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Ehebruch und die Folgen

Die Macht der Vergebung

Gibt es Vergebung nach Ehebruch? Und wenn der Ehemann ein evangelikaler Pastor war und es allein schon von Berufs wegen hätte besser wissen müssen? Und wenn er berühmt war? Und wenn zu seinen Schäfchen sogar Justin Bieber gehörte, den er taufte?

Offenbar gab es Vergebung für diesen Pastor. Aber nur teilweise. Seine Frau und seine Familie verziehen ihm. Weite Teile der Öffentlichkeit nicht. Seine ehemalige Gemeinde auch nicht. Der heute 45-Jährige wurde im November 2020 wegen seines bekanntgewordenen Ehebruchs aus der Freikirche entlassen.

Die Rede ist von Carl Lentz, bis 2020 Pastor der Hillsong Church New York City, und seiner Frau Laura. Hillsong ist eine internationale Megakirche, die zu Spitzenzeiten weltweit 150.000 Teilnehmer zählte. Allein in New York kamen unter Lentz’ Leitung 8.000 Besucher pro Woche zusammen.

„Höchste Priorität, unsere Ehe und Familie zu retten“

Neulich spülte der Facebook-Algorithmus den neuen Podcast des durchs Feuer gegangenen Ehepaars in meine Timeline. Das Paar, das seit 21 Jahren verheiratet ist, sitzt sich im Interviewformat „Lights On with Carl Lentz“ gegenüber, in dem Laura ihrem Carl Fragen stellt, in denen er seine Beweggründe für den Ehebruch, das Vertuschen, das Auffliegen, die aktuelle Therapie und die Wiederherstellung der Familie erläutert.

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Die erste Frage lautet wie folgt: „Warum, denkst du, haben wir so lange gewartet, bis wir wieder öffentlich reden?“ Wie im gesamten Podcast, der auf der Plattform „The B-Side“ zu finden ist, antwortet Carl ruhig und ausführlich auf alle Fragen und wirft Laura einen leicht ängstlichen Blick zu. So, als bange er, sie würde ihn vielleicht doch noch verlassen, wenn ihr etwas doch nicht passt.

So fährt er fort und sagt: „Wir haben so lange gewartet, um zu reden, weil wir eine höhere Priorität hatten, nämlich unsere Familie zu retten. Genauer gesagt, mein eigenes Leben zu retten und dann daran zu arbeiten, um zu versuchen, unsere Ehe und Familie zu retten.“

Es gab Krieg, so öffentlich, wie er nur sein konnte

Das ist insofern erstaunlich, als das Ehepaar Lentz zur damaligen New Yorker Popkulturszene gehörte. Ständig wurden sie zu linkslastigen Mainstream-Talkshows eingeladen und waren allgemein in der Medienwelt sehr beliebt, wie dieser Clip von Vice News zeigt. Carl und Laura Lentz gehörten wohl oder übel zum erweiterten Hollywood.

So bestätigt Carl seiner Frau im Podcast, dass es sehr schwierig war, ruhig zu bleiben, „weil mein Instinkt ist, sofort in den Krieg zu ziehen. Mein Instinkt ist, mich zu verteidigen.“

Und es gab Krieg. So öffentlich, wie er nur sein konnte. Carl musste seiner Frau und seiner 15-jährigen Tochter, die damals in der Jugendpsychiatrie untergebracht war, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion beibringen, dass seine Affäre aufgeflogen war und alles bald in den Medien stehen würde. Er wollte es ihnen sagen, bevor sie es aus den Medien erführen. Den damals 12-jährigen Sohn verschonten sie noch eine Weile und erzählten es ihm erst später.

Von der mittleren Tochter ist öffentlich noch wenig bekannt. Das soll sich bald ändern, denn in einer neuen Folge des Podcast kommen alle Lentz-Frauen zu Wort. Wer sich für die Details der Affäre interessiert, kann die unzähligen Boulevardartikel in der amerikanischen Presse dazu lesen.

Die Bibel hätte Laura die Trennung erlaubt – warum ist sie geblieben?

Der Aspekt der Vergebung und der Wiederherstellung wirkt auf mich als frisch Geschiedene wie ein Magnet und deshalb wertvoll, um ihn zu betrachten.

Auch wenn ich weder Carls theologische Ansichten noch seinen früheren Lebensstil als kirchlicher Prominenter gutheiße, so kann ich doch nicht die Augen davor verschließen, dass hier wahre Vergebung nach dem Vorbild Christi am Werk ist. Wenn man die theologischen Vorurteile beiseitelässt, entdeckt man in jeder Folge des Podcasts wahre Perlen.

Zunächst erstaunt die Transparenz, mit der hier der schlimmste Vertrauensbruch zwischen einem Paar dargestellt wird. Es wird weder beschönigt noch vertuscht. Laura erzählt fadengerade, dass sie die Worte „Ich vergebe dir“ erst Ende 2023 aussprechen konnte. Beide erzählen mit einer solchen Natürlichkeit von den dunkelsten Therapiestunden, dass man zwischendurch auf Pause drücken muss, weil es einem wirklich zu Herzen geht.

Auf die Frage, warum Laura nicht gegangen ist, denn die Bibel hätte es ihr nicht verboten, antworte sie, dass sie gesehen habe, wie Carl in einer Therapiestunde zusammengebrochen sei, als es um seinen eigenen Kindesmissbrauch ging. „So erschüttert habe ich ihn noch nie erlebt.“ Das habe sie motiviert, sich am Wiederherstellungsprozess zu beteiligen.

Jetzt ist alles im Licht

Später im Podcast wird darauf eingegangen, dass sich bei missbrauchten Kindern sogar das Gehirn verändert und damit auch das Verhalten und der Umgang mit Sexualität. Carl wurde in den pastoralen Dienst eingesetzt, ohne dass diese Probleme ernsthaft behandelt wurden. Früher oder später wären die Folgen sichtbar geworden. Aber auch das lässt Carl nicht als Entschuldigung gelten. Sein Geständnis zieht sich wie ein roter Faden durch den gesamten Podcast.

Jetzt ist alles im Licht. Jeder kann es sehen und hören. Jeder kann daraus lernen oder weiter lästern.

Carl spricht später im Podcast über die Vertuschungskultur der Kirchenleitung. Er behauptet, noch mehr zu wissen. „Wenn es der Marke nützte, sagten wir die Wahrheit, wenn nicht, verheimlichten wir sie.“ Und so war es in seinem Fall nicht anders.

 

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Nach dem Eklat um Lentz kam es in der Hillsong Church zu einer Reihe von Skandalen. Der australische Hillsong-Gründer Brian Houston, der besonders hart auf Carls Fehlverhalten reagierte und ihn wiederholt in den Medien anklagte, trat 2022 auch wegen unangemessenen Verhaltens gegenüber zwei Frauen von der Leitung der Freikirche zurück.

Die Lentzs haben eine Geheimhaltungsvereinbarung unterschrieben, ohne die es keine Abfindung für die Familie gegeben hätte. Er darf also nicht über Fehltritte der Leitung der Hillsong-Gruppe sprechen. Das war besonders hart angesichts der medialen Äußerungen der Kirche, die über die einmalige Veröffentlichung des Falles hinausgingen und Carl noch ein wenig piesackten.

Diese Art der Selbstdemontage wirkt ungemein anziehend

Dafür spricht Carl so ausgiebig über seine Fehler, dass es einem fast leidtut. Und doch ist diese Art Selbstdemontage ungemein anziehend. So etwas gibt es selten und schafft Vertrauen. Vertrauen, das erst wieder aufgebaut werden musste, damit seine Frau ihm verzeihen konnte.

Für mich ein kleines Online-Wunder inmitten des kalten und schnelllebigen Beziehungsklimas unserer Zeit. Wenn man bedenkt, dass sehr viele keine Beziehung führen wollen, geschweige denn heiraten, ist es erstaunlich, dass zwei Menschen ernsthaft versuchen, ihre Ehe zu retten.

Ich wünsche dem Ehepaar Lentz und der ganzen Familie alles Gute und keine Rückfälle. Mögen sich noch viele gebrochene Herzen an ihnen orientieren.

 

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Kommentare

Kommentar
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Braunmüller
Vor 4 Monate

Na, der Mann liebt, wie es scheint, die ganz große Bühne.

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Roland
Vor 4 Monate

Voyeurismus ist ein weitverbreitetes Übel. Und solche Geschichten ziehen diese Menschen an.
Journalistische Verantwortung zieht nicht alles ans Licht und ermöglicht den Protagonisten einen Neuanfang in einem unbelasteten Umfeld.
Solche narzisstische Episoden helfen niemandem als den Narzissten selbst.

Was hat das alles mit glaubhaftem, nachfolgendem Christ sein zu tun?

1
Andreas Graf
Vor 4 Monate

Der freikirchliche Hillsong Pastor Carl Lentz ist gleich einem Influencer dieser Tage. Er kehrt sein Leben selbstverliebt nach Außen in der Sucht nach Anerkennung, den sein Glaube ihm nicht geben kann. Christlich ist das nicht. Selbst Eheprobleme werden schamlos nach Außen getragen. Solche Dinge werden in der Regel unter 4 Augen geklärt. Hat er ein Problem mit zwischenmenschlicher Nähe? Das lässt auf eine gestörte Persönlichkeit schließen. Ohne eine hl. Beichte, wie im Katholischen üblich, wird er seine Probleme nicht lösen können. Die Sucht nach Selbstbestätigung treibt gefährliche giftige Blüten. Die Reise-Influencerin Aanvi Kamdar (27 Jahre) stürzte am 16.07.2024 bei einem Dreh für ein Instagram-Reel 91 Meter tief in eine Schlucht.

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Roland
Vor 4 Monate

Voyeurismus ist ein weitverbreitetes Übel. Und solche Geschichten ziehen diese Menschen an.
Journalistische Verantwortung zieht nicht alles ans Licht und ermöglicht den Protagonisten einen Neuanfang in einem unbelasteten Umfeld.
Solche narzisstische Episoden helfen niemandem als den Narzissten selbst.

Was hat das alles mit glaubhaftem, nachfolgendem Christ sein zu tun?

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Andreas Graf
Vor 4 Monate

Der freikirchliche Hillsong Pastor Carl Lentz ist gleich einem Influencer dieser Tage. Er kehrt sein Leben selbstverliebt nach Außen in der Sucht nach Anerkennung, den sein Glaube ihm nicht geben kann. Christlich ist das nicht. Selbst Eheprobleme werden schamlos nach Außen getragen. Solche Dinge werden in der Regel unter 4 Augen geklärt. Hat er ein Problem mit zwischenmenschlicher Nähe? Das lässt auf eine gestörte Persönlichkeit schließen. Ohne eine hl. Beichte, wie im Katholischen üblich, wird er seine Probleme nicht lösen können. Die Sucht nach Selbstbestätigung treibt gefährliche giftige Blüten. Die Reise-Influencerin Aanvi Kamdar (27 Jahre) stürzte am 16.07.2024 bei einem Dreh für ein Instagram-Reel 91 Meter tief in eine Schlucht.

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Braunmüller
Vor 4 Monate

Na, der Mann liebt, wie es scheint, die ganz große Bühne.