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Kolumne „Mild bis rauchig“

Jenseitsfürsorge

Museumsbesuche sind gewöhnlich eine anstrengende Sache. Die Masse der Eindrücke, langsames Voranschreiten von Objekt zu Objekt, langes Stehen vor Vitrinen, ermüdendes Entziffern von oft nur schlecht leserlichen Texten auf kleinen Schildern, unangenehmes Beobachtetwerden durch Aufsichtspersonen.

Um Museen attraktiver zu machen und ihnen ihre Schwere zu nehmen, hat man vor geraumer Zeit die Museumsdidaktik erfunden. Sie soll dem Besucher den Zugang erleichtern. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen Museumsstücke wie in einem Magazin in großen Kästen aufgereiht oder Bilder auf Wänden übereinandergetürmt aufgehängt waren. Vergangenheit die verstaubten Vögel in Naturkundemuseen und die sortierten archäologischen Fundstücke in Glasschränken und Holzvitrinen. Heute sind Ausstellungen meist temporär angelegt und so kuratiert, dass die Besucher bei der Hand genommen werden und vom Beginn bis zum Ende durch multimedial verstärkte Eindrücke möglichst nicht in Langeweile verfallen.

Abgesehen von Kunstausstellungen, deren Objekte den Betrachter aus sich heraus ansprechen, sind historische, technische oder sakrale Ausstellungen heute von einem pädagogischen Erklärkonzept umgeben, das die Objekte zum Verständnis aufbereitet. Dies gelingt zuweilen sehr gut, manches Mal fühlt man sich jedoch als Besucher unangenehm erzogen, wenn man sich auf die Erklärungen der Schildchen oder aus dem Audioguide einlässt. Denn über neutral-hilfreiche Erklärungen und historische Einordnung hinaus wird auch gerne bewertet und gemahnt, einseitig beleuchtet oder historisch-kritisch analysiert, was nicht immer den Kern der Sache trifft.

Negativbeispiel Kölnisches Stadtmuseum

Bestes Beispiel für eine solche museumspädagogische Unterrichtsform ist die Konzeption des neuen Kölnischen Stadtmuseums. Man hat sich dort von einer chronologischen Reise durch die Stadt verabschiedet und das Ganze nach Befindlichkeiten geordnet. „Die künftige Dauerausstellung besteht aus Frageräumen, die jeweils eine Emotion zugrunde legen. Beispielsweise ‘Was macht uns Angst?’, ‘Was freut uns?’ etc.“ bekundet die stellvertretende Leiterin des Stadtmuseums im Interview auf der eigenen Webseite.

Nicht nur der ahnungslose japanische Tourist, sondern auch ich, der ich Köln ja eigentlich schon kenne, werde ratlos zurückgelassen, wenn ich eine Zeitreise durch die Rheinmetropole machen möchte. Ich bekomme allerdings umfängliche Informationen, wieweit Integration, Diversität und Inklusion gut gelungen seien. Wir lernen: gute Antike, böse Christianisierung des damals schon multikulturellen Heerlagers Colonia Agrippina, böser Erzbischof und gute Bürgerschaft, die sich seiner entledigte und ihn nach Bonn verbannte, gute Reformation und böser katholischer Adenauer, guter Diversitätsfaktor mit aktuell guter Queerkultur und hohem woken Lebensstandard.

Nach meinem Besuch im Kölnischen Stadtmuseum war ich zunächst für eine Zeit kuriert, was Museen dieser Art betrifft. Bis es mich kürzlich in Nürnberg ins Germanische Nationalmuseum verschlug. Ein Feriensonntag, der durch monsunartige Regengüsse ohnehin die Wahl eines Museumsbesuches alternativlos machte, bescherte mir ein hohes Vergnügen in der Begegnung mit sakraler Kunst, Wohn- und Möbelkultur, altem Spielzeug und deutscher Geschichte.

Nürnberg lässt Raum für eigenes Nachdenken und Bewerten

Das Wohltuende in der dort herrschenden Konzeption ist eine aus meiner Sicht recht objektive Darstellung dessen, was man zu sehen bekommt. Kurz und knapp gehaltene Erläuterungen auf den angebrachten Textschildern verschaffen einen allgemeinen Überblick und lassen dem Betrachter Raum für eigenes Nachdenken, Einordnen und Bewerten.

Besonders gespannt war ich auf den Bereich der sakralen Kunst. Denn auf dem Gebiet der Religion öffnet sich in der Regel ein Minenfeld von unvollständigen bis falschen Informationen, die dem Betrachter ideologische Brillen aufsetzen und damit den Blick für das trüben, was es eigentlich zu sehen und zu erfahren gibt. Und weil es zuweilen auch in Domschatzkammern und Diözesanmuseen keine Schutzgarantie vor derlei gesinnungsmotivierten Präsentationen gibt, war ich beim Betreten der Sakralabteilung des Nationalmuseums ein wenig angespannt.

Es hat dann nicht lange gedauert, um festzustellen, dass mein erfahrungsgesättigter Verdacht sich nicht bestätigte. Ordentlich gebündelte Informationen zur Kirchengeschichte, speziell zur Reformation, die ja in der öffentlichen Darstellung in der Regel einseitig verstanden und unvollständig präsentiert wird, sachgemäße Behandlung theologischer Grundlagen zum Verständnis dessen, was dort zu sehen ist.

Die Sammlungsobjekte dürfen selbst sprechen und etwas lehren

Ich war überrascht, besonders über die ansonsten aufgrund ihrer sensiblen Inhalte meist falsch dargestellte Eucharistielehre. In Zeiten, in denen jede landläufige Erstkommunionkatechese sich in vordergründiger Brotmystik verliert und die Unterrichtsmappen fatal in die Nähe der Bäckerblume rückt, erstaunten mich die knappen und präzisen Erklärungen der Nürnberger Museumsdidakten zur heiligen Messe, bei denen gar der Begriff der unblutigen Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers Christi nicht umgangen wird.

Ebenso bemerkenswert eine auffällige Abstinenz von der sonst üblichen gesellschaftskritischen Einordnung schöner und prunkvoll-üppiger Kirchenkunst als Überbauphänomen vorrevolutionärer Gesellschaften. Es gelingt im Nationalmuseum nicht nur sachgemäß zu bleiben, sondern auch auf dem Teppich. Keine Belehrung des Betrachters aus der Feder der Kuratoren, sondern allein durch die Objekte der Sammlung selbst.

So stelle ich mir ein Museum vor. Ich werde in eine andere – in diesem Fall in eine historisch vergangene – Welt geführt, die ich zunächst mit ihren eigenen Augen sehen lerne. Dann kann ich mir anschließend selbst meine Gedanken machen, wie ich sie bewerte, ob ich sie bestaune oder mich über sie entrüste oder ob sie mich schlicht nicht berührt.

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Just durch diese Weise der Aus- und Darstellung gelingt dem Germanischen Nationalmuseum im Vergleich zu anderen Ausstellungen kirchlichen Lebens und seiner Kunst etwas Seltenes. Man wird mit den ungeschmälerten Inhalten des Glaubens und seiner Wirkungen konfrontiert, die einem helfen, das Christentum mit seinen Facetten zu verstehen.

Es gelingt dort, die Zusammenhänge zwischen Glaubensüberzeugungen und ihrer künstlerischen Außenseite darzustellen und den Besuchern nahezubringen. Angesichts der heutigen, von einer kirchlich-politischen Korrektheitssehnsucht bestimmten Manie zur Relativierung zurückliegender Glaubenswelten dokumentieren die musealen Hinweisschildchen in geradezu ungewöhnlicher Direktheit die zeitlos geglaubte Verbindung zwischen Diesseits und Jenseits, wie sie das Bekenntnis der Christen zu einem menschgewordenen Gott bestimmen.

 

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Man erhält zum Beispiel sowohl die plausible Erläuterung über den Sinn der prunkvollen Goldschmiedekunst katholischer Kelche, der in der Verehrung einer als dauerhaft geglaubten realen Präsenz des Leibes und Blutes des Gottessohnes Jesus Christus liegt, als auch Kenntnis über den Grund protestantischer Schlichtheit, der im reformatorischen Bekenntnis ruht, das alles Äußere als Behinderung eines kristallinen Gottesverhältnisses empfindet und sich deswegen von einer heilswirksamen Sakramentalität abwendet.

Hier wird nicht in Gut und Böse gedacht, nicht die Reformation als die Erlösung von katholischer Sinnenhaftigkeit gepriesen, sondern schlicht die Gründe für die unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksweisen belegt, auf dass sich der Betrachter der Objekte erfreuen oder grämen mag. Die Art der Emphase an der Vitrine wird dem Besucher überlassen, und er mag sich weder für das eine noch das andere schämen müssen, weil er womöglich mit seinen Empfindungen das Thema der Unterrichtseinheit verfehlt.

Was hat das mittelalterliche Klosterwesen mit den Verstorbenen zu tun?

Als Katholik brauchte ich also nicht pflichtgemäß meine Freude an der Pracht der Hüllen zu unterdrücken, weil mir die theologische Begründung des Museums zur Existenz üppiger Sinnlichkeit die Schlüssigkeit meiner Empfindung nicht bestreitet. Darüber hinaus erstaunte mich der Text auf einer der Hinweistafeln. Er ließ mich beim Fortgang durch die Ausstellung nicht in Ruhe, so dass ich an dessen Ende nochmals zurückging, um mich zu vergewissern, dass ich mich nicht verlesen hatte.

Und tatsächlich: in der Abteilung, in der schöne sakrale Goldschmiedekunst ausgestellt ist, findet sich eine Erklärung für den Besucher, die davon spricht, dass das katholische Glaubensbekenntnis die Feier der heiligen Messe als notwendig für das Heil des Menschen versteht – und zwar für das Heil der lebenden und der toten Menschen. Und dass es in dieser Glaubensüberzeugung begründet ist, die Eucharistie zum Vademecum des Lebens zu machen, weil in ihr die stetig zu erneuernde Beziehung zu Jesus Christus nach der Maßgabe seines Auftrags im Abendmahlssaal Realität wird.

Das mittelalterlich-feudale Klosterwesen, das im Museum an dieser Stelle dargestellt wird, begründet sich in genau dieser Überzeugung, dass es das Messopfer braucht, um diese Welt heller und heiler zu machen. So liegt das Selbstverständnis der vielen Klöster und Stifte der Jahrhunderte allein in dem Glauben begründet, dass es ein Dienst an den Lebenden und den Toten ist, die heilige Messe zu zelebrieren – möglichst oft und möglichst schön. Und dass darin – Achtung, jetzt kommt der Begriff! – die Jenseitsfürsorge des Menschen besteht, der daran glaubt. Wow! „Jenseitsfürsorge“ – welch ein Terminus zur Beschreibung dessen, was das Ziel des menschlichen Lebens ist und sein Weg dorthin.

Es gibt ein Ziel, das den Weg erst begründet

In Zeiten, in denen sich auch das katholische Establishment dem quasi-taoistischen Grundsatz verschrieben hat, dass der Weg das Ziel sei, bekundet die museale Sammlung von Kultgeräten in Nürnberg das reine und richtige Gegenteil im tradierten katholischen Glaubensgut – also im überlieferten, auch heute noch gültigen Glaubensgut. Nämlich, dass es ein Ziel gibt, das den Weg erst begründet und sinnvoll macht, dass dieser Weg mit den Mühen der Vorsorge ausgestattet sein muss, um das Ziel zu erreichen und dass dazu die Feier der Sakramente, insbesondere der Eucharistie „Jenseitsfürsorge“ ist. Ja: ist und nicht war.

Die sakramentale Sorge um das Erreichen eines jenseitigen Ziels präsentiert das Museum nicht als vergangene, überholte Sichtweise, sondern als das, was die katholische Kirche aller Zeiten als Kernempfehlung für die Glaubenden wachhält und im Übrigen auch als die eigentliche Existenzberechtigung ihrer Amtsträger definiert.

Für mich ein Aha-Erlebnis an diesem regnerischen Sonntag. Es leuchtete, umgeben von den Wassergüssen eines Sommergewitters, die katholische Wahrheit in einem Museum auf. Was gemeinhin in der katholischen Verkündigung verdunstet ist, stellt sich dort im Schutz historischer Darstellung vor den Besucher.

Auch heute noch kann es gelingen, die Wahrheit zum Leuchten zu bringen!

Natürlich ist eine solche Ausstellung keine Katechese. Aber dennoch hat es etwas davon, denn der vorbehaltlose Betrachter hat die Chance, in der großen Kunst der Vergangenheit die stetige Gültigkeit dessen zu erahnen, was aus den schönen Dingen spricht, die dort ausgestellt sind. Es ist die Gottesgegenwart in der Zeit, die, umhüllt von Schönheit und Pracht, dem Menschen hilft, dafür zu sorgen, dass er in den Himmel kommt. Nicht er allein ist der Schmied seines Glückes. Gott hilft ihm dabei. Er schenkt dem Menschen, der sich um sein Heil müht, seine Hand in der Kraft der Sakramente, damit er sein Ziel heil erreicht, das er allein womöglich verpassen könnte.

Und so hatte für mich der Monsun von Nürnberg an diesem Sommertag die Zweifel abgewaschen, ob es auch heute noch gelingen könne, die Wahrheit zum Leuchten zu bringen. Nicht durch künstliche und geschickte Anstrahlung, sondern weil sie selbst das Licht ist. So wie die Sonne, die sich am Abend meines Museumsonntages wieder durch die dunklen Wetterwolken behauptet hatte.

 

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Peter Schafranek
Vor 2 Wochen 6 Tage

Die Messe als "Jenseitsfürsorge" - boah, einfach grossartig !

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Peter Schafranek
Vor 2 Wochen 6 Tage

Die Messe als "Jenseitsfürsorge" - boah, einfach grossartig !