Ein Spaltpilz
Am 18. Dezember 2023 veröffentlichte Kardinal Fernández, Leiter des Glaubensdikasteriums, die Erklärung „Fiducia supplicans“. Sie schlug wie eine Bombe ein. Von den Medien wurde, wenige Tage vor Weihnachten, die Botschaft verkündet „Die Kirche erlaubt Segnungen homosexueller Paare“.
Die Schlagzeilen spiegelten die auffällige römische Priorisierung des Themas Homosexualität: Nach dem Dokument vom November 2023 über die Rolle von Transgender und Homosexuellen bei Eheschließung und Taufe gab es nun ein Dokument, das sich prioritär gleichgeschlechtlichen Paaren zuwandte.
Fernández verwies darauf, dass der päpstliche Wunsch eines Nachdenkens über den Begriff des Segnens den Hintergrund der Erklärung gebildet habe. Aber natürlich wurde der Hinweis als simple Autorisierungsfloskel verstanden, die die Brisanz von „Fiducia supplicans“ nicht im Geringsten minderte.
Heftig brandeten die Diskussionen auf und halten an: Die afrikanischen Bischöfe verweigerten die Aufforderung zum Segen mit der deutlichen Abgrenzung, darauf zu bestehen, „alle zur Umkehr aufzurufen“. Von konservativer Seite kam die beste Auseinandersetzung mit „Fiducia supplicans“ übrigens wohl von Erik Varden OSCO, Bischof von Trondheim; ein Meisterstück an Klarheit und Differenzierung, das die „Initiative Neuer Anfang“ auf ihrer Website veröffentlichte. Vardens Überlegungen haben jene Luzidität, Präzision und Differenzierung, die man in „Fiducia supplicans“ vermisst. Ausdrücklich gegen das römische Dokument sprachen sich die Bischofskonferenzen von Ungarn und Polen aus.
Reaktionen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten
Vielen Theologen des deutschsprachigen Raumes hingegen ging die Erklärung nicht weit genug. So verwies die Vizevorsitzende des Zentralkomitees Deutscher Katholiken, Birgit Mock, auf die bereits bestehende und großzügigere Praxis von Segensfeiern in Deutschland. Mock sah die Erklärung dementsprechend als einschränkend, betonte aber, auch „nach Fiducia supplicans“ an einer Handreichung zu Segensfeiern für Paare, die nicht sakramental heiraten könnten, weiterarbeiten zu wollen.
Einen gewissen Höhepunkt der Kritik von links brachte die Stellungnahme der Katholischen Jugend Österreichs (KJÖ), die in der Tageszeitung Der Standard erklärte, „Fiducia supplicans“ strotze vor „queerfeindlichen Passagen“ und beklagte, dass sich an der „grundlegenden Lehre, wonach homosexuelle Paare auf einer niedrigeren Stufe stünden als heterosexuelle“, nichts geändert habe. An der Spitze der anders gerichteten Empörung steht der hochbetagte Kardinal Joseph Zen, der dem obersten Glaubenshüter Fernández vorwarf, schwere Sünde gut zu nennen und damit Häresie zu betreiben: „Sollte er dann nicht zurücktreten oder entlassen werden?“, fragte der ehemalige Bischof von Hongkong.
„Fiducia supplicans“, das Dokument mit dem schönen Namen, ist ein Spaltpilz. Es hat eine bis dato unerreichte Hermeneutik der Verzweiflung und Verwirrung hervorgerufen, die sich fortsetzt. Auch das Papier vom 4. Januar gehört in diesen Kontext: die nahezu untergegangene Presseerklärung von Kardinal Fernández zu „Fiducia supplicans“, die „Erklärung der Erklärung“. Die säkularen Medien hatten daran kein Interesse mehr, schon deshalb nicht, weil das ergänzende Dokument als Relativierung der ursprünglichen Erklärung verstanden werden konnte.
Die Schlüsselfrage bleibt im Hintergrund
Ungeachtet einiger Hervorhebungen, wie jener der gleichbleibenden kirchlichen Lehre über die Ehe, kann das Nachgereichte die vorausgehende Erklärung nicht retten. Eher im Gegenteil. Der brillante Kommentar von Christian Geyer auf „Communio online“ spitzt es so zu: „Der theologisch unterbestimmte Normentext nimmt durch einen pastoral überbestimmten Anmerkungsapparat kuriose Formen an.“ Tatsächlich lassen skurrile Präzisierungen des Segens (zum Beispiel „Es ist eine Angelegenheit von 10 oder 15 Sekunden“) den Text in Richtung Karikatur kippen.
Dazu kommt das unverständliche Konstrukt, dass das „Paar“ gesegnet werden soll, die „Verbindung“ aber nicht. Ist diese Trennung überhaupt möglich, fragt man sich, denn: Macht nicht genau die „Verbindung“ erst das „Paar“ aus beziehungsweise kann es ein „Paar“ ohne „Verbindung“ geben?
Die augenfälligen Peinlichkeiten und philosophischen Probleme vernebeln das eigentlich Neue: Bis zu „Fiducia supplicans“ war es zwar möglich, jeden Menschen als „Einzelperson“ zu segnen, nicht aber „als Paar“ in einer gleichgeschlechtlichen Verbindung. Nun darf plötzlich ausdrücklich das „Paar“ gesegnet werden. Durch „Fiducia supplicans“ – daran ändert auch die „Erklärung der Erklärung“ nichts – fand eine „Revolution“ statt, wie die Bild-Zeitung titelte. Das früher Undenkbare ist nun möglich. Im Hintergrund, unausgesprochen, oft wahrscheinlich nicht einmal mehr mitgedacht, bleibt die Schlüsselfrage, die im Grunde jegliches pastorale Handeln leiten müsste, jene Frage, die „Fiducia supplicans“ einfach ausspart: Ist gelebte Homosexualität nun weiterhin Sünde oder nicht?
Barmherzigkeit allein ist unvollständig
Selbst wenn man irgendwie anerkennen möchte, dass die beiden Dokumente im Dschungel der vielzitierten „Lebenswirklichkeiten“ eine Straße pastoralen Umgangs ziehen möchten, so bleibt die Tatsache, dass die notwendige scharfe Abgrenzung zur Wildnis einfach fehlt. Genau das dokumentiert die Hermeneutik der Verzweiflung in all ihren Rettungsversuchen: So führt etwa Christoph von Ritter in der Tagespost aus, dass zwischen „Segnen“ und „Absegnen“ ein klarer Unterschied bestehe und dass „liebevolle Barmherzigkeit“ erst mit dem Zuruf „Sündige hinfort nicht mehr!“ vollständig sei.
Dem ist natürlich ganz und gar zuzustimmen. Das Rätsel bleibt: Warum führt „Fiducia supplicans“ genau diese Dimension nicht aus? Warum wird der hohe Anspruch, den die Kirche wagt, weil sie den Menschen zum ewigen Heil führen möchte, in keiner der beiden Erklärungen des Glaubensdikasteriums ausdrücklich formuliert, sondern gezielt beschwiegen?
Der Versuch, in der „Erklärung der Erklärung“ von der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare abzulenken, indem ein „geschiedenes Ehepaar in einer neuen Verbindung“ als Beispiel für eine neue Segenssituation herangezogen wird, macht einfach nur sprachlos. Und: Ist es nicht überhaupt völlig irreführend, dass „Fiducia supplicans“ „Paare in irregulären Situationen“ und „gleichgeschlechtliche Paare“ in einem Atemzug nennt? Auf diese Weise werden die radikal anderen Bedingungen von Beziehungen zwischen Mann und Frau einerseits und gleichgeschlechtlichen Beziehungen andererseits de facto gelöscht.
Ambivalenzen spalten und machen die Stimme der Kirche schwach
Denn eigentlich müsste in der Argumentation berücksichtigt werden, dass eine – wenn auch „irreguläre“ – Beziehung zwischen Mann und Frau dennoch auf der Linie der Schöpfung und der natürlichen Voraussetzungen der Fortpflanzung liegt. Außerdem, dass sie, theoretisch, zu einer „regulären“ Verbindung werden kann, etwa bei Annullierung der vorausgehenden Ehe(n). Dies alles gilt für gleichgeschlechtliche Paare nicht. Im Übrigen wird es keiner jesuitischen Rhetorik je gelingen, fundamental Ungleiches als gleich und gleichwertig zu verkaufen.
Die Kirche begeht dieser Tage den Gedenktag des hl. Thomas von Aquin, dessen Tod sich am 7. März zum 750. Mal jährt. Klarheit des Denkens und der Sprache zeichnen den „Doctor Angelicus“ aus. Es ist hoch an der Zeit, sich wieder auf diese Qualitäten zu besinnen. Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen spalten und machen die Stimme der Kirche schwach. Stark ist die Kirche dann, wenn sie – im Wissen um seine Bedürftigkeit, aber auch um seine Größe – die Wahrheit über den Menschen verkündet.
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