Mensch und Person von Anfang an
Deutschland diskutiert wieder über Abtreibung. Trotz Scheiterns der Ampelkoalition drängen Abgeordnete aus den Regierungsparteien SPD und Grünen auf eine Neuregelung des Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches (StGB): Wenn es nach den „Reformern“ geht, sollen Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis nicht mehr nur unter bestimmten Bedingungen straffrei, sondern „rechtmäßig“ sein.
Die entscheidende philosophische Frage lautet: Wäre eine solche juristische Neubewertung auch rechtens im höheren, moralischen Sinne? Mit anderen Worten: Sind Abtreibungen aus ethischer Sicht gerechtfertigt?
Sich über diese Frage sachlich zu unterhalten, ist gar nicht so leicht. Denn bei kaum einem anderen moralisch relevanten Thema geraten die Emotionen derart in Wallung. Gegen leidenschaftliche Diskussion ist freilich nichts einzuwenden, zumindest solange die Gefühle nicht den Verstand lahmlegen. Genau das ist aber regelmäßig der Fall, wenn es um die Frage geht, ob Abtreibungen moralisch zulässig sind.
Das habe ich neulich selbst wieder einmal auf X erlebt. Ein Beitrag von mir, der ein schnörkelloses Argument gegen das Töten ungeborenen Lebens zusammenfasste, erhielt gleich mehrfach sinngemäß die Antwort: Bei Abtreibungen würden keine Menschen getötet, sonst müsste man ja auch Onanie als Mord ansehen. Nur ein bösartiger Online-Troll kann so tun, als kenne er den Unterschied zwischen einem Embryo und einem Spermium nicht, dachte ich mir – und lag damit offenbar falsch. Denn wenig später erzählte mir eine befreundete Biologielehrerin, dergleichen im Rahmen einer Abtreibungsdebatte auch schon von ihren Fachkollegen gehört zu haben.
Aber weder die Lust an der Provokation noch blanke Unwissenheit ändern etwas an der biologischen Tatsache, dass erst mit der befruchteten Eizelle ein neues und einzigartiges Lebewesen entsteht.
Ein logisches Argument in drei Schritten
Dass Abtreibungsbefürworter den Status des Embryos herunterspielen wollen, ist allerdings kein Zufall. Denn von diesem Status hängt in der Tat alles ab. Das wird deutlich, wenn man das bereits erwähnte, von mir neulich angeführte Argument betrachtet. Es besteht aus drei simplen Schritten und lautet wie folgt: 1. Es ist falsch, absichtlich einen unschuldigen Menschen zu töten. 2. Ungeborene Kinder (der Embryo ebenso wie der Fötus) sind unschuldige Menschen. 3. Also ist es falsch, ungeborene Kinder absichtlich zu töten.
Erfahrungsgemäß ist erst einmal niemand bereit, an der Aussage zu rütteln, dass es falsch ist, absichtlich einen unschuldigen Menschen zu töten. Das ist schließlich die Definition von Mord. Daher dreht sich meist alles um die Frage, ob der Embryo tatsächlich als Mensch zu klassifizieren ist.
Diese Frage ist übrigens auch mit Blick auf das Lieblingsargument jener entscheidend, die Abtreibungen freistellen wollen. Damit meine ich die Behauptung, Abtreibung sei primär eine Frage der weiblichen Selbstbestimmung. Wenn der abzutreibende Embryo aber ein Mensch ist, ist sofort klar, dass der Schlachtruf „My body, my choice“ völlig deplatziert ist. Denn dann geht es bei Abtreibungen in erster Linie um Leib und Leben eines anderen Menschen. Und das gilt selbst dann, wenn dieser unschuldige Mensch durch das schreckliche Verbrechen eines Dritten, also durch Vergewaltigung, entstanden ist.
Ist es denn etwa ein Hunde- oder Katzenembryo?
Dass die Frage „Was ist der Embryo?“ den neuralgischen Punkt der Diskussion ausmacht, merkt man auch daran, dass die Sprache der Abtreibungsbefürworter auf die Entmenschlichung des Embryos abzielt. Dass der Embryo nur ein „Zellklumpen“ sei, soll nichts anderes ausdrücken, als dass er kein Mensch ist.
Was also ist der Embryo? Dass es sich um ein neues und eigenständiges Lebewesen handelt, steht – trotz aller abseitigen Vergleiche mit Spermium oder Eizelle – außer Frage. Es ist schlicht eine biologische Tatsache. Daher kann die Frage eigentlich nur noch lauten, ob dieses Lebewesen auch schon ein Mensch ist. Die Antwort ist leicht zu finden. Man frage sich, zu welcher Gattung dieses embryonale Lebewesen gehört. Handelt es sich etwa um einen Hunde- oder Katzenembryo? Wenn die Eltern Menschen sind, muss auch das Kind zur selben Gattung gehören. In diesem Fall ist es ein menschlicher Embryo und damit eben ein Mensch.
> Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge.
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Embryo vom mütterlichen Organismus abhängig ist. Schließlich ist auch ein Neugeborenes alleine nicht überlebensfähig. Ist es deswegen kein Mensch? Und auch Behinderte, Kranke und alte Menschen können für ihr Überleben auf andere angewiesen sein. Hören sie deshalb auf, Menschen zu sein? Die mangelnde Selbständigkeit des Embryos kann nicht als Begründung dafür genommen werden, ihm das Menschsein abzusprechen.
Weitere ungeeignete Kriterien
Ähnliches gilt auch, wenn Verteidiger der Abtreibung auf alle möglichen, meist intellektuellen Fähigkeiten verweisen, die den Menschen angeblich zum Menschen machen, die dem Embryo aber fehlten, wie etwa Sprache, Vernunftgebrauch oder (Selbst-)Bewusstsein. Zugegeben, der Embryo verfügt noch nicht über all diese typisch menschlichen Eigenschaften.
Aber sofort zeigt sich, dass diese Kriterien ungeeignet sind, um ein Individuum als Menschen zu identifizieren: Weder verfügen Kleinkinder über Sprache noch können sie von der Vernunft Gebrauch machen. Und auch das (Selbst-)Bewusstsein des Menschen erwacht nur nach und nach. Das ungeborene und das geborene Kind haben gemeinsam, dass sie sich als Menschen und nicht erst zum Menschen entwickeln.
Außerdem kann man all diese typisch menschlichen Fähigkeiten im Laufe seines Lebens auch wieder verlieren – sei es bloß temporär oder sogar permanent. Aber hört beispielsweise ein Mensch, der ins Koma gefallen ist oder an schwerem Alzheimer leidet, deswegen auf, ein Mensch zu sein? Das zu behaupten, wäre absurd. Genauso absurd ist es dann aber auch, das Menschsein des ungeborenen Kindes, gleich ob Fötus oder Embryo, zu leugnen.
Was vom Menschsein gilt, gilt auch vom Personsein
An diesem Punkt bleibt dem philosophischen Verteidiger der Abtreibung ein letztes Manöver: Er wird nun zwar zugeben, dass Embryonen Menschen im biologischen Sinne sind, aber dafür leugnen, dass es sich um Menschen im ethisch relevanten Sinne handelt. Dass man unschuldige Menschen nicht töten dürfe, meine nämlich eigentlich nur, dass man unschuldige Personen nicht töten dürfe. Nicht alle Menschen aber seien Personen.
Wie nun aber etwa der Philosoph Robert Spaemann gezeigt hat, ist es ein Irrglaube, das Personsein an irgendwelchen manifesten Eigenschaften ablesen zu können. Das Personsein wird nicht erkannt, sondern vielmehr zuerkannt: „Jemanden eine Person nennen, heißt, ihm einen bestimmten Status zuerkennen, und zwar den Status eines Selbstzwecks“, schreibt Spaemann.
Wir erkennen Wesen wie uns das Personsein gerade auch dann zu, wenn sie noch nicht oder nicht mehr über jene Eigenschaften verfügen, die unsere Art typischerweise von anderen unterscheidet: Dem anderen als Person zu begegnen, heißt doch gerade, ihn unabhängig von seiner momentanen körperlichen oder mentalen Verfassung als einen Selbstzweck anzusehen.
Was vom Menschsein gilt, gilt daher auch vom Personsein: Das ungeborene Kind entwickelt sich nicht zur Person, sondern immer schon als Person. Als menschliche Personen haben die Ungeborenen dieselbe Würde und dasselbe Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit wie die Geborenen.
> Kennen Sie schon unseren Corrigenda-Telegram- und WhatsApp-Kanal?
Vielen Dank, sehr geehrter Herr Dr. Ostritsch, für die kompakte Zusammenfassung dieser fundierten Argumente. Ich habe es auch auf der Lebensschutzseite www.vita-et-veritas verlinkt.
Ein sehr guter Bericht, dem ich nur zustimmen kann! Schade nur, dass er wahrscheinlich überwiegend von den „falschen“ gelesen wird: Die, die ihn lesen sollten, tun es nicht -, und die, die ihn lesen, wissen es eh.
@Thomas Kunkler Ja. Aber es gibt vllt auch eine große Mitte, die sich noch nicht so viel damit beschäftigt hat. Die gilt es zu erreichen und zu gewinnen.
Monika R.
Das ist wichtig und richtig und muss immer wieder gesagt werden. Trotzdem kommt man in der rauen Diskussion, etwa mit Veganern, die den sog. Präferenzutilitarismus (Peter Singer) vertreten, leider nicht weiter. Die ideologischen Blockaden sind meist mit rationalen Argumenten nicht lösbar. Mich interessiert eher, warum viele Menschen das ungeborene, getötete Kind weniger betrauern als etwa einen süßen, kleinen, ausgesetzten Hund. 🤔
Monika R.
Das ist wichtig und richtig und muss immer wieder gesagt werden. Trotzdem kommt man in der rauen Diskussion, etwa mit Veganern, die den sog. Präferenzutilitarismus (Peter Singer) vertreten, leider nicht weiter. Die ideologischen Blockaden sind meist mit rationalen Argumenten nicht lösbar. Mich interessiert eher, warum viele Menschen das ungeborene, getötete Kind weniger betrauern als etwa einen süßen, kleinen, ausgesetzten Hund. 🤔
Vielen Dank, sehr geehrter Herr Dr. Ostritsch, für die kompakte Zusammenfassung dieser fundierten Argumente. Ich habe es auch auf der Lebensschutzseite www.vita-et-veritas verlinkt.
Ein sehr guter Bericht, dem ich nur zustimmen kann! Schade nur, dass er wahrscheinlich überwiegend von den „falschen“ gelesen wird: Die, die ihn lesen sollten, tun es nicht -, und die, die ihn lesen, wissen es eh.
@Thomas Kunkler Ja. Aber es gibt vllt auch eine große Mitte, die sich noch nicht so viel damit beschäftigt hat. Die gilt es zu erreichen und zu gewinnen.