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Kolumne „Küchenlatein“

Ceviche mit Pisco Sour

Das folgende Rezept werden Sie wohl außerhalb der wenigen peruanischen oder ecuadorianischen Restaurants, die hierzulande überhaupt existieren, kaum irgendwo finden: Was wir als „lateinamerikanische“ Küche kennen, beschränkt sich mehr oder weniger auf Mexiko und ist uns vor allem durch die Vermittlung (und Verformung) der US-amerikanischen Gastronomie geläufig. Ein schwerer Fehler, denn der Süden des Kontinents und allen voran der Andenraum hat hochinteressante Spezialitäten zu bieten – und Ceviche ist mir dabei die liebste, denn natürlich geht es hierbei wieder einmal um Fisch, und zwar um rohen. Oder auch eigentlich nicht, wie wir in der Folge sehen werden.

Am wichtigsten ist bei diesem Rezept natürlich die Qualität der Zutaten: Der Fisch sollte unbedingt in Sashimi-Qualität gekauft werden, um später alle bösen Überraschungen zu vermeiden. Am besten eignet sich ein recht bissfester Fisch – ich nahm für das Rezept Kabeljau –, aber selbstverständlich kann man auch gleich mehrere Sorten mischen oder auch mit Meeresfrüchten kombinieren; ich fügte zum Beispiel einige Garnelen hinzu, konnte aber leider in Warschau keine anständigen Muscheln finden. 

Zubereitung – Langzeitmarinade in Zitrussaft

Den Fisch gilt es nun je nach Konsistenz vorsichtig in kleine Würfel zu zerschneiden, ohne ihn dabei zu zerquetschen. Dann kommt das Wichtigste: Nämlich Limetten, dazu gerne auch Zitronen, pressen, pressen und pressen; und zwar, je nachdem, wieviel Fisch serviert werden soll, in ziemlich großem Maßstab, denn der Fisch soll in möglichst viel Zitrussaft marinieren können, und zwar von einer halben Stunde bis zu drei Stunden im Kühlschrank (mit Folie bedeckt), wobei man das Ganze gelegentlich vorsichtig umrühren sollte, ohne die Fischstückchen zu beschädigen. Wovon hängt die Dauer des Marinierens ab? Wesentlich vom gewünschten Endzustand des Ceviche (und dem Vertrauen in die Qualität der Hauptzutat): Wer seinen Fisch gerne noch roh isst, kann es bei der Minimaldauer belassen, wer ihn gut „durch“ haben will, sollte sich gedulden.

Spätestens jetzt mag der Leser auch meine kryptische Anspielung verstehen, dass das Ceviche ganz so roh denn nun doch nicht ist. Dies liegt daran, dass unser Fisch durch das lange Marinieren in der Zitronen- und Limettensauce tatsächlich „gekocht“ wird, wenn auch eben chemisch: Die Zitrussäure führt zu einer Denaturierung des Eiweißes, ähnlich wie beim Kochen, was nicht nur optisch, sondern auch geschmacklich sofort deutlich wird.

Der Fisch wird durch das lange Marinieren in der Zitronen- und Limettensauce tatsächlich „gekocht“

Denn der Fisch bewahrt zum einen den Eindruck extremer Frische und geschmacklicher Intensität, wie man ihn sonst nur bei Sashimi kennt, erinnert aber von der Konsistenz her eher an gekochten als rohen Fisch – ein sehr merkwürdiger Zwischenzustand, den man einfach einmal probiert haben muss, um ihn ganz nachzuvollziehen. 

Die Wurzeln des Gerichts und seine Variationen

Abgeleitet ist der Begriff „Ceviche“ übrigens entweder vom Quechua-Wort „siwichi“, was so viel wie „roher Fisch“ bedeutet, oder aber vom spanischen Gericht „Escabeche“, das eine Art in Öl und Essig eingelegten Brathering bezeichnet und sich über das Arabische etymologisch bis in das Mittelpersische zurückführen lässt, wo „sikbag“ eine Essigsuppe bezeichnet.

Die Marinade kann man dabei natürlich ganz nach Belieben verbessern: Je nach eigener Schärfetoleranz ist entsprechend roten oder grünen Chilis hinzuzufügen und etwas Salz. Später dann, wenn der Fisch genug gezogen hat, sollte man ihn unbedingt mit großzügigen Mengen roter Zwiebeln, sehr viel Koriander und, wenn man es findet, ein wenig geröstetem Chulpe-Mais servieren. Manche fügen noch gehackte Tomaten, Avocados oder Staudensellerie hinzu, was ich selbst immer als „too much“ empfinde. Eigentlich ist das auch schon fast alles; als Beilage empfehlen sich klassischerweise Süßkartoffeln und Mais.

À propos Kartoffeln: Wir alle wissen zwar, dass wir Tomaten, Kartoffeln und Mais dem amerikanischen Kontinent zu verdanken haben, denken aber wenig daran, dass auch die amerikanische Küche den europäischen Conquistadores einiges schuldet – unter anderem die Zwiebeln und Limetten, die für einen guten Ceviche so unabdingbar sind. Handelt es sich also um ein erst nach der Eroberung entstandenes Gericht? Nicht wirklich, denn auch vor der Ankunft der Spanier pflegte man in den Anden den in den trockenheißen Küstengebieten eingefangenen Fisch dadurch einfacher zu genießen und zu konservieren, dass man ihn durch eine entsprechende Marinade „chemisch“ kochte. Allerdings nutzte man dadurch die im Volksmund meist „Curuba“ genannte Frucht „Passiflora tarminiana“, deren Fruchtfleisch und Samen geschmacklich säuerlich-würzig schmecken und an Äpfel, Orangen und Gurken erinnern. 

Die Vielfalt der Andenküche verdankt sich der geographischen Lage

Ohnehin wäre die unglaubliche Vielfalt der Andenküche eine eigene Abhandlung wert; nur so viel sei hier gesagt, dass sie ihre große Abwechslung der einzigartigen geographischen Situation verdankt. Auf nur wenigen Kilometern, misst man die Lage in Luftlinie, finden wir hier ein wüstenhaftes Küstenklima, das nur hier und da von oasenhaften Flussläufen durchzogen wird; das rasch ansteigende Andengebirge, dessen Täler in kürzester Distanz verschiedenste Klimazonen durchlaufen; ein eher trockenes zentrales Hochland; und schließlich, jäh nach Osten abstürzend, die tropischen Waldgebiete des Amazonasbeckens.
 

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 Diese sehr abwechslungsreichen Klimazonen auf engstem geographischem Raum waren für die Bewohner Perus nicht nur eine große Chance für eine abwechslungsreiche Wirtschaft (und Ernährung), sie stellten sie auch vor nicht unwesentliche organisatorische Herausforderungen zur besten gegenseitigen Abstimmung. Es ist daher auch kein Wunder, wenn es wohl schon früh zu einem Zusammenschluss von Gebieten entsprechend ihrer natürlichen Komplementarität und nicht etwa ihren identischen Interessen gab, was in den Augen mancher Wissenschaftler auch der Grund dafür war, dass sich hier eine ganz besondere Form des kommunalen Arbeitseinsatzes (Mink’a) und des politisch gesteuerten Distributismus entwickelt hat, die mancher Historiker des letzten Jahrhunderts vereinfacht für proto-kommunistisch hielt.

Für den Durst

Pisco Sour

Wie steht es nun mit der flüssigen Abrundung unseres Ceviches? An gutem südamerikanischem Weißwein besteht nun wahrlich kein Mangel, so dass ich hier kaum Näheres zu schreiben brauche; ich möchte aber nicht die Gelegenheit versäumen, Sie auf meinen absoluten Lieblingscocktail hinzuweisen, der ebenfalls peruanischen Ursprungs ist: Pisco Sour! Pisco, ein peruanischer Traubenschnaps, ist hierzulande in gut sortierten Supermärkten kaum zu finden, sollte aber in jedem besseren, auf gehobeneres Alkoholika wie Whisky oder Gin spezialisierten Getränkemarkt üblicherweise vorrätig sein. 

Pisco Sour passt ideal zu Ceviche, da es ebenfalls größtenteils auf Zitrusfrüchte-Basis gemixt wird. Hierzu fügt man zu gleichen Teilen Pisco und Limettensaft in den Shaker, fügt ein halbes Teil Zuckersirup hinzu und ein ganzes Eiweiß. Das Ganze sollte dann zehn Sekunden in einem Shaker schaumig geschüttelt werden, dann nach Zugabe von Eiswürfeln ein weiteres Mal. Einen Schuss Angostura-Bitter auf den Schaum spritzen, der sich nach einiger Zeit oben absetzt, et voilà – ein idealer Cocktail zur Begleitung des Ceviche oder auch einfach nur zur Einstimmung auf Kochen!

In Rom peruanisch essen

Ceviche habe ich übrigens paradoxerweise zum ersten Mal in Rom auf einer studentischen Exkursion kennengelernt: Einer meiner Studenten, damals wohl ebenso wie ich in den Dreißigern, hatte bereits eine erste Karriere als Restaurantkoch hinter sich und Schloss sich in der Mittagspause nur ungern seinen Kommilitonen an, denen es allein darum ging, die jeweils billigste Pizzeria ausfindig zu machen. Nach einer Besichtigung der Ara Pacis schlug er mir spontan vor, mich zu seinem peruanischen Lieblingsrestaurant zu führen, das nicht allzu weit entfernt in der Via Palestro gelegen war (und dort auch heute immer noch zu finden ist). Die schiere Menge an halbrohem Fisch, roten Zwiebeln und Pisco überschatteten dann zwar ein wenig meine späteren nachmittäglichen Führungsqualitäten, die Liebe zu Ceviche ist mir aber bis heute geblieben.

Zutaten

  • Bissfester Fisch; Meeresfrüchte
  • Ausreichend Zitronen und Limetten für die Marinade (und den Pisco Sour)
  • Rote Zwiebeln
  • Süßkartoffeln
  • Mais
  • Koriander
  • Chili
  • Gerösteter Chulpe-Mais
  • Pisco
  • Eiweiß
  • Zuckersirup
  • Angostura-Bitter

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