Generation Angst
Um es gleich vorwegzusagen: Ich bin kein Freund von Generationenkriegen. Im Gegenteil. Als Pfarrer einer normalen Gemeinde mit überregionalem und generationenübergreifendem Zulauf schätze ich den Wert der Familiarität. Wenn im Sonntagshochamt Kinderwagen und Rollatoren einmütig nebeneinander im Seitenschiff der Kirche geparkt werden, ist das ein Ausdruck der Katholizität.
Denn die umfasst nicht nur Menschen aller Nationen und Regionen, sondern verbindet auch Generationen in einem einmütigen, zeitlosen und daher immer jungen Bekenntnis zu einem Gott, der nicht alt wird und an keinen Ort gebunden ist. Rassismus und Nationalismus sind dem Katholizismus als weltumspannender Religion genauso fremd wie ein Kampf der Altersklassen.
Entsprechend fehlt mir als jemand, dessen Aufgabe die Seelsorge in allen Schichtungen, Altersgruppen und Problemzonen ist, das Verständnis für die fortschreitende Segmentierung unserer Gesellschaft. Ü30, U30, Ü60, U100. Gruselig! In der Folge immer weniger Plätze, an denen sich die unterschiedlichen Gruppen begegnen.
Die Sprengung der privaten und gesellschaftlichen Familie
Wenn die bunte Vielfalts- und Diversitätsdiktatur eines geschafft hat, dann die Sprengung der Familie – der privaten und der gesellschaftlichen. Von daher bin ich froh, von Menschen aller Zuschnitte im Alter, in der sozialen Stellung, Einkommensgruppen und Gewichtsklassen umgeben zu sein und von daher schon keine Ressentiments gegenüber einzelnen Teilmengen entwickeln zu dürfen.
Aha! „Teilmenge“! Ja, ich bin ein Boomer der Generation Mengenlehre! Ich bin in einer für Kinder merkwürdig unbeschwerten Welt des für sie irrealen Kalten Krieges aufgewachsen und habe deswegen damals zusammen mit meinen Artgenossen die Angst vor der Zukunft nicht gekannt. Die durchlebten Ängste unserer Eltern im Zweiten Weltkrieg waren für uns Geschichte und ad acta. „Nie wieder Krieg!“ galt als nicht weiter zu begründendes Naturgesetz.
In meiner Gymnasial- und Studienzeit kamen mir deswegen die Ängste mancher Arafat-Schal tragender Klassenkameraden und Kommilitonen übertrieben vor. Zumal ich das Glück hatte, katholisch erzogen worden zu sein und allein aus diesem Grund eine gewisse Resistenz gegen diejenigen entwickelt hatte, die uns den Sinn für Angst einzuimpfen versuchten.
Eine Imprägnierung gegen das Grundübel Hoffnungslosigkeit
Morgen- und Abendgebet, Sonntagsmesse und Wallfahrten ließen eine Imprägnierung gegen das Grundübel Hoffnungslosigkeit entstehen. Ich bin dankbar für diese Entspannungspolitik in der Erziehung meiner Jugendjahre, die es vermochte, jenseits eines naiv unbedenklichen In-den-Tag-Hineinlebens die Gewissheit ins Herz zu senken, gewollt, getragen, gerufen, gesegnet zu sein – und erlöst von der Ungewissheit über die mögliche Sinnlosigkeit meiner Existenz.
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Als ich mit dem Gedanken spielte, Priester zu werden, geriet mir ein kleines Gebetsheftchen in die Hände, das das „Informationszentrum Berufe der Kirche“ in Freiburg herausgegeben hatte. Es trug den Titel „Euer Herz sei ohne Angst!“, der in Anlehnung an ein Wort Jesu formuliert war, das im Johannesevangelium dokumentiert ist (Joh 14,1).
Diese Kleinschrift hatte einen festen Platz auf meinem Nachttisch und strahlte schon durch sein Umschlagbild mit dem segnenden auferstandenen Jesus Frieden aus. Einen Frieden, der nicht aus den Köpfen der Menschen stammt, sondern aus dem Herzen Gottes, und der deswegen auch in den Herzen der Menschen einen Platz erhalten kann, wenn sie glauben, dass es jenseits des irdischen Gartenzäunchens einen Frieden gibt, den die Welt nicht geben kann, der sich aber gleichwohl in dieser Welt ausbreiten kann, wenn er von Herz zu Herz weitergegeben wird.
Angst gehört zum Menschsein dazu – und Unterdrücker wissen das zu nutzen
Nun ist es dennoch nicht zu bestreiten, dass die Angst zum Menschsein gehört. Angst vor dem Verlust des Glücks, Angst vor dem Verlust geliebter Menschen, Angst vor der eigenen Vernichtung, vor Versagen, Verlieren und Unterliegen und vor dem Dunkel der Zukunft. In dieser Hinsicht ist es von alters her die Strategie aller Unterdrücker und Diktatoren, sich die Angst der Menschen zu Nutze zu machen. Denn die Angst ruft nach Hilfe und Sicherheit und erhöht in den Menschen die Bereitschaft zur Unterordnung unter alle, die genau dies versprechen.
Wir konnten in den Corona-Jahren sehen, wie dieses Muster funktioniert. Die Subordination unter Regelwerke und ihre Dompteure, deren oftmals skurrile Anordnungen freiwillig und manchmal sogar gegen die Einsichten des eigenen Verstandes befolgt wurden, empfand eine Mehrheit unserer Zeitgenossen als veritables Mittel, ihre Angst vor dem Tod zu bewältigen, der uns von den Autoritäten im Falle eines Zuwiderhandelns verheißen wurde.
Man steckte sich dann zwar am Ende in hoher Zahl trotz Maske und Impfung unter den Gehorsamen dennoch gegenseitig an. Aber man war ohne Angst. Angst verbreitete dann fürderhin der Ungeimpfte, und zwar gerade weil er als stigmatisierter Todesengel ohne Angst blieb und sich damit den Spielregeln entzog. Seine Angstfreiheit galt als unverantwortlich und kriminell und durfte ihm deswegen gnadenlos zum Verhängnis werden, durfte ihn aus dem beruflichen und gesellschaftlichen Leben entfernen und ihn für unzurechnungsfähig erklären.
Kein Wunder, dass die Generation Z besonders von Ängsten geplagt ist
Heute, nach besiegter Pandemie, ist man wieder zur Tagesordnung übergegangen und will nicht weiter an die Angstszenarien erinnert werden, die allabendlich in der „Tagesschau“ das Land überzogen und die sich mittlerweile schon zu einem Zeitpunkt als orchestriert herausgestellt haben, an dem die meisten noch nicht ahnten, dass der Wochenmarkt von Wuhan zu derartiger weltgeschichtlicher Bedeutung auserkoren war.
Heute gibt es neue Ängste: Putin und der dritte Weltkrieg, Terrorismus und über allem der Klimawandel, der wie eine schwarze Katze auf der Schulter sitzt und Böses ahnen lässt – namentlich das Leid der Opfergeneration der Nachgeborenen, die darunter leiden, die Suppe auslöffeln zu müssen, die die vorherige Tätergeneration der Verbrenneraffinen dieser Welt eingebrockt hat. So wenigstens lautet die Drohung der Erziehungsanstalten für Menschen ab dem Alter Ü3.
Kein Wunder, dass die Angehörigen der „Generation Z“, also die zwischen 1995 und 2010 Geborenen, ganz besonders von Ängsten geplagt werden. Wir hören und lesen, dass die heute zwischen 14- und 29-Jährigen nicht zuletzt aufgrund der Isolation in der Coronazeit, aber auch durch den Drang in die Abhängigkeit digitaler Medien und Kommunikationsformen stärker angstbesetzt sind als ältere Generationen und dass ebendies um ein Weiteres die Altersklassen auseinandertreibt.
Angst vor Speisekarten …
Ich traute meinen Augen nicht, als ich kürzlich in der Berliner Morgenpost las, dass derzeit neben der Angst vor dem Telefonieren und der Angst, jemanden nach dem Weg zu fragen, auch die Angst vor der Speisekarte weitverbreitet sei. Man fürchte sich vor der Interaktion mit einem lebenden Kellner, dem man direkt und ohne Umschweife seine Wahl zurufen muss, wenn er danach fragt.
Die Unfähigkeit zur nicht-schriftlichen Kontaktaufnahme bricht hier durch, die das in der Regel rund um die Uhr bediente Smartphone verhindert und den Menschen in „3D“ auf Sicherheitsabstand zu halten vermag. Im normalen Restaurant steht ein Kellner vor einem und nötigt einem mit der Frage „Was darf ich Ihnen bringen?“ eine leib-geistige Spontaneität auf, vor der man schlicht Angst habe.
Die Rettung erblicke man entweder in vorab gecheckten Online-Speisekarten, die es einem möglich machen, seine Entscheidung schon zu Hause zu treffen und sie dann ohne Umschweife dem Servicepersonal zuzurufen. Oder es hilft einem gar die Wahl eines Restaurants, das Tablets auf den Tischen anbietet oder mit einem QR-Code Zugang zu einer App verschafft, mittels derer man digital bestellen kann und den Kellner nur noch als Speisen-und-Getränke-Bringer kontakten muss, der keine Fragen stellt, vor denen man Angst hat – oder der gar direkt von einem Speiseroboter ersetzt ist, der als R2-D2 nur rollt und gar nichts mehr sagt.
… und die Stunde der Christen
Junge Leute hätten es nicht mehr gelernt, schwierige Situationen zu bewältigen, schreibt die Berliner Morgenpost. Schuld seien die Eltern, die ihnen keine „Coping-Strategien“ zur Bewältigung von Stress, belastenden Situationen und Angst beigebracht hätten. Mag sein, habe ich beim Lesen gedacht. Aber liegt es jenseits der psychologistischen Erklärung nicht vielleicht auch an der vollkommen ramponierten Weltsicht, innerhalb derer kein Gott mehr existiert, an dessen Schöpfung man Maß nehmen kann, wie ein Mensch ein Mensch wird? Ist nicht die Angst, die sich so flächendeckend ausbreitet, am Ende nur die Angst vor sich selbst, weil man nicht weiß, wer man ist, woher man kommt und wohin man geht?
Wenn dem so wäre – und es gibt gute Gründe, das zu vermuten –, dann wäre doch jetzt spätestens die Stunde der Christen gekommen, den iPad-Kids die Chance zu geben, jene Gelassenheit kennenzulernen, die man gewinnt, wenn man seinen Blick einmal vom Smartphone erhebt und auf das Kreuz schaut. Jesus Christus hat dort seine Angst besiegt, die ihn überkam, als ihm der Kelch vor Augen stand, der an ihm mit Sicherheit nicht vorübergehen sollte.
Er hat seine Angst besiegt durch die Gewissheit, dass ihm der Tod das Leben nicht nehmen würde. Keine einfache Sache. Aber sie hat sich gelohnt. Diese Gewissheit zu leben, ist das Signum der Christen. Sie waren in diesem Sinne schon zu allen Zeiten die „Generation Z“ – allerdings mit „Z“ für Zuversicht!
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Kommentare
"Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet." (Mk. 14, 38) - sonst erschlägt einen der Teufel, bzw. die Angst. Wo nicht mehr gebetet wird, da kommt der böse Feind und zerstört die Seele mit seinen Übeln. "Vater unser, ......., und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen." Wie elementar wichtig ist heute diese Vaterunser-Bitte!
kleines Video - Die Angst der Menschen - von Clive Lewis
https://youtu.be/EZOkOs7uG7w?si=lBCiT9BhbzlHwoQX
Wichtiges Thema, weil die Herrschenden und ihre Gehilfen die Angst zunehmend instrumentalisieren, um Menschen zu manipulieren und ihre Freiheit einzuschränken. Meistens geht es ihnen um Machterhalt, oft aber um die Verwirklichung menschenfeindlicher Ideologie. Neben der Aufklärung über die perfiden Mechanismen des Herrschens mittels Angst ist es wichtig, besonders jungen Menschen zu zeigen und ihnen vorzuleben, wie durch einen praktizierten christlichen Glauben die für ein souveränes Leben nötige Gelassenheit zu erreichen ist. "Habt keine Angst!" rief uns der heilige Johannes Paul II. zu. Grossartig!
Wieder ein hilfreicher, seelsorgerlicher Text aus Herzogenrath!