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Liebe und Sexualität im Christentum

Böser Eros, gute Agape?

Die neueste Kirchenstatistik der katholischen Kirche zeigt: Christen werden in Deutschland zur Minderheit. Schon 1958 sah der junge Professor Joseph Ratzinger den kirchlichen Umbruch voraus und forderte die Christen auf eine „kreative Minderheit“ in der Gesellschaft zu sein. Doch was hat das Christentum dem Menschen von heute noch zu sagen? 

Gerade im Bereich Liebe und Sexualität scheint die anthropologische Sicht der Kirche nicht mehr mit dem heutigen Bild des Menschen und seiner Sicht auf sich selbst im Einklang zu stehen. So bildet die kirchliche Sexualmoral einen krassen Kontrast zum heute geforderten Mainstream der bunten und vielfältigen Gesellschaft. Hat die Kirche also noch eine Vision für den Menschen?

Liebe: Ein sprachliches Problem

Liebe und Sexualität betrifft jeden Menschen. Und doch merken wir gerade bei dem Begriff der Liebe einen fast schon inflationären Gebrauch mit unterschiedlichen Bedeutungen: Wir lieben beispielsweise unsere Arbeit oder das Haustier. Daneben gibt es die Liebe, die sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen, wie eine Freundschaft bis hin zur Partnerschaft, zeigt. Liebe – ein Wort mit vielen Bedeutungen. 

Die Griechen verwendeten unterschiedliche Begriffe für die Liebe. Neben der Philia (Freundesliebe) sind vor allem Eros (leidenschaftliche, unbändige Ekstase; begehrende Liebe) und Agape (uneigennützige, göttliche Liebe) zentral – auch für das Verständnis von Liebe aus christlicher Sicht.

Der „Panzerkardinal“ schreibt über Liebe

„Die Liebe Gottes zu uns ist eine Grundfrage des Lebens und wirft entscheidende Fragen danach auf, wer Gott ist und wer wir selber sind“, bringt es Papst Benedikt XVI. in seiner ersten Enzyklika „Deus caritas est“ ins Wort. Gerade Benedikt, der in Deutschland oft als „Panzerkardinal“ dargestellt wurde, schreibt nicht ein verstaubtes Regelwerk, das den Menschen neue Gesetze auferlegen will. Vielmehr verweist Benedikt auf die Schönheit und Bedeutung der Liebe und der christlichen Botschaft. 

 

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Noch kurz vor seiner Wahl 2005 warnte Kardinal Joseph Ratzinger vor einer „Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten lässt“. Als Ratzinger dann wenige Tage später zum Papst gewählt wurde, zeichnete Benedikt XVI. mit seinem ersten Lehrschreiben „Deus caritas est“ einen Gegenentwurf zu dieser Diktatur – die göttliche Liebe, die zur Freiheit beruft.

Liebe als schöpferische Kraft

In einzigartiger Weise spricht das Christentum von der Liebe. Sie begründet sich im Schöpfer selbst, der ewigen personalen Liebesgemeinschaft zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist: Drei Personen – ein Gott. Das Geheimnis der Dreifaltigkeit Gottes zeigt etwas Entscheidendes: Liebe ist eine schöpferische Kraft. Sie bedeutet nicht eine Verschmelzung der Liebenden zu einem Individuum. Das eigene Person-Sein wird nicht ausgelöscht. Vielmehr schafft die Liebe Identität, wie der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber so treffend formulierte: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“

Der Mensch, der sich als von Gott geschaffen versteht, kann darin einen Liebesakt des Schöpfers erkennen. Er darf sich immer tiefer als ein Geschenk Gottes an sich selbst verstehen und begreifen. Ins Dasein gerufen, geliebt und gewollt. Und er darf entdecken, dass die Liebe seine ureigenste Berufung ist. Liebe ist also mehr als ein Gefühl, es ist eine Entscheidung, die aus der Freiheit entsteht und wächst und uns Teilhabe am Schöpfungsakt selbst ermöglicht.

Eros: Das entartete Laster?

Eros ist die Liebe im Bereich des Sinnlich-Triebhaften. Sie ist einzig dem Menschen gegeben und sucht das Schöne und somit zumindest indirekt das Gute, dass auch von geistiger Erkenntnis durchdrungen ist. Eros stellt eine Grundkraft des Menschen dar, die vom Geist geformt werden kann und soll. Vom Wesen kann man Eros als passiv und ich-los beschreiben, da er triebgebunden und in der Natur des Menschen verankert ist.

Eros ist ein beständiger Prozess der gegenseitigen Suche und Spannung der Geliebten. Dieses Verlangen und die Suche des Eros ist letztlich die Suche nach Vollkommenheit – einer Synthese der menschlichen Schönheit, also nach der Schönheit des Leibes und der Seele, so Papst Johannes Paul II.

Nietzsches Kritik

Der bekannte deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche behauptet, das Christentum habe dem Eros Gift zu trinken gegeben; er sei zwar nicht daran gestorben, aber zum Laster entartet. Ein Vorwurf, der sich bis heute hält. Denn Eros und Agape wurden einander oft gegenübergestellt. Eros wurde somit auch zum Gegenbild christlicher Liebe. 

Einer der bekanntesten Verfechter einer strikten Trennung von Eros und Agape war der schwedische lutherische Theologe Anders Nygren (1890-1978). Nygrens Untersuchung zu Eros und Agape, die er in den 1930er Jahren in zwei Bänden veröffentlichte, basiert auf einer strengen Antithese. Die erotische Liebe, die den anderen begehrt, steht für Nygren im unüberbrückbaren Gegensatz zur Agape, der göttlichen Liebe. Die Einbeziehung der natürlichen erotischen Liebe stellt für den Theologen einen Verrat an der göttlichen Liebe (Agape) dar. 

Damit ist Nygren einer der bekanntesten Kritiker des hl. Augustinus aus der Neuzeit. Augustinus verband nämlich den antik-philosophischen Eros-Begriff mit dem christlichen Agape-Liebesbegriff und prägte damit das Denken über Jahrhunderte.

Auch in unserem heutigen Sprachgebrauch ist Eros nicht so fremd, denken wir beispielsweise an das Wort „Erotik“, das sich aus dem Griechischen ableiten lässt. Was jedoch auffällt ist, dass gegenwärtig fasst alles, was wir „erotisch“ nennen, gleichgesetzt werden kann mit „pornografisch“. Die Sprache und das Verhalten haben sich seit Jahren vom Eros zur forcierten Sexualität gewandelt. Vielleicht besteht deshalb für einige Christen die Versuchung darin, Eros abzulehnen und ihn durch eine spirituellere, höhere Liebe ersetzen zu wollen.

Der Mensch: Gabe und Geschenk

Eine selbstzentrierte und egozentrische Liebe kann nicht über den eigenen begrenzten Horizont hinausblicken. Sie behandelt den anderen nicht mit der Würde, die jeder Person eigen ist, sondern ordnet ihn den eigenen Bedürfnissen und Maßstäben unter. 

Die Liebe jedoch, die selbstlos ist, öffnet sich für den anderen, und dieser darf ganz er selbst sein. „Wenn zwei sich lieben und zusammenschlagen im Brand der Liebe, dann heißt das im Kern: mit Gott auf den anderen Menschen zugehen und mit dem anderen auf Gott; jeder ist Mittler, keiner ist Mittel.“, heißt es im Vorwort der Neuauflage von Josef Piepers Buch „Über die Liebe“ aus dem Jahr 2014.

Der Mensch darf sich gleichsam als Gabe und Geschenk verstehen. Hierdurch tritt in den Eros die Agape hinein. 

„Wenn Eros zunächst vor allem verlangend, aufsteigend ist – Faszination durch die große Verheißung des Glücks –, so wird er im Zugehen auf den anderen immer weniger nach sich selber fragen, immer mehr das Glück des anderen wollen, immer mehr sich um ihn sorgen, sich schenken, für ihn da sein wollen. Das Moment der Agape tritt in ihn ein, andernfalls verfällt er und verliert auch sein eigenes Wesen. Umgekehrt ist es aber auch dem Menschen unmöglich, einzig in der schenkenden, absteigenden Liebe zu leben. Er kann nicht immer nur geben, er muss auch empfangen. Wer Liebe schenken will, muss selbst mit ihr beschenkt werden“,

schreibt Papst Benedikt XVI. in „Deus caritas est“.

Verdammte Lust oder göttliches Geschenk?

Die menschliche Person liebt immer. Und somit geht es um eine Integration der sinnlichen Antriebe (Eros) in die menschlich personale Liebe. Eros bedarf jedoch einer reinigenden Reifung. Die gelingt, indem Eros und Agape Hand in Hand diesen Weg der Reifung bestreiten. So schreibt nicht zuletzt Papst Franziskus in seinem Schreiben „Amoris laetitia“: 

„Wir dürfen also die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, die zum Wohl der Familie toleriert werden muss, sondern müssen sie als Geschenk Gottes betrachten, das die Begegnung der Eheleute verschönert. Da sie eine Leidenschaft ist, die durch die Liebe, welche die Würde des anderen verehrt, überhöht ist, gelangt sie dahin, eine ‘lautere schiere Bejahung’ zu sein, die uns das Wunderbare zeigt, zu dem das menschliche Herz fähig ist, und ‘für einen Augenblick ist […] das Dasein wohlgeraten’.“

Es ist wahr, Eros will uns zum Göttlichen hinreißen, hinausführen aus dem und über das eigene Ich. Aber gerade hier ist es notwendig, einen Weg zur Reinigung und Reifung einzuschlagen. Erst hierin findet der Eros letztlich seine Größe und Heilung. Hier findet dann auch der Weg des Aufstiegs statt. 

Deshalb betont Benedikt XVI. in „Deus caritas est“ zu Recht: „In Wirklichkeit lassen sich Eros und Agape – aufsteigende und absteigende Liebe – niemals ganz voneinander trennen. Je mehr beide in unterschiedlichen Dimensionen in der einen Wirklichkeit Liebe in die rechte Einheit miteinander treten, desto mehr verwirklicht sich das wahre Wesen von Liebe überhaupt.“

 

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Kommentare

Kommentar
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Andreas Graf
Vor 3 Monate 3 Wochen

Die Liebe wurde bereits von den unterschiedlichsten Personen mit blumigen Worten beschrieben und zu ergründen versucht. Wurde die Liebe je ergründet, je richtig verstanden? Wer ist je vorgedrungen in die Tiefen der Tiefen der Liebe, wie wie die Mystiker sie haben erfahren dürfen? Verstehen werden die Liebe letztlich nur jene, die beten, denn das Gebet ist der Schlüssel, der das Herz Gottes öffnet, denn Gott allein ist die Liebe. Der Beter wird dann auch das 6. Gebot anzunehmen lernen, wie Gott sich das Ausleben der Liebe wünscht. Er wird dann überrascht sein, welche Schätze sich da auftun, die im 6. Gebot verborgen sind. "Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren." (Joh. 14,21) Die substanzlose Religionskritik sollte einen Christen nicht vom Weg abbringen. Er weiß sich vom Taborerlebnis der Liebe im Gebet getragen. Er wird dann auch die Fallstricke des bösen Feindes erkennen, die Satan durch seine Handlanger wie Friedrich Nietzsche oder eines Anders Nygren auslegt, um den Beter vom wahren Weg der Liebe, die den Eros nicht ausschließt, abzubringen. Ein Hinweis an den Autor: Einen Häretiker wie den Usurpator Papst Franziskus würde ich nicht zur Beweisführung heranziehen. Das diskreditiert den gutgemeinten Text. Ein Häretiker ist eo ipso exkommuniziert. Neben vielen häretischen Äußerungen hat Bergoglio explizit in Amoris laetitia durch die berühmte Fußnote die Unauflöslichkeit der Ehe bestritten und aufgehoben.

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Paulettinus
Vor 3 Monate 3 Wochen

Gott sei Dank für Ihren Kommentar! Sie sprechen dem katholischen Glauben aus der Seele.

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Andreas Graf
Vor 3 Monate 3 Wochen

Die Liebe wurde bereits von den unterschiedlichsten Personen mit blumigen Worten beschrieben und zu ergründen versucht. Wurde die Liebe je ergründet, je richtig verstanden? Wer ist je vorgedrungen in die Tiefen der Tiefen der Liebe, wie wie die Mystiker sie haben erfahren dürfen? Verstehen werden die Liebe letztlich nur jene, die beten, denn das Gebet ist der Schlüssel, der das Herz Gottes öffnet, denn Gott allein ist die Liebe. Der Beter wird dann auch das 6. Gebot anzunehmen lernen, wie Gott sich das Ausleben der Liebe wünscht. Er wird dann überrascht sein, welche Schätze sich da auftun, die im 6. Gebot verborgen sind. "Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren." (Joh. 14,21) Die substanzlose Religionskritik sollte einen Christen nicht vom Weg abbringen. Er weiß sich vom Taborerlebnis der Liebe im Gebet getragen. Er wird dann auch die Fallstricke des bösen Feindes erkennen, die Satan durch seine Handlanger wie Friedrich Nietzsche oder eines Anders Nygren auslegt, um den Beter vom wahren Weg der Liebe, die den Eros nicht ausschließt, abzubringen. Ein Hinweis an den Autor: Einen Häretiker wie den Usurpator Papst Franziskus würde ich nicht zur Beweisführung heranziehen. Das diskreditiert den gutgemeinten Text. Ein Häretiker ist eo ipso exkommuniziert. Neben vielen häretischen Äußerungen hat Bergoglio explizit in Amoris laetitia durch die berühmte Fußnote die Unauflöslichkeit der Ehe bestritten und aufgehoben.

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Paulettinus
Vor 3 Monate 3 Wochen

Gott sei Dank für Ihren Kommentar! Sie sprechen dem katholischen Glauben aus der Seele.