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Internet-Sexindustrie

OnlyFans ist Prostitution. Punkt, aus.

Es sind Szenen, die zum Ansehen nur schwer erträglich sind: Eine junge Frau führt einen Reporter in das Zimmer einer Londoner Airbnb-Wohnung, in dem sie soeben Sex mit 101 Männern hatte. Boden und Bett sind übersäht mit benutzten Taschentüchern und Kondomverpackungen. Ein Freier hat eine weiße Rose dagelassen. Der 31-jährige YouTuber und Reporter Joshua Pieters, der die Szenerie filmen lässt, ist sichtlich angewidert ob des Bildes, das sich ihm bietet.

Die 23-jährige Lily Phillips hat gerade einen 14-Stunden-Sex-Marathon hinter sich. Wie medienwirksam angekündigt, hat sie innerhalb eines Tages mit 101 Männern geschlafen. Für jeden Freier hatte sie zwei bis fünf Minuten Zeit. Noch zu Beginn der YouTube-Dokumentation „I Slept With 100 Men in One Day“, in der Reporter Pieters sie vor und nach dem aufsehenerregenden Vorhaben begleitet, zeigt sich Phillips selbstbewusst.

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Unbekümmert lacht sie in die Kamera und erzählt, wie sehr es ihr immer schon Spaß gemacht habe, mit vielen Männern zu schlafen. Hört man ihr beim Reden zu, bekommt man das Gefühl, hier gehe es um etwas Harmloses, Business as usual. Mittlerweile hat die „Geschäftsfrau“, wie Pieters sie nennt, acht angestellte Mitarbeiterinnen, die ihr dabei helfen, ihren „OnlyFans“-Account zu betreiben.

Phillips: „Manche Kunden sind Freunde meines Vaters“

Seit 2020 hat Phillips dort bisher zwei Millionen britische Pfund (rund 2,4 Millionen Euro) verdient, wie englische Medien berichten. Ihre Eltern seien über ihren „Job“ informiert, ihre Mutter helfe ihr sogar bei der finanziellen Abwicklung. „Manche Kunden sind Freunde meines Vaters“, erzählt Phillips in dem Making-of-Video. Die junge Frau kommt aus einem Elternhaus der Oberschicht mit allem, was dazu gehört: mehrere Häuser, teure Autos, exklusive Urlaube. „Ich hatte ein sehr komfortables, glückliches Leben. Es war die perfekte Kindheit, und ich hatte tolle Eltern“, sagt Lily Phillips in einem Interview mit der britischen Tageszeitung Daily Mail.

Die 2016 ins Leben gerufene Soziale-Medien-Plattform OnlyFans ist von Design und Funktion ähnlich aufgebaut wie „X“ (vormals Twitter), mit der Ausnahme, dass Nutzer eine monatliche Abo-Gebühr von mindestens fünf Euro zahlen müssen. Der größte Unterschied zu herkömmlichen sozialen Medien ist, dass ein Großteil der Inhalte pornografisch ist. Stars genauso wie das „Girl next door“ posten auf dem sozialen Medium sexy Fotos und Videos von sich. Will ein Konsument expliziteres Material von einer Frau sehen, muss er dafür extra zahlen – ganz im Sinne von „Sex sells“. Viele OnlyFans-Creatorinnen bieten gegen Geld persönliche Chats mit Kunden an oder gehen auf spezielle sexuelle Wünsche ihrer Follower ein.

OnlyFans wird oftmals dafür gepriesen, wie selbstbestimmt und fortschrittlich Frauen dort Online-Pornografie anbieten könnten. Sie seien ihr eigener Boss und könnten 80 Prozent der Einnahmen für sich behalten. Lediglich 20 Prozent ihres Einkommens gingen an das Unternehmen. Der monetäre Aspekt spielt keine Nebenrolle: Viele Hausfrauen ohne Einkommen oder Studentinnen träumen davon, auf der Plattform leicht und von zu Hause aus an großes Geld zu kommen. So ähnlich fing es auch bei Lily Phillips an.

Der Traum vom großen Geld lockt

Die Britin begann während ihres Studiums damit, Nacktbilder von sich auf der Plattform hochzuladen. Damals war sie 19 Jahre alt. Zu dieser Zeit war sie bereits tief in der „Hookup“-Kultur. „Hookups“ sind, wie One-Night-Stands, unverbindliche sexuelle Kontakte. In der YouTube-Dokumentation erzählt Phillips, ihr habe viel Sex immer Spaß gemacht, weshalb sie schließlich ihr Studium abgebrochen habe, um sich voll und ganz auf OnlyFans konzentrieren zu können.

Doch im Laufe des Making-of-Videos bröckelt das Bild der selbstwussten und sorglosen Pornografieanbieterin, das Phillips medial von sich zeichnet. Direkt nach dem „Projekt“ – es ist bereits Nacht – wird sie gegenüber dem Reporter nachdenklich: „Das ist nichts für schwache Mädchen. Es war hart. Ich weiß nicht, ob ich es empfehle.“ Sie scheint mit Worten zu ringen. „Wenn du ein anderer Typ Mädchen bist, würde es sich anfühlen, als ob du eine Prostituierte wärst.“ Als der YouTuber nachfragt, ob es intensiver war, als Phillip es sich vorgestellt hatte, antwortet sie mit „definitiv“ – und kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Pieters ist sichtlich getroffen.

„Es hat sich robotermäßig angefühlt“

Als sich Lily Phillips wieder etwas beruhigt hat, sagt sie überraschende Dinge. Eine Art schlechtes Gewissen quäle sie, dass sie mit den Männern, die viel Geld bezahlt hatten und teilweise extra aus dem Ausland angereist waren, nur einige wenige Minuten hatte. „Ich fühle mich schlecht deshalb“, gesteht Phillips. Und: „Es hat sich robotermäßig angefühlt.“ Manchmal habe sie einfach dissoziiert. Dissoziation ist ein psychischer Zustand, bei dem Aspekte der Realität ausgeblendet werden. Eine dissoziative Störung kann zum Beispiel durch ein traumatisches Erlebnis ausgelöst werden. Philips sagt, sie könne sich an vielleicht fünf bis zehn Männer erinnern. „Hätte ich nicht die Videos, ich könnte mich nicht erinnern“, sagt sie.

Dann bricht die junge Frau wieder in Tränen aus und lässt sich von einer Mitarbeiterin in den Arm nehmen. „Ich habe definitiv nicht erwartet, Lily am Ende so niedergeschlagen zu erleben. Ich habe gedacht, dass sie vielleicht eines Tages mit Traurigkeit auf dieses Ereignis blicken wird, aber nicht, dass das gleich danach passieren würde“, hält Pieters aus dem Off fest.

Die Dokumentation lässt einen ratlos zurück. Auf der einen Seite steht eine 23-jährige selbstständige „Geschäftsfrau“ mit Promi-Status und Top-Einkommen, die scheinbar macht, was sie liebt und im Anschluss an ihr „Projekt“ ankündigte, demnächst innerhalb 24 Stunden mit 1.000 Männern schlafen zu wollen, um den Weltrekord zu brechen. Auf der anderen Seite kommt hinter dieser lockeren, fröhlichen Fassade ein Stück Zerbrechlichkeit, Traurigkeit und tiefe Dunkelheit hervor.

Wer vermarktet sich am besten?

Eine Frau, die OnlyFans seit der ersten Stunde kennt, ist „Roxie Roots“. Von 2017 bis 2021 produzierte die Deutsche, die nicht unter ihrem echten Namen auftritt, Nacktbilder und Pornografie für die Plattform. Manchmal habe sie damit 10.000 Euro im Monat verdient. Für die 35-Jährige ist das, was auf der Plattform geschieht, nichts anderes als Prostitution.

Wie bewertet sie den medialen Hype rund um Lily Phillips Projekt, innerhalb von 14 Stunden mit über 100 Männern zu schlafen? „Es geht um Viralität. Es geht darum, irgendetwas Kontroverses zu machen in der Social-Media-Landschaft, weil der Markt überlastet ist“, sagt Roxie Roots gegenüber Corrigenda. Es ginge nicht um Authentizität, sondern um Marketing, darum, bekannt zu werden.

Aussteigerin Roxie Roots

Roxie Roots’ eigene Lebensgeschichte ist überschattet von sexuellem Missbrauch, den sie als Drei- bis Fünfjährige durch ein Familienmitglied erlebte. Das dadurch entstandene Trauma kaschierte die Deutsche über viele Jahre durch „Hypersexualität“– „um normal zu wirken und nicht sexuell gestört“, weiß sie heute.

In der Schule wurde Roots gemobbt, ihre Eltern ließen sich scheiden. Seit ihrem 13. Lebensjahr war sie in vielen „schlimmen Beziehungen“ und rutschte in Drogen ab. „Ich habe mich schwer damit getan, Grenzen zu setzen“, sagt Roots rückblickend.

„Ich war an der Universität schon eine Schlampe“

Mit 27, als sie in England lebte, kam sie in ein „promiskuitives Umfeld“. Ihr Alltag war geprägt von „Naked Rave Partys“, bei denen Drogen konsumiert wurden und Prostituierte anwesend waren. „Das Narrativ war: Brüste sind nicht sexuell, man kann sich einfach ausziehen. Es gab viele Widersprüche“, erzählt Roots. 2017 wurde sie schließlich auf einem Nacktbadestrand von einem jungen „OnlyFans-Model“ auf die Plattform hingewiesen – mit den typischen Verlockungen: man sei „sein eigener Boss“ und könne schnell viel Geld verdienen.

Lily Phillips und Roxie Roots stammen aus unterschiedlichen familiären Hintergründen. Auch dürfte die über zehn Jahre jüngere Phillips keinen sexuellen Missbrauch erlebt haben. Den Frauen ist jedoch gemeinsam, dass beide aus einem „Hookup“-Umfeld kommen, in dem hedonistische, unverbindliche Sexualität komplett entkoppelt von Liebe und Verantwortung so selbstverständlich ausgelebt wurde, als sei es das Normalste der Welt.

Auf die Frage, warum Lily Phillips mit OnlyFans anfing, sagt sie gegenüber Daily Mail: „Ich habe Sex an Männer verkauft, ohne Geld zu verdienen, also dachte ich, ich könnte auch Geld dafür verlangen.“ Sie fügt hinzu: „Ich war an der Universität schon so eine Schlampe, also dachte ich, warum versuche ich es nicht mit OnlyFans und verdiene ein bisschen Geld nebenbei?“

„Hookup“-Kultur und eine pornifizierte Gesellschaft

Dabei hatte Phillips als kleines Mädchen und Teenager märchenhafte Vorstellungen von Liebe. Sie träumte davon, ein Brautkleidergeschäft zu besitzen und überlegte, mit Geschlechtsverkehr bis zur Ehe zu warten. „Ich hatte gedacht, es ist etwas Besonderes“, erzählt sie, als sie in der Dokumentation mit Pieters die Straße entlang spaziert. „Aber dann habe ich gesehen, dass es doch nicht besonders ist und dass ich es genieße und ich es oft machen möchte“, fügt Phillips hinzu. Sie würde prinzipiell gerne heiraten, denkt aber, dass ihr Ehemann aus der Pornoindustrie sein werde oder jemand, „der mich herborgt“. „Irgendein armer Bastard wird mich schon heiraten“, sagt sie abschließend.

Roxie Roots hat den „Fall Phillips“ verfolgt. Ihre Einschätzung lautet: „Phillips hatte anscheinend diese romantischen Vorstellungen, hat dann aber erlebt, wie nicht-liebevoll und pornifiziert Sex war. Sie hat wahrscheinlich erlebt, dass es mit Nähe und Intimität nichts zu tun hat.“ Die Gesellschaft sei allgemein pornifiziert, findet Roots. Phillips habe sexuelle Kontakte vermutlich ausschließlich als Performance erlebt, für die sie Lob bekam.

 

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„Von da ist der Sprung zur Kamera nur mehr kurz“, meint die ehemalige OnlyFans-Darstellerin. Roots denkt, dass der Fakt, dass sie selbst ein Scheidungskind war und als Jugendliche Pornos konsumierte, eine Rolle in ihrer Vorstellung von Sexualität spielte. „Wie soll man da lernen, was gesund ist?“, fragt sie sich. Für Roots ist Pornografie mittlerweile nichts anderes als „gefilmte Prostitution“.

Lily Phillips: Screenshot ihres OnlyFans-Profils

Roxie Roots gibt gegenüber Corrigenda Einblicke in den Kaninchenbau, in den man aus ihrer Sicht auf der Porno-Plattform leicht schlittern kann, wenn man einmal damit beginnt. „Ich habe angefangen wie Lily Phillips mit Dessous- und Glamourbildern. So fangen fast alle an – in der Hoffnung, dass man nicht so viel von sich preisgeben muss. Das ist aber nicht so“, beschreibt sie. Die Männer wollten mehr und mehr sehen. Das schrieben sie den Frauen auch. Viele OnlyFans-Creatorinnen machen Werbung für sich auf Instagram. „Dort sieht man, was Tausende andere OnlyFans-Models so machen, oder wie reich sie aussehen. Sie wedeln mit ihren Scheinen, kaufen sich Louis-Vuitton-Taschen“, erzählt Roots.

Alles geben für Klicks und Likes

Dann kommen Zeiten, in denen man nicht genug verdiene – und erhalte Anfragen, ob man nicht einen „lesbischen Shoot“ oder „Nudes“ machen wolle. „In dieser Welt ist das alles normal. Was ich da für Fetische kennengelernt habe!“, klärt das ehemalige OnlyFans-Model auf. Die Plattform sei kein Selbstläufer. Liefere man nicht genug Content oder lassen die „Likes“ nach, beenden die Männer ihr Abonnement. „Man denkt, man muss mehr tun. Man stumpft ab. Man muss vulgär sein und darf keine Grenzen kennen. Es ist wie eine Sucht; wie eine Droge oder eine toxische Beziehung.“ Was anscheinend harmlos mit ein paar Unterwäschefotos begonnen hatte, entwickelte sich immer mehr zu einem Gefängnis.

Mit Feminismus habe dieser Zustand nichts mehr zu tun, meint Roots. Oft sagen Frauen, sie betreiben einen OnlyFans-Account, weil sie sich nicht von einem Mann abhängig machen und kein „Tradwife“ sein wollen. Stattdessen machen sie sich jedoch vom Markt abhängig. „Der Markt und das Geld bestimmen, von Selbstbestimmung kann man nicht reden. Du wirst zu einem Produkt, und du kannst nicht aufhören, dieses Produkt zu vermarkten“, ist Roots Fazit und Absage an die weitverbreitete Meinung, OnlyFans würde Frauen „empowern“.

Kraus: „Pornografie ist gefilmte Prostitution“

Eine weitere Frau, die sich mit dem Fall Lily Phillips und dem Phänomen OnlyFans auseinandersetzt, ist die Psycho- und Traumatherapeutin Ingeborg Kraus aus Karlsruhe. Viele ihrer Klienten sind Frauen, die aus der Prostitution ausgestiegen sind. Kraus teilt die Meinung von Roxie Roots: „OnlyFans ist die Ausübung von Pornografie über die sozialen Medien. Und Pornografie ist nichts anderes als gefilmte Prostitution. Alle drei Formen sind Teil der Sexindustrie, die Frauen sexuell ausgebeutet. Von Selbstbestimmung kann bei OnlyFans keine Rede sein“, stellt sie gegenüber Corrigenda fest.

Die Plattform sei ein „perfides System“, in dem die Darstellerinnen unter enormem Druck stünden, da man dort nur Geld verdiene, wenn man viele Abonnenten habe. Diese müsse man ständig bedienen, sonst seien sie weg. „Das gilt für alle, auch für bekannte Darstellerinnen wie Lily Phillips“, sagt die promovierte Psychologin, die die Initiative „Trauma und Prostitution“ gegründet hat, welche sich für ein Sexkaufverbot in Deutschland einsetzt.

Psycho- und Traumatherapeutin Ingeborg Kraus

Der Druck sei groß, nicht nur permanent etwas anzubieten, sondern immer neue Dinge zu zeigen und somit immer weiter anfänglich gesetzte Grenzen zu überschreiten – das zeige der Fall Phillips sehr deutlich. Sexuelle Perversionen würden schnell zur Normalität, weil das System immer mehr von einem verlangt. „Die Frauen sagen nicht ‘Ja’ zum Sex, sondern ‘Ja’ zu den Clicks der Abonnenten. Wenn man ‘Nein’ sagt, ist man schnell out. Dadurch geht die Fähigkeit, nein zu sagen, verloren. Das ist schon Suchtverhalten“, sagt die Psychotherapeutin, die seit über 20 Jahren Parteimitglied der Grünen ist.

Eine Mauer der Dissoziation und Selbstlüge

Vielen der Frauen, die bei ihr in Therapie waren, bezeichneten sich als freiwillige Prostituierte, seien jedoch anschließend schwer traumatisiert gewesen. „Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem eine Frau als junge Studentin in die Prostitution ging, um sich ihr Studium zu finanzieren. Sie kam anschießend zu mir mit abgebrochenem Studium, einer PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung, Anm. d. Red.), einer Depression und Alkoholabhängigkeit“, erzählt Kraus. Viele Studien hätten erwiesen, dass Frauen in der Prostitution häufiger eine PTBS entwickeln als Soldaten, die im Krieg waren. Darüber hinaus seien Frauen mit einem Trauma des sexuellen Kindesmissbrauchs bei OnlyFans überrepräsentiert, genauso wie in der Prostitution.

In der Dokumentation über Phillips „Experiment“, innerhalb von 14 Stunden mit über 100 Männern zu schlafen, sagt die Protagonistin im Anschluss, sie habe „dissoziiert“ und sich wie ein Roboter gefühlt. Dazu sagt Kraus: „Prostitution kann nur unter einem Zustand der Dissoziation ausgeführt werden. Unsere Schutzmechanismen wie Ekel, Angst, Schmerz et cetera müssen ausgeschaltet werden, um solch einen Übergriff zulassen zu können. Gedanklich muss man das, was einem gerade passiert, umdeuten, sonst könnte man es nicht ertragen“.

„Ich will das“ ist auch eine Form der Abspaltung

Eine aus der Prostitution ausgestiegene Frau soll Kraus gegenüber gesagt haben, wenn sie den Geschlechtsverkehr mit Fremden nicht als „Arbeit“ umgedeutet hätte, wäre sie daran zerbrochen. Der Zusammenbruch sei gekommen, als sie die Mauer der Dissoziation und Selbstlüge nicht mehr aufrechterhalten konnte. Im Fall von Lily Phillips äußere sich der Selbstbetrug in der Aussage: „Ich will das.“ „Das ist auch eine Form der Abspaltung“, sagt die Therapeutin.

Viele Frauen erzählten ihr, sie könnten sich nicht mehr vollständig an die Situationen erinnern. Auch Phillips erwähnte in dem Video, sie könne sich nur an fünf bis zehn Männer erinnern. „Es bleiben lediglich Fragmente der Erinnerung übrig. Sie sagen, dass sie wie Roboter in diesen Situationen handelten. Das ist typisch bei Trauma“, so Kraus.

Ausstieg aus dem Hamsterrad

Roxie Roots schaffte den Ausstieg aus der Sex-Industrie nach vier Jahren. Seitdem arbeitet sie das Trauma aus ihrer Kindheit und den damit verbundenen Folgen in einer Therapie auf. Aufklärung über Prostitution, Pornografie, Onlyfans zu verbreiten und wie ein gesunder Umgang mit Sexualität aussehen könnte, liegen der Frauenrechtsaktivistin sehr am Herzen, weshalb sie zu diesen Themen Workshops für Schulklassen gibt und sich bei internationalen Vereinen von Aussteigern aus der Szene engagiert.

Lily Phillips hingegen befindet sich noch inmitten des Hamsterrads, immer extremere und medienwirksamere Videos für OnlyFans zu produzieren. Nur wenige Tage nach ihrem „Experiment“ kündigte sie an, im Februar einen Schritt weiterzugehen: Sie wolle innerhalb von 24 Stunden mit 1.000 Männern Sex haben – um den Weltrekord zu knacken. Eine andere OnlyFans-Darstellerin kam ihr jedoch zuvor. Die 25-jährige Britin Bonnie Blue (bürgerlich: Tia Billinger) hatte im Januar 2025 innerhalb von nur zwölf Stunden Sex mit 1.057 Männern. Der Überbietungsmarathon scheint kein Ende zu nehmen: Lily Phillips machte daraufhin mit der Ankündigung einer neuen, noch abgründigeren „Challenge“ von sich reden.

Die Chancen stehen jedenfalls hoch, dass Lily Phillips früher oder später aus der OnlyFans-Spirale aussteigen wird – und dann preisgeben wird, welche Folgen das Arbeiten in der Porno-Branche in ihrem Leben hinterlassen hat.

 

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