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Getauft als Erwachsener

Mein Weg in die Heimat Kirche

In der Osternacht dieses Jahres wurde ich im Alter von 49 Jahren in der Kölner Dominikanerkirche St. Andreas getauft und gefirmt. Ich bin nun Katholik. Einen Satz wie diesen hätte ich nur wenige Jahre vorher für vollkommen absurd und unmöglich gehalten. Christ sein oder schlimmer noch: Katholik: Wie konnte es so weit kommen?

Aber fangen wir von hinten an. Ich bin gern Katholik und ich habe bewusst Ja zur Kirche und ihren Sakramenten gesagt. Warum? Sicher nicht, weil die katholische Kirche in Deutschland so eine überzeugende Figur abgibt und Neuevangelisation betreibt. Bis kurz vor der Taufe hatte ich beinahe keinen direkten Kontakt zu deutschen Kirche. Im Nachhinein vielleicht ein Segen, zumindest, wenn man auf die Kommunikation mancher Bistümer, kirchennaher Organisationen und Webportale schaut.

Was mich antreibt ist auch nicht der so oft sprichwörtliche Furor des Konvertiten. Mein Weg in die Kirche hätte nicht so viele Jahre gedauert, wenn ich nicht eher der ruhigen und analytischen Seite zugeneigt wäre. Ich habe es getan, weil ich zu der Einsicht gelangt bin, dass wir als westliche Welt zuallererst in einer spirituellen Krise stecken und die grundlegende Ursache unser vielen gesellschaftlichen Probleme in unserer Entfernung von Gott liegt. Der Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn hat dies bereits 1978 in seiner epochalen Festrede an der Harvard-Universität hellsichtig analysiert und auch die kommenden Entwicklungen prognostiziert.

Eine Revolution, die mich hart gefordert hat

Der Anthropozentrismus, so der russische Schriftsteller, „die proklamierte und erzwungene Autonomie des Menschen von jeder höheren Macht über ihm …, diese neue Denkweise, die uns ihre Führung aufgedrängt hatte, ließ weder die Existenz des immanenten Bösen im Menschen zu noch sah sie eine höhere Aufgabe als die Erlangung des Glücks auf Erden. Sie begründete die moderne westliche Zivilisation mit der gefährlichen Tendenz, den Menschen und seine materiellen Bedürfnisse zu verehren.“

Auch in der Auseinandersetzung mit meinen beruflichen Themen ist mir immer klarer geworden, dass wir zuallererst diese spirituelle Krise lösen müssen, um eine Welt möglich zu machen, in der wir alle gut und gerne leben. Die heilige katholische Kirche, zu der wir uns sonntäglich bekennen, und ihre Sakramente bieten hierfür die Mittel.

Für mich als lange Zeit zwischen Atheismus und Agnostizismus mäandernden Skeptiker war es eine Revolution, die mich hart gefordert hat, ob ich diesen Weg wirklich gehen will. Vor allem „Cradle-Catholics“ können oft nicht mitdenken, wie gering das Wissen und wie fremd die Welt des Glaubens und vor allem deren Sprache für viele Menschen ist. Es ist kein Dialekt, sondern eine Fremdsprache.

Nicht die „bösen Ausländer“ sind an allem schuld

Dafür aber eine Sprache, dem Sozial- und Sprachphilosophen Eugen Rosenstock-Huessy (1888-1973) folgend, in der die Menschheit die Einheit ihrer Geschichte und ihrer Zukunft finden kann. Auch deshalb war mir klar, dass ich nie wieder hinter diese Erkenntnis zurückgehen kann und es nicht hilft, vorauseilend den Glauben weichzuspülen oder zu beschneiden, um bloß nicht anzuecken.

Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn sagte kürzlich gegenüber der französischen Zeitung Famille Chrétienne: „Wir müssen den Niedergang Europas akzeptieren.“ Fakt ist: Unsere westliche Welt, die unser großartiger Glaube erst möglich gemacht hat, und deren Kultur stehen massiv unter Druck, auch das hatte Solschenizyn klar diagnostiziert. Ich glaube nicht, dass wir das akzeptieren müssen oder sollten. Vor allem, weil eben nicht die ach so bösen Ausländer an allem schuld sind, sondern weil es in weiten Teilen eine Selbstabschaffung und Selbstvergessenheit ist, die auch keinen überzeugenden Hintergrund für Integration und Zuwanderung darstellt.

 

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Gesellschaft wandelt sich immer, aber wenn es kein Fundament mehr gibt, das zumindest eine gewisse Einheit und ein Zielbild garantiert, wird dies keine positive Entwicklung sein. Lukas Steinwandter („Verloren im Kampf gegen den Regenbogen-Hype“), Sascha Vetterle („Die Schwerter schmieden“) und auch Christian Rudolf („Die verlorene Ehre des Herrn Jesus C.“) haben hier jüngst auf Corrigenda klug auf die vielfältigen Probleme unserer so von Vielfalt faszinierten Welt und die Bedeutung von Gott, Glauben und Liturgie hingewiesen und auch Ursachen und Lösungen skizziert. Ich möchte ergänzend und verstärkend ein fünftes und sechstes Schwert zu Sascha Vetterles vieren dazulegen: die heilige Kirche und heilige Eucharistie.

Glauben und Kirche hatten mit unserem Leben nichts zu tun

Denn es ist immer nur ein Teil der Story, wenn wir unseren Glauben aus einer rein kulturell und instrumentell-funktionalistischen Sicht betrachten. Dies erleben wir leider häufig vor allem in der rechts-liberalen Community und bei agnostischen Prominenten wie Jordan Peterson und neuerdings ja sogar Richard Dawkins oder Mit-Konvertiten wie Ayaan Hirsi Ali, die häufig im Zentrum des Interesses stehen.

Ich bin ein DDR-Kind, aufgewachsen in einer typischen Arbeiterfamilie in der Braunkohleprovinz rund um Leipzig, Schüler der Polytechnischen Oberschule Dr. Richard Sorge in Altenburg. Familie arbeitete mehrheitlich bei der Wismut. Gott, Kirche und Glauben: absolute Fehlanzeige. So weit, so alltäglich und gewöhnlich im zumindest kommunikativ real existierenden Sozialismus der siebziger und achtziger Jahre im Osten.

Es gab wohl Menschen, die in die Kirche gingen, das wusste ich, und dass der Papst bei den Protesten der Polen und später die evangelische Kirche bei den unweit stattfindenden Montagsdemonstrationen eine zentrale Rolle spielten, wusste ich auch. Allein mit mir und unserem Leben hatte das nichts zu tun. Und viel später, wenn ich überhaupt daran dachte, war das Christentum für mich die absurdeste Religion, die mir einfiel, und die Kirche die Sammlung der Ewiggestrigen, die nicht verstehen, wie wir modernen und aufgeklärten Menschen denken.

Auf der Suche nach dem Woher und Wohin

Eine entscheidende Wende in meinem Leben war unsere vorgezogene persönliche Wende, die wenig später auch das ganze Land erfasste. Im Frühsommer 1989 kam ich mit meinen Eltern nach einer sehr langen schwierigen Zeit und mit einem genehmigten Ausreiseantrag in der Tasche im gelobten Westen an. Gerade war ich 15 Jahre alt geworden, und plötzlich war nichts mehr wie bisher.

Die seit damals vergangenen 35 Jahre waren für mich deshalb geprägt von einer Suche nach Antworten auf die großen Fragen nach Sinn und Wohin inmitten einer konstant zunehmenden Befremdung angesichts einer Welt des Karrierismus, des ungebremsten Konsums und Materialismus. Etwas hat immer an mir gezogen und mich wachsamer blicken lassen auf das, was Benedikt XVI., dessen Schriften mich sehr geprägt haben, so beschrieben hat: „Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt.“ Und worauf er dann feststellte: „Wir haben jedoch ein anderes Maß: den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Humanismus.“

DDR-Volkspolizisten versperren nach dem Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche den Besuchern den Weg, 18. September 1989: „Mit mir und unserem Leben hatte das nichts zu tun.“

Ich werde nie die bewegten Augen und die ergriffene Reaktion meines Sohnes vergessen, als ich ihm vor ungefähr zwei Jahren bei einem unserer Spaziergänge mit dem Finger auf die Brust tippte, ihm direkt in die Augen sah und das erste Mal auch zu ihm aussprach, was mich kurz zuvor tief erschüttert hatte: „Gott wollte dich! Und Gott ist immer bei dir! Er liebt dich und will dich deshalb befreien zu einem vollen und erfüllten Leben.“

Eine Energie, die unserer erschöpften Gesellschaft fehlt

Das ist das Gegengift gegen Individualismus, Egoismus und Materialismus. Auch der Gedanke ist nicht ganz neu und noch weniger von mir. Er ist das Wesen des Quells und der Gipfel unseres Glaubens: des Sakraments der Eucharistie.

Für viele mitteleuropäische Katholiken ist die Eucharistie kaum mehr als ein nettes Symbol, und die Frage nach der realen Präsenz Christi in der Eucharistie wird erst gar nicht gestellt. Das ist tragisch. Oder wie die katholische US-Schriftstellerin Flannery O’Connor (1925-1964) einmal bemerkte „If it’s just a symbol, to hell with it.“

Dass wir vor allem im Westen vergessen haben, welche erschütternde Kraft diese Liebeszusage und das Sakrament der Eucharistie in sich tragen, ist ein zentrales Problem. Hieraus speiste sich die Energie, die wir noch heute in unserem kulturellen Erbe und unseren Errungenschaften sehen können und die von der gesamten nicht-christlichen Welt bewundert werden. Eine Energie, die unserer erschöpften Gesellschaft fehlt, weil Hoffnung und Sinn eben von nirgendwo anders herkommen als von Gott, der mit uns ist. Ich gebe es zu, mich ergreift es immer noch auf seltsame Art, wenn ich solche Dinge so offen und klar ausspreche – so lange ist es noch nicht her, als ich überzeugt war, Atheist sein zu müssen.

„Gott macht sich auf den Weg zu uns“

Es war ein langer Weg aus dieser Welt. In meiner ersten Schulwoche bekam ich damals im Spätsommer 1989 vor meiner Schule in Hamburg eine kleine Gideon-Bibel überreicht. Ich füllte sogar, warum auch immer, gewissenhaft die vorgedruckten Zeilen mit Namen und Datum auf der ersten Seite aus. Die vorgedruckten Zeilen am Ende der Bibel, die den Zeitpunkt markieren, an dem man in der Taufe den Herrn Jesus Christus anerkennt, blieben leer. 35 Jahre.

Der Ruf Gottes, wie ich nun erkenne, und die Neugier sind in dieser Zeit nie von meiner Seite gewichen. Nach vielen Irrungen und, wie es unter aufgeklärten Europäern üblich und akzeptierter ist, natürlich mit Umwegen über die östlichen Philosophien des Daoismus, Buddhismus usw. Diese haben mich zwar fasziniert, aber nie wirklich gegriffen.

Ganz anders beim Christentum. Der Startschuss, diesen „absurden“ Glauben einfach einmal ernst zu nehmen, fiel, als mir 2014 bei einem beruflichen Aufenthalt in einem Franziskanerkloster ein Buch von Richard Rohr in die Hände fiel. Darin stand der Satz: „Wir müssen Gott nicht suchen, Gott macht sich auf den Weg zu uns.“

Die Heiligen wirken auch heute noch!

Damals war ich zutiefst überrascht, als ich merkte, dass sich das alles doch nicht so absurd anhört, wie ich dachte. Die nächsten zehn Jahre bis zur Taufe habe ich fast schon obsessiv alles gelesen und gehört, was mir zum Christentum und Katholizismus in die Hände fiel. Und zu meiner Überraschung: Je mehr ich las und sah, umso wahrer und schöner wurden die Worte, wenngleich auch nicht immer einfacher und weniger komplex. Zudem hat mich schon lange die katholische Kultur und Ästhetik sehr berührt.

Das katholische „Sowohl als auch“, die Rituale und die Schönheit und Spannbreite des Glaubens von einfacher Volksfrömmigkeit bis zu den höchsten intellektuellen Gipfeln haben mich fasziniert und meine Zweifel immer mehr aufgelöst. Eine entscheidende Größe dabei war auch das Gebet, vor allem der Rosenkranz, den ich vor einigen Jahren für mich entdeckt habe und der mich seither immer begleitet. Aber auch das Wirken einer unserer großen Heiligen, Katharina von Siena, deren „Dialog über die göttliche Vorsehung“ mich tief berührt und am Ende auch für die Kirche gewonnen hat. Ich erkannte, dass diese eben nicht wie ein beliebiger Kegelverein oder wie eine Partei ist, sondern Gottes heiliger Leib, der uns alle umfasst.

Man kann und muss mit der Amtskirche und ihren Vertretern kritisch sein und manchmal hart ins Gericht gehen, wie es Katharina auch tut. Trotzdem ist die Kirche als mystischer Leib Christi immer mehr als die Summe und Tugenden ihrer Mitglieder, und sie bleibt notwendig und heilig. Es mag Zufall sein, dass die hl. Katharina an meinem Geburtstag verehrt wird, aber für mich war es Grund genug, Caterinus als meinen Taufnamen zu wählen.

 

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Kommentar
10
RK
Vor 1 Monat

Klare Analyse und beeindruckendes Bekenntnis zum Christentum

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Andreas Graf
Vor 1 Monat

"Gut und gerne" kann nur der leben, der in der Liebe Gottes, in Seinem Lichtschein, lebt. Wer aufrichtig sucht, den führt Gott heim in Sein Vaterherz. Kommt, jetzt feiern wir ein Fest, mein lieber Sohn.

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Evan Garrett
Vor 1 Monat

Sehr schönes Zeugnis, vielen Dank. Ich hatte eine ähnliche Erfahrung.

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G.
Vor 1 Monat

Die Katholische Kirche war für mich zeitlebens Heimat. Heute passen für mich die beiden Begriffe nicht mehr zusammen. Ich fühle mich in der deutsch-nationalen Synodalkirche zunehmend fremd, nicht weil ich deren Ziele alle prinzipiell ablehnen würde, sondern weil ich wesentliche Repräsentanten dieser ZdK-DBK-Kirche als falsch, scheinheilig, bösartig und autoritär empfinde. Wegen des Hasses gegen alle, die nicht mindestens links von Robert Habeck sind.

Ich überlege tatsächlich, ob ich nicht austreten soll, weil ich mich schuldig fühle, das alles fett mitzufinanzieren. Nein, ich will kein Geld sparen! Ich könnte gut mit einer Regelung à la Professor Andreas Wollbold leben, wenn ich meine Kirchensteuer an Teilinstitutionen überweisen dürfte, die ich noch als katholisch empfinde (wie z.B. missio.at).

Die (fast) einzige Hoffnung sind für mich fromme Priester aus dem "globalen Süden", vor allem Afrika und Indien.

3
Isis Alina Klinken
Vor 1 Monat

Die deutschen Bischöfe, welche den Synodalen Weg unterstützen, sind Schismatiker bzw. stehen am Rande des Schismas. In Mt 16,18 verspricht Christus Petrus, als Er ihn und dessen Nachfolger zu Seinen Stellvertretern auf Erden ernannte, dass Er Seine Kirche bis zu Seiner Wiederkunft erhalten werde. In der katholischen Kirche ist die ganze Wahrheit, das ändert sich nicht durch das Fehlverhalten einzelner Geistlicher. Leider wird man hier (obwohl es den vatikanischen Vorgaben widerspricht) von der DBK als exkommuniziert behandelt, wenn man aus der Körperschaft öffentlichen Rechts austritt. Gott sieht alles, Er weiß, dass Sie den links-grünen Politaktivismus von Deutsch-Synodalbischöfen und ZdK nicht gutheißen. Die Hl. Katharina von Siena ist in einer Zeit großer innerkirchlicher Dekadenz und Korruption innerhalb der Kirche der Braut Christi treu geblieben. Sie ist ein großes Vorbild für uns.

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G.
Vor 4 Wochen 1 Tag

Danke für Ihre Aufmunterung!

Aus der Heiligen Römischen Kirche kann und will ich ja keinesfalls austreten. Ich will nur das Schisma nicht weiter füttern!

Den sehr scharfsinnigen aktuellen Beitrag (22.09.2024) vom Pfarrer Dr. Rodheuth haben Sie sicher schon gelesen. Was soll ich noch sagen...

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Veritas
Vor 1 Monat

„Fakt ist: Unsere westliche Welt, die unser großartiger Glaube erst möglich gemacht hat, und deren Kultur stehen massiv unter Druck (…). Ich glaube nicht, dass wir das akzeptieren müssen oder sollten.“

Ganz stark!

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RK
Vor 1 Monat

Klare Analyse und beeindruckendes Bekenntnis zum Christentum

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Andreas Graf
Vor 1 Monat

"Gut und gerne" kann nur der leben, der in der Liebe Gottes, in Seinem Lichtschein, lebt. Wer aufrichtig sucht, den führt Gott heim in Sein Vaterherz. Kommt, jetzt feiern wir ein Fest, mein lieber Sohn.