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Politik und Debattenkultur

Wer hat das TV-Duell zwischen Björn Höcke und Mario Voigt gewonnen?

Wer war der Sieger des TV-Duells zwischen Björn Höcke (AfD) und Mario Voigt (CDU) am Donnerstagabend? Das ist schwer zu sagen, denn beide wollen die Thüringer Landtagswahl im Herbst gewinnen. Doch um Landesthemen ging es in der von WELT ausgestrahlten Debatte kaum. Kommen wir also zuerst zu den Verlierern: Das sind die anderen Thüringer Parteien, deren Spitzenpolitiker eine Debatte mit dem Thüringer AfD-Landeschef Höcke gescheut und der Demokratie und der Debattenkultur einen Bärendienst erwiesen haben. Und auch jene Medien, die der Meinung sind, man dürfe AfD-Politikern keine Bühne bieten. Übrigens hat die Süddeutsche Zeitung am selben Tag einen Stellenabbau bestätigt.

Blickte man durch die Brille eines Ausländers aus einem nicht-deutschsprachigen Land auf die Debatte, könnte man zu dem Schluss kommen, dass sie bizarr und sinnlos ist. Da streiten ein Mittig-Konservativer und ein Rechter unerbittlich gegeneinander – statt miteinander gegen die Linken. Wieso koalieren sie nicht? Zusammen hätten sie eine Mehrheit.

Natürlich ist es so einfach nicht. Die deutsche Geschichte, insbesondere die finstere, teuflische Episode der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts können Politiker rechts der Mitte nicht einfach beiseitewischen. Die Erinnerungskultur war denn auch eines der Themen des TV-Duells.

Sag, wie hältst du’s mit Europa

Doch zunächst ging es um die Europäische Union und um Europa. Die Idee der europäischen Einigung ist eine gute, sinnvolle, historisch und zivilisatorisch kohärente. Doch auch EU-Befürworter müssen inzwischen zugeben, dass diese aktuelle Form der Einheit mindestens einer Reform bedarf. Denn die EU greift als Bürokratiemonster tief ins Privatleben der Menschen und Unternehmen ein, hat noch immer ein Demokratiedefizit und versagt gleichzeitig dort, wo sie prädestiniert dafür wäre, Lösungen im Interesse des gesamten Kontinents zu finden: Migrations-, Wirtschaft- und Sicherheitspolitik.

Der Christdemokrat Mario Voigt, Mitglied der Partei Konrad Adenauers, präsentierte sich als feuriger EU-Verteidiger. Björn Höcke hingegen möchte die EU verlassen, zerstören gar, so dass eine neue Form der europäischen Einigung entstehen könnte. Hier punktete Voigt insofern, als dass selbst unter AfD-Anhängern ein EU-Austritt eine Minderheitenposition ist.

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Bei der Migration konnte der CDU-Mann von vornherein nicht gewinnen

Zweites Thema: Migration. Mario Voigt konnte diesen Part nicht gewinnen. Er kämpfte wie mit einem 50 Kilogramm schweren Bleisack auf dem Rücken. Die CDU hat sich auch nach der zögerlich eingeleiteten Kurskorrektur durch Parteichef Friedrich Merz und seinen Generalsekretär Carsten Linnemann noch immer nicht von der Merkel-Ära erholt. Vor allem nicht in den östlichen Bundesländern. Höcke, der bis hierhin sehr passiv wirkte – die Hand am Kinn, Kopf eher nach unten gesenkt, beide Hände nach innen gedrehtauf dem Pult – konnte hier punkten. Denn auch wenn die CDU auf Lokalebene migrationseindämmende Maßnahmen einleitet – es wirkt immer so, als täten sie es vor allem deshalb, weil die AfD ihr im Nacken sitzt. Beim Thema Migration wird Voigt wahrscheinlich keinen AfD-Wähler bekehrt haben.

Die zunächst erstaunlich passiven WELT-Moderatoren Tatjana Ohm und Jan Philipp Burgard stellten Höcke ausgerechnet bei einem für die AfD entscheidenden Thema, ließen ihn nicht mehr los, bis er schließlich kommunikative Fehler beging. Und zwar ging es um Höckes Interview-Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“. Darin sagt Höcke, die SPD-Politikerin Aydan Özoğuz habe „in Deutschland nichts verloren“, „weil sie jenseits der Sprache keine spezifisch deutsche Kultur“ erkenne. Doch Höcke, der sonst sehr gut vorbereitet wirkte und auch auf sein Buch hinwies, konnte sich plötzlich nicht mehr an die Stelle erinnern und begann sich zu rechtfertigen.

Geradezu für skurrile Momente sorgten dann Szenen, in denen die Landespolitiker doch noch auf ihr Bundesland zu sprechen kamen. Voigt warf Höcke vor, seine Wahlheimat Thüringen nicht zu kennen, weil er von Mettbrötchen sprach – „in Thüringen heißt es Gehacktes“, belehrte ihn Voigt. Ebenso seltsam mutete Höckes angesetztes Geopolitikreferat über die „drei Ebenen“ des Krieges Russlands gegen die Ukraine an („Russland ist ein bedrängtes Land. Und Russland will Frieden“).

Vielleicht sind Fernsehdebatten zu Landtagswahlen doch besser bei Landessendern aufgehoben, die Landesthemen aufs Tapet bringen, weil das die Wähler doch mehr interessiert, wie ein Twitter-Nutzer kommentierte. Oder zeigten sich hier Höckes Ambitionen, in die Bundespolitik aufzusteigen?

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Fast schon rituell lenkten die Moderatoren das Gespräch auf Höckes Äußerungen zum Nationalsozialismus. Seine Wortmeldung, wonach das Berliner Holocaust-Mahnmal ein „Denkmal der Schande“ sei, werde mit Absicht falsch verstanden, beklagte sich der frühere Geschichtslehrer Höcke. Dass die Parole „Alles für Deutschland“ eine SA-Losung war, habe er nicht gewusst. Zugleich kritisierte er, dass er und seine Parteikollegen nicht zu einer Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald vor 79 Jahren eingeladen worden seien. Schließlich versuchte Höcke diesem Teil der Debatte mit einer Klarstellung ein Ende zu setzen: „Der Holocaust war eine Schande. Das war ein Zivilisationsbruch. Das stellt niemand in Abrede.“

Zwei Themen fehlten nahezu komplett

Über die Themen Familie und Religion wurde an diesem Abend leider nicht gestritten. Höcke betonte, „das Kinderkriegen wird mit der AfD nicht mehr am Geld scheitern“ und beklagte, dass es in Deutschland zu wenig Kinder gebe. 

Welche Zukunftsperspektiven boten die beiden Politiker? Mario Voigt betonte, er werde ein Ministerpräsident aller Thüringer sein und versprach ein einfacheres Leben sowie Recht und Ordnung. Björn Höcke sprach davon, die Deutschen müssten sich wieder „mit sich selbst befreunden“, nur dann hätten sie eine Zukunft.

Zum Ende des Duells bot Höcke seinem Kontrahenten Voigt Koalitionsgespräche an. Dies war ein kluger Zug, denn die Thüringer CDU-Wähler erwarten von ihrer Partei eine konservative Politik. Doch in einem Regierungsbündnis der CDU mit Grünen, Bündnis Sahra Wagenknecht, SPD oder gar der Linkspartei wird das nicht gelingen.

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Demokratie am Limit? Wohl kaum

Wer also war nun der Sieger? Beide, Höcke und Voigt. Denn Voigt, den bis vor wenigen Stunden kaum einer außerhalb Thüringens gekannt hatte, ist nun zumindest politisch halbwegs Interessierten ein Begriff. Außerdem gelang es ihm durch das direkte Duell mit Höcke, dem sich Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) nicht stellen wollte, sich als einzige Alternative zu einem möglichen Ministerpräsidenten Höcke zu präsentieren.

Höcke wiederum hat eine Bühne dafür bekommen, sich als bürgerlichen Politiker zu präsentieren, der von den Medien allzu oft, ja, auch ungerechtfertigt als Extremist diskreditiert wird. Auch hat das Duell zu einer weiteren Normalisierung der AfD beigetragen. Höcke darf in Richtung Parteikollegen behaupten: Ohne ihn hätte eine solche überregionale Fernsehdebatte mit zwei Politikern aus einem eher kleinen und wirtschaftsschwachen Bundesland nicht stattgefunden.

Schließlich haben auch Demokratie und Debattenkultur gewonnen. Denn wenn zwei Spitzenpolitiker der in Umfragen gerade führenden Parteien live im Fernsehen zivilisiert diskutieren, kann es um die Demokratie nicht so schlecht bestellt sein – wie das zahlreiche linke Politiker und Journalisten in Bezug auf CDU und AfD immerzu insinuieren.

 

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