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„Schwangerschaftsgewebe“ oder Embryo?

Wie Abtreibungsaktivisten mit Halbwahrheiten Stimmung machen

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in den USA vom 24. Juni 2022, „Roe versus Wade“ aufzuheben und somit die Regelung der Abtreibung den einzelnen US-Bundesstaaten zu überlassen, rief Abtreibungsaktivisten weltweit auf den Plan. Knappe vier Monate nach dem folgenträchtigen Ereignis erschien in der linksliberalen britischen Tageszeitung The Guardian ein Artikel mit dem Titel „Wie eine Schwangerschaft vor der 10. Woche tatsächlich aussieht“.

Darin erklärte Joan Fleischman, Betreiberin einer New Yorker Abtreibungsklinik, dass die aus Büchern, Handzetteln und Webseiten allseits bekannten Bilder eines wenige Wochen alten Embryos falsch dargestellt seien. In Wahrheit sehe man keinen menschenähnlichen Fötus, sondern lediglich „Gewebe“. Manche Klientinnen der Ärztin wollten nach der Abtreibung das „Gewebe“ sehen, heißt es in dem Artikel. Sie seien überrascht, wie ungeborene Kinder eigentlich aussehe. „Damals wurde mir klar, wie sehr die Bilder im Internet und auf Plakaten – die menschenähnliche Eigenschaften in diesem frühen Entwicklungsstadium zeigen – die Kultur durchdrungen haben“, sagte Fleischman gegenüber The Guardian.

Verbreiten Lebensschützer gezielt Desinformation?

Die bekannten Bilder aus Frühschwangerschaften seien geprägt von Lebensschützern, die der Meinung sind, das Leben beginne mit der Empfängnis. Sie würden absichtlich Desinformation verbreiten, die „ihrer Sache“ diene, meinte Fleischman in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit.

In den Artikeln sind stark vergrößerte Aufnahmen des Schwangerschaftsgewebes bis zur neunten Woche abgebildet. Selbst in der siebten Woche sei noch kein Embryo sichtbar, steht in dem Text. Es ist die Rede von „verfälschenden Bildern“ der „Abtreibungsgegner“, davon, dass sich Frauen, die abgetrieben haben, „getäuscht fühlen“, wenn sie über die angeblich wahren Sachverhalte der Bilder aufgeklärt werden. Nachdem sie gesehen hätten, dass da kein kleines Lebewesen mit Händen und Füßen sei, sondern lediglich Gewebe, seien viele erleichtert gewesen.

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Seit dem im Guardian erschienenen Text tingelt die Abtreibungsärztin mit ihren Thesen durch die internationalen Medien – für die US-Tageszeitung The New York Times verfassten Fleischman und zwei weitere Abtreibungsärztinnen einen Gastbeitrag über die angeblich falsch dargestellten Embryos. Die drei Aktivistinnen leiten das „MYAbortion Network“, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, frühe Schwangerschaftsabbrüche gesellschaftlich zu normalisieren.

Argument, um Legalisierung von Abtreibung zu beschleunigen

Die Fotoreihe über die ersten Stadien einer Schwangerschaft verbreitete sich auch über Instagram-Kanäle von Influencerinnen. Von Maria Popov etwa. Popov war eine Moderatorin des queer-feministischen Social-Media-Formats „Auf Klo“ von ARD und ZDF. Nach acht Jahren wurde das Projekt jetzt Mitte Mai eingestellt, weil „Ziele nicht erreicht wurden“. Auf ihrer persönlichen Instagramseite postete die Moderatorin in einem mit dramatischer Musik unterlegten Video Fleischmans „Schwangerschaftsgewebe“-Fotos, um zu suggerieren, dass Abtreibung in Deutschland legalisiert werden sollte, da es sich ja nur um Gewebe handle. Das Reel wurde von über 34.000 Personen gelikt.

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Doch was ist nun wahr? Stimmt es, dass die in Büchern und Websites abgedruckten gängigen Bilder von Embryos mit kleinen Händchen und Füßchen in den ersten Schwangerschaftswochen „Fake News“ sind, die Lebensschützer absichtlich verbreiten, um gegen Abtreibungen vorzugehen? Sind diese Bilder in Wahrheit unwissenschaftlich? Und sieht junges Leben im Bauch der Mutter wirklich nur wie Gewebe aus?

Ab der 7. Woche sieht man Kopf, Arme und Beine

„Was man auf den Bildern sieht, könnten Teile der Plazenta, Gewebereste, Zotten und die kleine Fruchthülle sein. Natürlich ausgewaschen, das Blut sieht man nicht. Es könnten auch Teile des kürettierten Embryos dabei sein, also des toten und zermalmten Embryos“, erklärt Johannes Huber gegenüber Corrigenda. Huber war Leiter der klinischen Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Sterilitätsbehandlungen des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (AKH). 

Ein intakter Embryo schaue unter dem Ultraschall allerdings ganz anders aus. „Ab der siebten Woche sieht man unter dem Ultraschall den Kopf, Rumpf, Arme und Beine. Man kann den Herzschlag hören und sieht, wie sich das Kind bewegt. Das ist alles schön darstellbar“, klärt der Mediziner auf, der die erste Ambulanz für Transmenschen auf akademischem Boden im deutschsprachigen Raum begründete. Ab der elften Woche mache man bereits die Nackenfaltenmessung, welche Auskunft darüber gibt, ob das Kind ein erhöhtes Risiko für das Down-Syndrom hat. 

„Diese Zeitungsartikel haben ja einen anderen Hintergrund“, ist Huber überzeugt. „Wenn nicht von einem Embryo, sondern von einem Schwangerschaftsgewebe die Rede ist, dann relativiert das das menschliche Leben. Man möchte die erste Lebenszeit des Menschen relativieren und abschaffen.“

Der Embryo ist da – aber mit bloßem Auge noch nicht erkennbar

Auch eine Gynäkologin aus Bayern, die ihren Namen nicht in den Medien lesen möchte, bringt Licht ins Dunkel: „Man muss die Größenverhältnisse im Blick haben. Ab der dritten Woche nach der Empfängnis sieht man auf dem Ultraschall erst mal einen ein bis zwei Millimeter großen schwarzen Punkt, der die Fruchthülle ist, in der das Kind heranwächst. Die wächst relativ schnell. In dieser Fruchthülle ist ab der siebten Woche der Embryo zu sehen.“ 

Die ersten beiden im Guardian-Artikel abgebildeten Bilder der fünften und sechsten Schwangerschaftswoche seien richtig. „Da kann man sagen: mehr und größer ist es nicht. Trotzdem ist da, für unser Auge nicht erkennbar, der Embryo drinnen“, sagt die Ärztin gegenüber Corrigenda.

Das fortgeschrittenere „Schwangerschaftsgewebe“, welches auf den weiteren Bildern zu sehen ist, sei bereits durch die Saugkürettage gegangen. Mit dieser Absaugmethode wird der Embryo bei einer Abtreibung oder im Falle einer Fehlgeburt aus der Gebärmutter entfernt. Das abgesaugte Gewebe sehe nicht mehr so aus wie vorher im Körper.

Operieren mit Halbwahrheiten

„Das ist diese Halbwahrheit, die mit diesen Bildern ausgedrückt wird. Man ist immer wieder erstaunt, wenn man vor einer Ausschabung den Ultraschall gesehen hat, wo man wunderschön noch diesen leider nicht mehr lebendigen, acht Wochen alten Embryo von einem Zentimeter gesehen hat. Was da rausgeschabt wird, ist natürlich ganz viel Gebärmutterschleimhaut und die Fruchthülle, die in der Regel kaputtgeht“, erklärt die Gynäkologin. Am Ende der neunten Woche habe der Embryo die Größe eines Gummibärchens, also 2,5 Zentimeter, erreicht.

Die Medizinerin fasst zusammen: „Die ersten abgebildeten Fotos der fünften und sechsten Woche sind okay, da sieht es tatsächlich so aus. Die anderen Bilder sind Halbwahrheiten. Da wird völlig ausgeblendet, dass vor der Absaugung ein wunderschönes, sich entwickelndes Kind da war, das nach der Prozedur so nicht mehr erkennbar ist.

Es stellt sich also heraus, dass die Fotos der amerikanischen Abtreibungsärztin, welche die Fruchthülle, aber auch Gebärmutterschleimhaut und – ab der siebten Woche – den zerstörten Embryo darstellen, per se keine Falschinformationen sind, jedoch mit Halbwahrheiten und bewusstem Weglassen von Fakten operieren. 

„Es ist nur ein Bild von etwas, das in deinem Körper ist“, sagt die Abtreibungsärztin Michele Gomez am Ende des Guardian-Artikels. Dieses „Etwas“ ist in Wahrheit ein zarter Embryo, der in der Fruchthülle heranwächst und ab der siebten Woche unter dem Ultraschall immer mehr und täglich klarer als kleiner Mensch zu erkennen ist.

 

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Kommentare

Kommentar
12
Anastasius Grün
Vor 5 Monate 4 Wochen

Was für ein schöner, sachlicher Artikel! Der trägt zum Verständnis bei. Gewebe - freilich, und doch ein heranwachsendes Menschenkind. Wirklichkeitsgetreuen Journalismus, den gibt's noch. Fein gemacht!

8
Stiller Leser
Vor 5 Monate 3 Wochen

Dem Lob schließe ich mich an. Danke, dass es Corrigenda gibt.

4
Andreas Graf
Vor 5 Monate 3 Wochen

"Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt; und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voll Gnade und Wahrheit." (Joh 1, 14)

Als Gottes Ebenbilder dürfen wir erkennen, was hier von Beginn an entsteht. Dieses "Etwas" ist in Wahrheit etwas Wunderbares. Spätestens dann, wenn die schlaflosen schweißgebadeten Nächte beginnen, lassen erahnen, wer in Wirklichkeit die Deutungshoheit hätte innehaben sollen. Die Wahrheit lässt sich nicht leugnen. So weit muss es nicht kommen. Der Artikel der Autorin ist eindeutig gewichtet - pro Leben.

1
Rudolf Zlabinger
Vor 5 Monate 3 Wochen

Das Leben beginnt mit der Zeugung. Die Tötung ist innerhalb einer Frist kein strafrechtlicher Tatbestand. Wer hier Mord insinuiert begeht den Straftatbestand Verleumdung.

0
Ein anderer st…
Vor 5 Monate 3 Wochen

Brutal und sehr spannend! Danke!

1
Rudolf Zlabinger
Vor 5 Monate 3 Wochen

Das Leben beginnt mit der Zeugung. Die Tötung ist innerhalb einer Frist kein strafrechtlicher Tatbestand. Wer hier Mord insinuiert begeht den Straftatbestand Verleumdung.

0
Ein anderer st…
Vor 5 Monate 3 Wochen

Brutal und sehr spannend! Danke!

4
Andreas Graf
Vor 5 Monate 3 Wochen

"Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt; und wir haben seine Herrlichkeit geschaut, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voll Gnade und Wahrheit." (Joh 1, 14)

Als Gottes Ebenbilder dürfen wir erkennen, was hier von Beginn an entsteht. Dieses "Etwas" ist in Wahrheit etwas Wunderbares. Spätestens dann, wenn die schlaflosen schweißgebadeten Nächte beginnen, lassen erahnen, wer in Wirklichkeit die Deutungshoheit hätte innehaben sollen. Die Wahrheit lässt sich nicht leugnen. So weit muss es nicht kommen. Der Artikel der Autorin ist eindeutig gewichtet - pro Leben.

12
Anastasius Grün
Vor 5 Monate 4 Wochen

Was für ein schöner, sachlicher Artikel! Der trägt zum Verständnis bei. Gewebe - freilich, und doch ein heranwachsendes Menschenkind. Wirklichkeitsgetreuen Journalismus, den gibt's noch. Fein gemacht!

8
Stiller Leser
Vor 5 Monate 3 Wochen

Dem Lob schließe ich mich an. Danke, dass es Corrigenda gibt.