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KOLUMNE „EIN BISSCHEN BESSER“

Heimat

„Du Judith“, frage ich meine Frau, als wir jüngst wieder nächstens mit dem Auto über die Bahn brausen, das Kindchen in seinem Sesselchen hinten eingenickt ist, und der Hund hinter dem Absperrgitter nur noch leise quiemelt, „du Judith, sind wir Nomaden?“

Ich denke an bärtige Männer, die sich in stechender Sonne in den Schatten ihrer Kamele legen, um den Turban locker zu wickeln, Wasser aus ledernen Beuteln zu trinken, und später dann an paradiesischen Quellen ihren Teppich entrollen, um sich von Scheherazade 1001 Geschichte erzählen zu lassen.

Ich denke an den Cowboy, der sich nach gelungener Rettungsaktion alleinstehender Frauen mit Kindern losreißt und mit unbewegter Miene aufrecht im Sattel der untergehenden Sonne entgegen reitet. Ich denke an rostiges Blech, Benzingeruch und heisere Motoren, die gebaut sind, um bis in die Ewigkeit auf sandigen Pisten Schluchten und Wüsten zu durchqueren. Ich suche Ennio Morricone und Bruce Springsteen auf meiner Playlist.

Ankommen und sich zu Hause fühlen

„Nein“, sagt sie und die vier Buchstaben lassen meinen Film reißen und meine Musik ertauben. In die dröhnende Leere dringen diese Worte aus Judiths Mund: „Es ist ein bisschen besser, anzukommen und sich zu Hause zu fühlen.“

Ich denke an den Dichter der deutschen Seefahrer, Johann Wilhelm Kinau aus Finkenwerder, der sich das dramatische Pseudonym „Gorch Fock“  zugelegt hatte, sich zwischendurch aber auch mal Jakob Holst und Giorgio Focco nannte, und vermutlich bei einer Funzel mit einem brennenden, in Waltran getränkten Docht seine Zeilen mit dickflüssiger Tinte niederschrieb.

Drei Stationen des Lebens

Er schildert die Stationen des Lebens mit erstens: Der Heimat den Rücken kehren, den Himmel stürmen und die Welt aus den Angeln heben. Zweitens: Sich, der Welt gram, der Heimat wieder zuwenden, in ihr alles sehen, sie zum Mittelpunkt alles Lebens machen und die Welt draußen verachten. Und drittens: mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen, mit der Welt vor Augen die Heimat liebend durchdringen.

Dichter Kinau ist nur 36 Jahre alt geworden, er starb angemessen tragisch bei einer Seeschlacht am Skagerrak in der Nordsee. Er konnte insofern nicht wissen, dass es nach der dritten Stufe wieder von vorne losgeht. „Judith“, rufe ich, „lass uns den Himmel stürmen und die Welt aus den Angeln heben“.

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