„Frauen unter dem Deckmantel der Selbstbestimmung alleine zu lassen – das ist Häme“
Inmitten des politischen Ringens um eine neue gesetzliche Regelung zur Abtreibung hat die Frauenhilfsorganisation Profemina den „Schwangerschaftskonfliktreport 2024“ vorgelegt. Maria Nagele kennt die Details. Sie verrät, was sich Schwangere im Konflikt wünschen würden – und macht den Mitgliedern im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages einen Vorschlag.
Wenn Bundesfamilienministerin Lisa Paus, die sich für einen leichteren Zugang zur Abtreibung einsetzt, den „Schwangerschaftskonfliktreport 2024“ von Profemina lesen würde – was würde sie vermutlich am meisten verwundern?
Sie wäre wahrscheinlich sehr verwundert darüber, was sich Frauen im Schwangerschaftskonflikt wirklich wünschen. Nämlich weder einen noch leichteren Zugang zur Abtreibung noch die Abschaffung der Wartezeit nach der Beratung.
Sondern?
Sie wünschen sich umfassende Informationen, echte Beratung und tatkräftige Hilfe. Die Gretchenfrage ist nur: Würde Frau Paus überhaupt so tief in das Thema einsteigen wollen?
Was veranlasst Sie zu solcher Skepsis?
Wenn man sich die aktuellen politischen Debatten anhört, kommt man schnell zu dem Schluss: Kaum ein Politiker scheint sich dafür zu interessieren, wie die Realität von Frauen im Schwangerschaftskonflikt wirklich aussieht. Vielmehr verlockt das Thema offenbar sehr dazu, als gesellschaftspolitisches Schwert im Wahlkampf eingesetzt zu werden.
Das geht zwar nur, wenn man alle moralischen und menschlichen Regungen bei dieser Frage über Bord wirft – aber das scheint so manchen „Überzeugungstäter“ nicht aufzuhalten.
Nehmen wir den aktuellen Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Abtreibung: Demnach sollen Abtreibungen bis zur 12. Schwangerschaftswoche komplett legalisiert und von der Krankenkasse bezahlt werden. Aber wie viele Maßnahmen der konkreten Unterstützung für Schwangere in Not und ihre Familien, die sich für ihr Kind entscheiden wollen, sehen die Initiatoren vor? Nicht eine einzige.
„Die Salonfähigkeit von Abtreibungen schadet alleinerziehenden Frauen ganz besonders“
Die häufigsten Gründe für Abtreibungsgedanken sind dem Profemina-Report zufolge biografische Gründe (41,2 Prozent), Überlastung (31,7 Prozent) und Probleme in der Partnerschaft (17,5 Prozent). Was verbirgt sich eigentlich konkret hinter diesen Zahlen? Nehmen Sie uns bitte schlaglichtartig in drei solche Situationen mit.
Eine Frau, die „biografische Gründe“ als Hauptursache für ihren Konflikt nennt, würde sagen: „Es ist einfach der falsche Zeitpunkt.“ Sie steckt beispielsweise gerade mitten in ihrem Studium. Eigentlich wollte sie vor der Gründung einer eigenen Familie beruflich Fuß fassen, ihren Partner noch besser kennenlernen und die Welt entdecken. Und nun ist sie schwanger und hat das Gefühl, dass alle diese Lebensträume und Pläne schlagartig beendet wären, wenn sie sich für ihr Kind entscheidet.
Hinter dem Hauptgrund der „Überlastung“ verbergen sich Frauen, die mitten im Leben stehen und an vielen Fronten gleichzeitig kämpfen. Eine solche Frau ist zum Beispiel familiär stark eingebunden, hat schon zwei Kinder und kümmert sich nebenbei um ihre Eltern. Eigentlich hatte sie gehofft, dass die Last des Alltags langsam etwas erträglicher werden würde. Als sie nun schwanger ist, fragt sie sich verzweifelt: „Wie soll ich das schaffen?“
Als dritthäufigster Grund für den Gedanken an eine Abtreibung werden Probleme in der Partnerschaft benannt. Eine Frau, die unter diesem Hauptgrund bei uns beraten wird, hat Profemina wahrscheinlich über einen Suchbegriff wie „schwanger, er will das Kind nicht“ gefunden. Gemeinsame Kinder waren für eine dieser Frauen und ihren Partner vielleicht noch gar nicht Thema, oder nur als ferner Zukunftstraum. Als sie unerwartet schwanger wird, kann er sich überhaupt nicht vorstellen, jetzt Vater zu werden. Er hat Sorge, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein und dass die äußeren Rahmenbedingungen nicht passen. Sie würde das Kind zwar vielleicht gerne bekommen, hat aber große Angst, am Ende alleinerziehend zu sein. Und sie fragt sich, ob er wirklich der Richtige sein kann, wenn er nun so ablehnend auf die Schwangerschaft reagiert.
Wie könnte der Gesetzgeber hier helfen? Ist es nicht verständlich, dass eine Frau ein Kind nicht allein großziehen möchte?
Ja, das ist sogar sehr verständlich, wenn man einen Blick auf den Alltag alleinerziehender Mütter wirft. Ich habe den Eindruck, dass die Salonfähigkeit von Abtreibungen auch diesen Frauen ganz besonders schadet. Denn so ist es leicht zu sagen „Es war ja deine Entscheidung, das Kind trotzdem zu bekommen“ und damit die Frau sich selbst zu überlassen.
Es geht darum, auch diesen Frauen mit größtmöglicher Solidarität zu begegnen. Aufgabe der Politik wäre es, Unterstützungsmöglichkeiten praktischer und finanzieller Art für Alleinerziehende aufzubauen. Dadurch könnte das große Schreckgespenst „alleinerziehend sein“ etwas von seiner Macht verlieren und zu einer machbaren Aufgabe zusammenschrumpfen.
> Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge.
Es gibt aber auch Frauen, die partout abtreiben wollen. Die werden in dem Bericht nicht erfasst, weil sie zu einer Organisation gehen, die ihnen schnell einen „Beratungsschein“ ausstellt. Deren Kinder würde man wohl nur durch ein striktes Abtreibungsverbot retten können. Sind Sie für ein Verbot?
Was wir uns wünschen würden, ist eine Welt, in der keine Frau überhaupt an eine Abtreibung denkt, weil jeder die Gewissheit in sich trägt, dass ein Kind immer ein Geschenk ist. Eine Welt, in der eine Abtreibung überhaupt nicht als Option denkbar ist. Davon sind wir aber natürlich unendlich weit entfernt.
Um Abtreibungen Geschichte werden zu lassen, braucht es letzten Endes einen Wandel unserer Kultur hin zu einer Kultur des Lebens. Erst dann könnte ein Verbot von Abtreibungen denkbar sein. In der jetzigen Situation geht es zunächst einmal darum, all die Frauen zu unterstützen, die ihr Kind eigentlich bekommen möchten, aber dafür überhaupt keine Perspektive sehen.
„Vier von fünf Frauen in der Profemina-Beratung sind nicht verheiratet“
Ein ganzes Kapitel des Reports widmet sich der Rolle des Mannes im Schwangerschaftskonflikt. Das kann ja durchaus verwundern, da Abtreibungsapologeten mit dem Schlagwort „Frauen vertrauen“ diese Thematik als Frage der Selbstbestimmung einordnen. Was ist das wichtigste Ergebnis und die wichtigste Schlussfolgerung über Männer, die der Profemina-Report 2024 zutage gefördert hat?
Die wichtigste Erkenntnis ist in meinen Augen, wie entscheidend wichtig die Reaktion eines Mannes auf die Nachricht ist, dass er Vater wird. Aller Erfahrung nach spielt die Partnerschaft in jedem Schwangerschaftskonflikt eine gewisse Rolle. Der Partner ist nicht nur der Vater des Kindes, er ist auch derjenige, mit dem die Frau in aller Regel zuerst ihre Vermutung und dann die Gewissheit über die Schwangerschaft teilt. Und natürlich interessiert seine Meinung zu dem Thema die Frau am allermeisten. Das zeigt die Auswertung eines digitalen Beratungstools, das sich an Frauen richtet, deren Partner sich gegen das Kind aussprechen. 66 Prozent dieser Frauen geben an, dass sie das Kind gerne bekommen würden – es aber hart für sie wäre, das gegen seinen Willen zu tun.
Das klingt heftig.
Seien wir einmal ganz ehrlich: Inwiefern kann man von einer selbstbestimmten Entscheidung sprechen, wenn der Vater des Kindes die Frau im Augenblick der Entscheidung dermaßen emotional im Stich lässt oder ihr sogar droht, sie zu verlassen, wenn sie sich für das Kind entscheidet? Insofern kann man nur sagen: Frauen unter dem Deckmantel der Selbstbestimmung, Stichwort „Frauen vertrauen“, mit dieser Not alleine zu lassen – das ist Häme.
Einen weiteren starken Hinweis auf die Bedeutung der Partnerschaft gibt die Tatsache, dass vier von fünf Frauen in der Profemina-Beratung nicht verheiratet sind. Im Vergleich dazu waren 60 Prozent der Frauen, die 2023 in Deutschland ein Kind geboren haben, verheiratet. Hier wird sichtbar, dass eine verbindliche und auf Dauer angelegte Partnerschaft wie die Ehe Frauen viel eher die Sicherheit geben kann, die sie brauchen, um Ja zu einem Kind zu sagen.
„Eine Abtreibung ist die größte Absage an das Zutrauen in die eigene Weiblichkeit“
Neben der inhaltlichen Verantwortung für den Schwangerschaftskonfliktreport arbeiten Sie bei Profemina auch an digitalen Beratungstools für Schwangere in Not – und allen voran sind Sie auch mehrfache Mutter. Über diesen Lebensbereich haben Sie auch schon für Corrigenda geschrieben. Hat sich Ihr Blick auf Schwangere in Not und auf Schwangerschaftskonflikte noch mal geschärft, seitdem Sie selbst Mutter sind?
Ja, auf jeden Fall! Ich würde sagen, es gibt drei Bereiche, in denen ich mich Schwangeren in Not heute noch näher fühle als zuvor.
Als erstes habe ich schlicht am eigenen Leib erfahren, wie groß die emotionalen und körperlichen Herausforderungen während einer Schwangerschaft sind. Gerade in den ersten Wochen einer Schwangerschaft leiden viele Frauen an Übelkeit und starker Erschöpfung. Das ist genau der Zeitraum, in dem sich ein akuter Schwangerschaftskonflikt abspielt. Zudem scheint besonders beim ersten Kind die Schwangerschaft noch kaum greifbar. Denn nach außen hin sichtbar verändert sich ja zunächst nichts – nur die Frau selbst spürt an bestimmten Symptomen, dass irgendetwas anders ist. Auch emotional erleben viele Frauen diese Zeit als sehr herausfordernd. Und auch der weitere Verlauf der Schwangerschaft bis hin zur Geburt verlangt einer Frau körperlich vieles ab. Wenn dann das Umfeld nicht unterstützend, sondern ablehnend reagiert und die äußeren Umstände schwer sind, kann das Gefühl der Perspektivlosigkeit und Einsamkeit unglaublich erdrückend sein.
Und wenn es sich um das zweite, dritte oder vierte Kind handelt?
Ich verstehe all die Frauen sehr gut, die erneut schwanger sind und große Sorge vor den Belastungen und Herausforderungen nach der Geburt haben. Ich empfinde eine unendliche Hochachtung vor allen alleinerziehenden Frauen, die sich Tag für Tag alleine sehen mit der Verantwortung für ihre Kinder. Und ich kann nur erahnen, welchen Ängsten, Sorgen und welcher inneren Zerrissenheit das Herz einer Frau ausgesetzt ist, die vor der Aussicht steht, allein mit mehreren Kindern dazustehen, sollte sie sich für das Baby unter ihrem Herzen entscheiden.
Aber es gibt auch noch einen dritten Aspekt, den ich durch meine Kinder erst in seiner ganzen Tiefe verstanden habe: Nämlich die unendliche Schönheit des Mama-Seins. Dadurch habe ich noch tiefer begriffen, wie schrecklich die Wunden sein müssen, die eine Abtreibung im Herzen einer Frau reißt. Und wie existenziell diese Entscheidung ist – weil sie wirklich das tiefste Innere und das zutiefst Weibliche einer Frau berührt. Eine Abtreibung ist die größte Absage an das Zutrauen in die eigene Weiblichkeit und daran, dass das Leben schön und lebenswert ist. Wie groß ist die Not, die eine Frau empfindet, die bereits Mutter ist, dass sie keine Alternative außer einer Abtreibung wahrnimmt?
Ich würde zusammenfassend sagen, dass mir, seitdem ich selbst Mutter bin, noch deutlicher vor Augen steht, wie groß die Verantwortung eines jeden von uns ist, uns radikal an die Seite dieser Frauen zu stellen. Ohne Verurteilung und mit aller tatkräftigen Liebe, die uns möglich ist.
„Was es letzten Endes wirklich bräuchte, wäre ein Kulturwandel hin zu einer ‘Kultur des Lebens’“
Zum Schluss noch ein kleines Gedankenspiel: Nehmen wir einmal an, es ist März 2025, und ein designierter Bundeskanzler Friedrich Merz möchte Sie zur Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Schwangere in Not ernennen. Welche Agenda für eine solche Tätigkeit würden die Daten aus dem Schwangerschaftskonfliktreport nahelegen?
Zunächst einmal müsste die Wahrheit über Frauen im Schwangerschaftskonflikt ans Licht gebracht werden, so wie wir es im Schwangerschaftskonfliktreport versucht haben. Es geht darum, die reale Situation dieser Frauen öffentlich zu machen und sie der ideologischen Verwirrung unserer Zeit entgegenzuhalten.
Und dann ginge es darum, sich ganz eng an den Bedürfnissen der Frauen zu orientieren: Ihnen flächendeckend Beratungsangebote zur Verfügung zu stellen, die mit echter Empathie und Wertschätzung für sie da wären. Beratungsangebote, die die Frauen in ihrer Not sehen und mit ihnen gemeinsam Alternativen zur Abtreibung erarbeiten. Nur so hat eine Frau eine echte Wahlfreiheit. Es bräuchte vielfältige Unterstützungsangebote, die ganz konkrete Hilfe für schwangere Frauen, Mütter und Familien anbieten – unbürokratisch und individuell. Es bräuchte finanzielle Unterstützung für Familien und Alleinerziehende.
Was es letzten Endes aber wirklich bräuchte, wäre ein Kulturwandel hin zu einer „Kultur des Lebens“, in der die Wahrheit verankert wäre, dass jeder Mensch und jedes Leben einzigartig und unendlich kostbar ist.
Also würden Sie den Posten der Kulturstaatsministerin gleich mit dazunehmen?
Ich möchte ganz sicher bei Profemina bleiben und bin auch skeptisch, ob tiefgreifende gesellschaftliche Probleme in erster Linie durch Amtsträger der Bundesregierung gelöst werden können.
Aber: Sobald der politische Wille da ist, sämtliche Maßnahmen beim Thema Schwangerschaftskonflikt strikt an den echten Bedürfnissen von Schwangeren in Not auszurichten und eine Kultur des Lebens ernsthaft zu fördern, kann Profemina seine Expertise sicherlich in vielen Bereichen zur Verfügung stellen.
Ein Anfang in dieser Hinsicht wäre es beispielsweise, wenn sich sämtliche Mitglieder des Rechtsausschusses im Bundestag dieser Tage einmal eingehend mit dem Profemina-Schwangerschaftskonfliktreport 2024 beschäftigen würden, ehe sie nach der Weihnachtspause weiter zu diesem Thema beraten.
> Zum Profemina-Schwangerschaftskonfliktreport
Kommentare
Etwas Wesentliches haben Sie vergessen: unser System der Altersversorgung. Es kann nicht sein, daß jeder eine Rente bekommt, das Kinderkriegen dagegen Privatsache der Frau bleiben soll. Mir komme jetzt keiner mit dem Argument „Familienförderung!“ Die Sache bleibt an der Frau hängen, sie allein trägt das Risiko des Verlustes der Beitragszeiten.
Kinderkriegen muß Bestandteil des Bruttosozialprodukts werden.
Überliefert ist die Aussage eines hohen Ministerialbeamten anläßlich der Einführung der dynamischen Rente: „Herr Bundeskanzler (es war Adenauer), das wird nicht funktionieren.“ Der Mann hatte recht.
Ein sehr wichtiger Report, der unbedingt den Politikern vorgelegt werden muß - leider fehlt mir die Forderung den Mann zur Verantwortung zu ziehen - auch im Rahmen der Strafbarkeit kommt niemals der Mann vor, dabei ist er zu 50 % verantwortlich für die Schwangerschaft
Sehr schön ❤️!
Die Antworten von Maria Nagele sprechen mir aus dem Herzen.