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Tipps zum Zunehmen in der Fastenzeit

Abstreifen, was uns hindert zu Gott

Wer einmal Augenzeuge des rheinischen Karnevals geworden ist, weiß, welche Wehmut in diesem Refrain des bekannten gleichnamigen Schlagers „Am Aschermittwoch ist alles vorbei!“ mitschwingt. Denn der Rheinländer betrauert hier – noch bevor er mit dem Karneval-Feiern zu Ende gekommen ist –, dass am Aschermittwoch alle Festesfreude vorbei ist. Vorüber die ausgelassene Fröhlichkeit der „tollen Tage“, vorbei die Ungezwungenheit karnevalistischer Umtriebe. Und deswegen wird es jetzt hier in der Kolumne auch ein wenig frommer als sonst.

Die Liturgie der österlichen Bußzeit sieht es so: Am Aschermittwoch beginnt etwas entscheidend Neues. Hier hebt eine neue Zeit an, eine Zeit der Entschlackung, der Neuorientierung, der Umkehr und Rückkehr zu den wichtigen Dingen. Hier ist nicht alles vorbei, hier liegt ein neuer Anfang. Es ist wie beim halb gefüllten Wasserglas, das die einen als halbleer und die anderen als halbvoll betrachten. Ob also nun alles vorbei ist, wird sich zeigen müssen.

Nicht umsonst setzt der Aschermittwoch einen so deutlichen und eindeutigen Akzent zu Beginn der Fastenzeit. Die Aussicht auf Vollendung, die Hoffnung auf Anteil am österlichen Sieg Christi stellt die Asche in einen neuen Zusammenhang. Sie nimmt ihr die vernichtende Kraft, die bedrückende Gewalt der Zerstörung, und gibt ihr eher einen „pädagogischen“ Charakter: der Mensch soll nicht auf das bauen, was zu Asche werden kann, sondern auf das, was bleibt für das ewige Leben. Das heißt nicht, dass alles Irdische nebensächlich und unwichtig ist. Aber es ist nicht das, an dem wir hängen dürfen.

Es geht darum, im Praktischen umzukehren

Um das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden zu können, braucht es den Schritt an den Rand, den Schritt aus der Mitte des täglichen Geschäfts hinaus in die Einsamkeit der Wüste, um von dort aus das Zentrum besser sehen zu können.

Orientierung wird dabei nicht in erster Linie durch den Blick auf mich selbst geschaffen (wie die Psychologie meint), sondern der Abstand von mir und meiner Welt, der Blick auf die Schönheit Gottes, in der ich mich vollenden kann und angesichts derer ich meine Bedürftigkeit und Schwäche sofort erkenne. Die Neuordnung meiner Verhältnisse schafft nicht der Spiegel, sondern der Blick in die Schönheit des göttlichen Lichtes. Dieser Blick schenkt mir Selbsterkenntnis und führt mich zur Umkehr.

Dabei findet das Theoretische, das Schauen auf Gott im Gebet, seine Konsequenz im Handeln. Die „praktische Umkehr“, die Korrektur des Handelns, die Werke der Liebe, zu denen uns die Fastenzeit aufruft, sind nichts anderes als die praktisch gewordene „theoretische“ Begegnung mit Gott in der Meditation, die in das Tun ausfließende Liebe, die ich in der Begegnung mit Gott erneuert habe. Es geht nicht um einen Katalog von moralischen Leistungen, den ich in der Fastenzeit abarbeiten müsste. Es geht um eine Erneuerung meiner Liebe zu Gott und zu den Menschen, die niemals nur im Kopf oder im Herzen steckenbleiben kann, sondern praktisch werden muß, sich im Tun bewähren muss und damit dem, was ich im Beten erkannt habe, seine äußere Gestalt verleiht.

Die benebelten Sinne, der verfettete Geist

Fasten und Verzicht als spürbare Einschnitte in das selbstsüchtige Alltagsleben, das Gebet als Gang in die Einsamkeit und Gottbegegnung der Wüste und die Werke der Liebe als „praktisch“ gewordene Erkenntnis der Liebe Gottes sind die Säulen, auf denen traditionell die österliche Bußzeit aufruht. Sie wird in dieser Perspektive eher eine Zeit des Zunehmens als des Abnehmens, des Zunehmens an Konzentration auf das Wesentliche.

Fasten ist nicht eigentlich eine Schlankheitskur für den Körper. Fasten ist die sinnliche Voraussetzung für eine ungeheure geistliche Bereicherung. Das Fasten lässt mich spüren, dass die Dinge des Alltags meine Sinne benebeln und meinen Geist verfetten. So werde ich darüber hinaus frei für die Welt Gottes und kann in der Liebe neu erfüllt werden.

Das ist „Bekehrung“. Sie bedeutet nicht in erster Linie ein Umwenden zu etwas anderem, sondern ein Zuwenden zu mir selbst in der Abkehr von mir selbst. Ja, das ist paradox und findet in der österlichen Buße höchste Vollendung, zumal diese Paradoxie in der Entäußerung des Menschensohnes ihren Grund hat: Gott stirbt für uns aus Liebe und öffnet das Reich des Lichtes durch Seinen Tod.

Das Fasten muss wehtun

Der Mensch, der es Ihm gleichtun will, muss sich daher von sich selbst lösen, um sich zu gewinnen, er muss ebenso den Weg des Sterbens gehen, um das Leben zu gewinnen. Und wie der Betrachter eines schönen Kunstwerkes angesichts seiner Schönheit ganz „hingerissen“ ist, ganz „außer sich“ und gerade darin ganz er selbst wird, so ist der Gottsucher, der sich in Fasten, Gebet und Werken der Liebe entäußert, am Ende nicht entleert, sondern erfüllt – erfüllt von Gott, in dessen Begegnung er sein eigenes Wesen vollendet.

Auf dieser Basis entstehen die Rahmenbedingungen zur praktischen Durchführung der Fastenzeit, die helfen, den Weg auf Ostern nutzbringend zu gehen:

Erstens: das Fasten. Es sollte in jedem Fall zunächst ein wirkliches Fasten sein. Bevor man es uneigentlich auf andere Bereiche wie Fernsehkonsum oder Theaterbesuche bezieht (was sicher möglich ist), sollte es ein Fasten des Leibes sein, eine spürbare körperliche Einschränkung. Nicht weil Essen und Trinken oder gar der Genuss des Wohlschmeckenden schlecht wäre, aber gerade weil all dies grundsätzlich zur Bejahung der Welt gehört, nimmt man von ihm zeitweise Abstand, um zur Besinnung zu kommen und nicht im Genusstaumel zu versinken.

Wir sollen wieder lernen, die irdischen Güter so zu gebrauchen, dass wir die ewigen nicht verlieren. Hierbei helfen konkrete Vorsätze, etwa das Freitagsgebot strenger zu halten, auf bestimmte bevorzugte Speisen oder gar auf eine Mahlzeit am Tag zu verzichten.

Jemanden besuchen statt zu überweisen

Zweitens: das Gebet. Hier verhält es sich ganz ähnlich. „Ein wenig mehr beten“ ist ein schlechter Vorsatz, denn er ist zu allgemein. Konkret jeden Morgen und jeden Abend zehn Minuten beten oder eine abendliche Gewissenserforschung zu halten, einmal in der Woche für eine Viertelstunde die Kirche zur Anbetung aufzusuchen, auch einmal werktags an einer Heiligen Messe teilzunehmen oder täglich den Rosenkranz (oder wenigstens ein Gesätz) zu beten – das sind realistische und einzuhaltende Vorsätze, die das Gebetsleben intensivieren und den Einzelnen mehr als sonst Gott „aussetzen“. Hier spricht der Mensch zu Gott und hört, was Er zu sagen hat.

Und drittens: die Werke der Liebe. Sie sollten ähnlich konkret sein. Und vor allem sollten sie sich nicht auf finanzielle Almosen beschränken. Die Werke der Liebe funktionieren nicht allein per Überweisung. Es muss zu spürbaren, konkreten Erweisen der Liebe kommen.

Der Besuch im Krankenhaus, der mir schwerfällt, das praktische Zugreifen in der Hilfe für andere, die aufmerksame Sorge um diejenigen, die meiner Hilfe als Nachbar, als Kollege, als Verwandter besonders bedürfen und die ich nicht im fernen Afrika suchen muss, sondern die ich unter Umständen auch im Nachbarhaus finde – all dies sind die konkreten, leiblichen, Formen der Nächstenliebe, die aus dem Ernstnehmen der liebenden Entäußerung des Menschensohnes Jesus Christus hervorgehen und in der Zeit der Vorbereitung auf die Feier der Mysterien von Kreuz, Tod und Auferstehung angezeigt sind.

Das Aschenkreuz setzt einen neuen Anfang

Also: Am Aschermittwoch ist noch lange nicht alles vorbei, im Gegenteil. Es beginnt die Zeit der Reifung unseres Christseins, die Zeit des Jahres, in der man wie in keiner anderen bewusst mit Gott leben muss, damit man den Weg, der zum Leben führt, nicht verliert. So sehr die Fastenzeit eine verhaltene Zeit ist, eine Zeit der Trauer über die Schmerzen des Gottessohnes, so sehr ist sie auch eine Zeit der Vorfreude. Denn das Ziel – der Ostermorgen – ist die Motivation, die Beschwernisse des irdischen Lebens nicht zu verdrängen, sondern sich ihnen positiv zu stellen.

Fasten, Gebet und Werke der Liebe sind die pädagogischen Maßnahmen, die einen wieder auf die Wahrheit dieses geheimnisvollen Lebens einstellen, das im Mysterium des Todes den Keim seiner Zukunft erblickt. Und das Kreuz aus Asche, das zunächst alle Lebensfreude beendet, setzt zugleich einen neuen Anfang. Denn es ist ein Kreuz – und im Kreuz ist Heil und Leben.

Das Kreuz ist das Siegeszeichen, es triumphiert über die Asche und den Tod. Allerdings nicht im Laufschritt, sondern im mühsamen Kreuztragen. Wer sich dem nicht verschließt, wird Anteil am Ostersieg des Erlösers finden. Und darf hoffen, dass nach allem Leid die ungetrübte und unvergängliche Freude des Himmels anbricht. Deren Vorgeschmack ist die österliche Festesfreude, die die Fastenzeit ablöst. Wer in den heiligen vierzig Tagen zugenommen hat – an Liebe und Glauben – feiert Ostern anders.

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