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Kolumne „Der Philosoph“

Vom Sinn des Verzichts

Seit ein paar Jahren beobachte ich nun schon, dass die Fastenzeit auch in nicht-religiösen Zirkeln ein Thema ist. Leute, die eigentlich nichts mit dem Glauben zu tun haben, berichten, wie sie dieses Jahr auf Süßigkeiten, Knabberzeug oder Alkohol verzichten oder auch den Handykonsum einschränken wollen. Warum aber versagen sich nicht-religiöse Menschen bewusst etwas, das ihnen offenbar ansonsten große Freude bereitet? 

Da gottbezogene Gründe in diesen Fällen ausscheiden, muss die Antwort mit dem rein irdischen Wohlergehen des Menschen zu tun haben: Offenbar spüren die Verzichtleistenden, dass die Dinge, aus denen sie den Rest des Jahres großen Genuss ziehen, ihnen in einem tieferen Sinne zugleich nicht guttun, ja sogar schaden. Die Freuden, auf die sie während der Fastentage Verzicht leisten, dürften nämlich in Wahrheit zu den Ursachen zählen, warum sie sich so oft träge, schlapp, unruhig und unkonzentriert fühlen. Was diese nicht-religiösen Menschen während der Fastenzeit praktizieren, ist weniger ein echtes Fasten als die zeitweilige Korrektur des Lasters der Unmäßigkeit.

Worauf es eigentlich ankäme, wäre, an die Stelle der Unmäßigkeit dauerhaft die entsprechende Tugend der Mäßigkeit zu setzen. Diese gehört neben Klugheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit zu den vier schon von Platon benannten Kardinaltugenden, die später auch vom Christentum wiederaufgenommen wurden. Als Kardinaltugend ist die Mäßigkeit, wie es der Philosoph Josef Pieper mit Anspielung auf cardo (das lateinische Wort für „Türangel“) ausgedrückt hat, „eine der vier Angeln, in denen das Tor zum Leben schwingt“. Was im Lateinischen mit temperantia angesprochen ist, ist im Deutschen aber nur ungenau mit „Mäßigkeit“ wiedergegeben. 

In sich selbst die rechte Ordnung verwirklichen

Zu leicht stellt sich die falsche Assoziation mit Laschheit und Mittelmäßigkeit ein. Pieper hat daher zur Erfassung des lateinischen Wortsinns auch das Wort „Zucht“ vorgeschlagen, weil es das ziehende, aufziehende und erziehende Element der gemeinten Tugend zum Ausdruck bringt.

Die Zucht, die Pieper meint, besteht darin, „in sich selber Ordnung“, und zwar die rechte Ordnung, zu verwirklichen. Das heißt: Die eigene Seele, oder genauer: der eigene Charakter mit seinen festen, gewohnheitsmäßigen Haltungen ist so zu formen, dass die nach unendlicher Ausdehnung und totaler Dominanz strebenden Begierden das rechte Maß erhalten.

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Damit ist nicht einer leib- und genussfeindlichen Entsagung das Wort geredet: So ist es etwa nicht nur gut, überhaupt zu essen und zu trinken, sondern es ist auch gut, gutes Essen und Trinken zu genießen. Nur darf der Genuss von Speis und Trank eben keinen ihm ungebührenden Platz in der ganzheitlichen Ordnung der Güter einnehmen, wie sie in der Natur des Menschen begründet ist. Die Völlerei etwa ist ein Laster der Unmäßigkeit, weil sie den Genuss verabsolutiert; sie löst die Nahrungsaufnahme von ihrem natürlichen Zweck, der schlicht darin besteht, den Leib zu nähren, gänzlich ab.

Es sollte nicht bei einer fruchtlosen Trockenübung bleiben

Wer also in der Fastenzeit auf Dinge verzichtet, die er zwar genießt, die ihm aber in Wahrheit schaden, der geht einen ersten Schritt zur tugendgemäßen Züchtigung seiner selbst. Wenn aber die Abende nach Ende der Fastenzeit wieder regelmäßig mit Erdnussflips auf dem Sofa und „Deadscrolling“ auf dem Handy verbracht werden, war der kurzzeitige Verzicht letztlich nur eine fruchtlose Trockenübung.

Der hl. Hieronymus dargestellt von Caravaggio als Asket und Mystiker

Im eigentlichen, christlich-religiösen Sinne ist das Fasten mehr als bloßer Verzicht auf irgendwelche Genüsse. Traditionell besteht das katholische Fasten in der Beschränkung auf eine sättigende Mahlzeit am Tag. 

Der dreifache Sinn des Fastens

Der heilige Thomas von Aquin erkannte darin einen dreifachen Sinn: Erstens zügele das Fasten die Fleischeslust. Weil der Verzicht auf Speis und Trank die Wollust erkalten lasse, schütze das Fasten auch die Keuschheit. 

Zweitens setze die Zügelung fleischlicher Begierden Energien frei, um sich der „Kontemplation göttlicher Dinge“ zu widmen und dadurch Gott selbst näher zu kommen. Drittens leiste man durch das Fasten Buße für begangene Sünden und treibe dadurch die Versöhnung mit Gott voran.

Das Fasten im eigentlichen Sinne ist daher weder Selbstzweck noch ein Instrument zur Selbstoptimierung. Es dient dazu, in ein engeres Verhältnis zu Gott zu treten. Anders als beim nicht-religiös motivierten Verzicht auf überflüssige oder schädliche Genussmittel geht es beim Fasten nicht um unser natürliches, sondern vor allem um unser übernatürliches Wohl.

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