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Der Kampf des Andreas Kersten

„Wir müssen mutiger werden“

Andreas Kersten ist gut gelaunt. Es ist ein schöner Sommertag im Westen Berlins. Nicht nur der nachmittägliche Sonnenschein zaubert dem Apotheker im Ruhestand ein Lächeln ins Gesicht, sondern auch eine Entscheidung des Berufsobergerichts für Heilberufe beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Dieses hatte vor kurzem eine Berufung der Apothekerkammer zurückgewiesen. Was bedeutet: Kersten ist frei von dem Vorwurf der Berufspflichtverletzung, weil er sich geweigert hatte, die „Pille danach“ zu verkaufen.

Wie es dazu kam, ist eine lange, spannende Geschichte, in der der Protagonist sich mit dem herrschenden Zeitgeist, den Behörden und gewalttätigen Gruppierungen anlegt. Man könnte auch von einem Helden sprechen, doch der 64 Jahre alte Kersten lehnt es ab, so genannt zu werden, wie er bei Kaffee und Sprite gegenüber Corrigenda erzählt.

Der Katholik lebt seit seinem zweiten Lebensjahr im Westteil Berlins, geboren ist er in Düsseldorf. Nach einem Studium der Pharmazie eröffnet er 1990 seine Apotheke in „Kreuzkölln“, einem trendigen, ziemlich linken Kiez an der Grenze zwischen den ehemaligen Arbeiterbezirken Kreuzberg und Neukölln. 

„Anfang der 1990er kam es selten vor, dass Frauen Notfallkontrazeptiva, also die sogenannte ‘Pille danach’ kauften. Eines Tages habe ich mich näher damit befasst und mich entschieden, sie nicht mehr zu vertreiben. Das habe ich auch im Schaufenster transparent gemacht.“ Wann der Entschluss fiel, das weiß Kersten heute nicht mehr genau, es müsse aber um die Jahrtausendwende gewesen sein.

„Ich bin Apotheker. Ich kann keine Mittel ausgeben, die töten“

Wichtig ist ihm folgende Botschaft: „Ich bin Apotheker, und ich bin dazu berufen, der Gesundheit von Menschen zu dienen. Und deshalb kann ich keine Mittel ausgeben, die töten können. Das war im Nachhinein betrachtet eine der wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben. Ich hatte dadurch unheimlich viel Stress und Ärger, aber die Entscheidung erfüllt mich bis heute mit Genugtuung.“

Ärger bekam Kersten nicht nur mit einem Teil seiner Kundinnen – die Hälfte derer, die die Pille von ihm nicht mehr erhielten, reagierte mit Unverständnis oder war sauer, schätzt er heute. Auch Extremisten „besuchten“ ihn, schlugen die Schaufenster ein, beschmierten und verwüsteten die Apotheke und rühmten sich danach auf linksextremen Portalen wie Indymedia.

 

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Nach einem Anschlag 2014 schrieben die Täter beispielsweise: „Wer ‘aus Gewissensgründen’ meint, Frauen das Recht auf Selbstbestimmung streitig machen zu müssen, darf sich nicht wundern, wenn er ‘aus Gewissensgründen’ seinen Laden demoliert bekommt.“

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Der mutige Katholik ließ sich von solchen Attacken nicht einschüchtern. Im Gegenteil. Er legte auch Verhütungsmitteln Handzettel bei. „Ich habe für einen bewussteren Umgang mit Verhütungsmitteln und fürs Kinderkriegen geworben. Es waren positive Botschaften, ich wollte niemanden verurteilen, sondern aufklären.“

Immer wieder gerieten er und seine Undine-Apotheke ins Visier von Medien und rabiaten Social-Media-Nutzern. Auf „X“ (damals noch Twitter) verbreitete eine Nutzerin einen von Kerstens hauseigenen Beipackzetteln: „Setzen Sie sich ein für eine grundsätzliche Offenheit und Bereitschaft, Kinder zu bekommen und für eine sorgsame Abwägung bei der Entscheidung für ein Verhütungsmittel – im Bewusstsein der Lebensbereicherung durch Kinder.“

Twitter-Nutzerin regt sich über Andreas Kerstens Beipackzettel auf

Angesichts der grassierenden „Kultur des Todes“ – ein Begriff von Papst Johannes Paul II., dessen Foto Kersten ins Schaufenster stellte – eine notwendige, lebens- und zukunftsbejahende Botschaft? Die Nutzerin befand: „Unverschämtheit!“ Seit 2015 ist die „Pille danach“ rezeptfrei, für Frauen unter 22 ist sie kostenlos, sofern sie ein ärztliches Rezept vorlegen.

Der zähe Kampf vor Gericht

Die Anschläge, die sich meist rund um den kommunistischen „Frauentag“ am 8. März oder den „Marsch für das Leben“ ereigneten, zehrten an den Kräften des Apothekers. Doch seine Ehefrau und seine Mitarbeiter standen hinter ihm. Dass er 2018, nach 29 Betriebsjahren, die Apotheke schloss, hatte andere Gründe, wie er sagt. 60-Stunden-Wochen, immer mehr Bürokratie und der geringere Ertrag, weil er nicht nach Gewinnmaximierung strebte – für all das hätten die Kräfte nicht mehr gereicht. „Früher haben Persönlichkeiten die Geschäfte geführt, heute die Konzerne“, sagte er damals einem Branchenmagazin. „Heutzutage rate ich jungen Apothekern, ganz bewusst die Entscheidung zu fällen, ob sie sich wirklich selbstständig machen wollen.“

Er ging zwar in den Ruhestand, doch Ruhe hatte er aufgrund seiner Gewissensentscheidung nicht. Im selben Jahr eröffnete die Apothekerkammer Berlin ein berufsrechtliches Verfahren gegen den Pharmazeuten, eben weil er die ‘Pille danach’ nicht vorrätig hielt und nicht verkaufte. Im November 2019 gab ihm das Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Berlin recht: Er dürfe sich aus Gewissensgründen weigern, Notfallkontrazeptiva zu vertreiben.

Doch die Apothekerkammer legte Berufung beim Oberverwaltungsgericht ein. Ende Juni nun wies der Richter die Berufung zurück. Doch das Urteil hinterlässt einen faden Beigeschmack. Denn das Gericht entschied: Wer eine öffentliche Apotheke führe, müsse eine umfassende Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln gewährleisten. „Wer das nicht auf sich nehmen könne, dem sei die Aufgabe der Selbstständigkeit zuzumuten“, hieß es in einer Pressemitteilung. Dass das Gericht in der Mitteilung nicht erwähnt, dass die Berufung zurückgewiesen wurde und dass Medien, die über den Fall berichteten, es so darstellten, als hätte Kersten verloren, ist bezeichnend für den Umgang mit Lebensschützern.

Der Jurist Felix Böllmann von der Hilfsorganisation ADF International, die Kersten unterstützt hatte, kritisiert das Urteil trotz des Erfolgs für Kersten vehement. „Das Oberverwaltungsgericht Berlin setzt sich mit seiner Argumentation in direkten Widerspruch zum internationalen Recht. Grundrechte müssen effektiv garantiert werden, nicht nur auf dem Papier. Aber die Argumentation des Gerichts lässt der Gewissensfreiheit keinen Raum. Gewissenskonflikte müssen im Rechtsstaat, der sowohl Gewissens- als auch Berufsfreiheit garantiert, anders als durch einen Berufswechsel gelöst werden.“ 

„Es wird besser“

Das Gerichtsverfahren aber, es war das erste dieser Art in Deutschland, ist für Kersten damit abgeschlossen. Wie lautet sein Fazit, was sagt er nach all den Jahren voll von Schikane, Frust und Bangen? Würde er heute wieder so handeln? „Ja“, sagt der Lebensschützer im Brustton der Überzeugung. „Wir brauchen mehr Unternehmer, mehr Selbstständige mit Haltung, die ihre Werte zeigen. Die Linken tun das ja auch“, betont der Pharmazeut mit Blick etwa auf den „Pride Month“. Und ergänzt:

„Wir müssen mutiger werden, auch die Kirche. Ziel muss es sein, diese Präparate aus dem Versorgungsauftrag herauszukriegen. Denn so, wie es jetzt entschieden wurde, wird jeder Apotheker gezwungen, Mittel zu verkaufen, die menschliches Leben töten. Das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Suizidpräparate gehören beispielsweise nicht zum Versorgungsauftrag.“

Während Andreas Kersten seine Geschichte erzählt, blitzt in keiner Sekunde Wut oder Erregung auf. Er analysiert die herrschenden Zustände nüchtern, ist abgeklärt und mit sich im Reinen. Vielleicht liegt das auch an einer anderen Beobachtung: „Es wird besser. Immer mehr Menschen, gerade jüngere, erkennen das Problem und machen Lebensschutz zum Thema.“ Zuversichtlich und mit einem Lächeln im Gesicht verabschiedet er sich.

 

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Kommentare

Kommentar
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Andreas Graf
Vor 3 Monate

"aber die Entscheidung erfüllt mich bis heute mit Genugtuung.“ - So kann reden, wer standhaft geblieben ist und nicht einknickt. Wir sind der Wahrheit verpflichtet. Dafür stehen wir ein. Der Apotheker Andreas Kersten ist ein Beispiel der Tapferkeit.

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Manu
Vor 3 Monate

Ich bin hellauf begeistert. Sie sind ein Vorbild, Herr Kersten! Weiter so.

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Markus Swiderek
Vor 3 Monate

Es ist schön, wieder von ihm zu hören. Er ist sich und der kirchlichen Lehre treu geblieben.

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Isis Alina Klinken
Vor 3 Monate

So ein standhafter Mann, super!
Wie kann es eigentlich sein, dass diese Dinger als "Kontrazeptiva" bezeichnet werden dürfen? Der Sex ist ja schon passiert, wo möglicherweise ein Kind gezeugt wurde.

2
Lucia Tentrop
Vor 3 Monate

Ich finde den Mut und Geradheit des Apothekers großartig! Er unterwirft sich nicht dem Zwang der Masse und einer Politik, die unser Grundgesetz missachtet, sondern denkt im Sinne unserer kulturellen Ethik. Sowas ist ganz selten. Ich bewundere es, dass er die tätlichen Anfeindungen so viele Jahre lang aushielt und wünsche ihm alles Gute!.
Mit der leichtfertigen Tötung unseres Nachwuchse setzen wir den Wert unseres eigenen Lebens herab.

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Manu
Vor 3 Monate

Ich bin hellauf begeistert. Sie sind ein Vorbild, Herr Kersten! Weiter so.

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Andreas Graf
Vor 3 Monate

"aber die Entscheidung erfüllt mich bis heute mit Genugtuung.“ - So kann reden, wer standhaft geblieben ist und nicht einknickt. Wir sind der Wahrheit verpflichtet. Dafür stehen wir ein. Der Apotheker Andreas Kersten ist ein Beispiel der Tapferkeit.