechende Schulungen könnten hier helfen, einerseits die tierische Not zu lindern und andererseits das Bewusstsein für die Verantwortung als Hundehalter zu vergrößern.
Aber selbstredend kann ein Hund ("ein gezähmter Wolf") ein großer Gewinn im Haushalt eines Menschen sein. Oft ist er mit seinen Fähigkeiten wie z. B. seinem außerordentlichen Geruchsinn unersetzlich. Und wenn ein Hund ein bisschen Lebendigkeit in das oft dürre seelische Leben eines Menschen bringt, was sollte daran verwerflich sein? Gerade auch alleinstehende Menschen können doch sehr von diesem Tier profitieren. Zu bedenken bei der Frage, ob ein Hund angeschafft werden soll, ist allerdings die durchschnittliche Lebensdauer eines Hundes.

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PauliM
Vor 2 Tage 3 Stunden

Vielen Dank für den brillanten Artikel. Wichtige Erkenntnisse für ein besseres Selbstverständnis.

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Dinah
Vor 7 Stunden 21 Minuten

Eine Hundehaltung, die dem Wesen des Tieres widerspricht, ist selbstverständlich problematisch für Mensch und Hund. Entsprechende Schulungen könnten hier helfen, einerseits die tierische Not zu lindern und andererseits das Bewusstsein für die Verantwortung als Hundehalter zu vergrößern.
Aber selbstredend kann ein Hund ("ein gezähmter Wolf") ein großer Gewinn im Haushalt eines Menschen sein. Oft ist er mit seinen Fähigkeiten wie z. B. seinem außerordentlichen Geruchsinn unersetzlich. Und wenn ein Hund ein bisschen Lebendigkeit in das oft dürre seelische Leben eines Menschen bringt, was sollte daran verwerflich sein? Gerade auch alleinstehende Menschen können doch sehr von diesem Tier profitieren. Zu bedenken bei der Frage, ob ein Hund angeschafft werden soll, ist allerdings die durchschnittliche Lebensdauer eines Hundes.

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PauliM
Vor 2 Tage 3 Stunden

Vielen Dank für den brillanten Artikel. Wichtige Erkenntnisse für ein besseres Selbstverständnis.