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Kolumne „Ein bisschen besser“

Warum in jedem von uns ein kleiner Sorbas steckt und wie wir ihn rauslassen können

Judith und ich machen ein Fest. Die Einladungen müssen früh hinaus. Ein halbes Jahr oder so. Die Freunde haben alle so viel um die Ohren. Uns beide kann man manchmal sogar noch für denselben Abend buchen, aber da sind wir eher die Ausnahme. Von da an freuen wir uns, erst Monate, dann Wochen. Tage vor dem Fest gibt es dann kaum ein anderes Thema.

So geht zum Beispiel ein Gutteil der Planung für den Vorabend drauf. Meine Frau Judith hat inzwischen einen ganzen Vorabendkleid-Kleiderschrank, in dem alle ihre zweitschönsten Gewänder hängen. Aus der Erfahrung der Jahrzehnte wissen wir, dass Gäste, die von weither kommen, gern schon etwas eher anreisen. Wir treffen uns dann ungezwungen auf ein Gläschen am Abend zuvor, und die Sache ufert natürlich völlig aus. Du hast dich so lange nicht gesehen, wer weiß, was morgen ist, warum dann nicht heute Gas geben. Kein nahender Abschiedsschmerz trübt die Stimmung, das Eigentliche kommt ja noch.

Ich kenne Feste, da hat der Vorabend den Hauptabend locker übertroffen. Anderntags ist das Wehklagen groß. „Ach hätte ich doch nicht“ und: „Musstest du noch die Flasche für besondere Gelegenheiten öffnen?“ Zum Glück hält die Pharmaindustrie für solche Vorabend-Nachwehen zahlreiche Präparate bereit.

Wenn endlich alles bereitet ist und die Gäste da sind

Ich bastele an der Beleuchtung. Judith holt endlich die bestellten Laibe Brot von der Trattoria oben am Berg. Ganze Würste, Schinken am Stück, handtellergroße Käse, alles selbst mit der italienischen Schneidemaschine hauchdünn zerteilt, verbreiten Flair. Grün-weiß-rote Basilikum-Mozzarella-Tomaten-Spieße besorgen den Rest. Die Kühl-Aggregate summen auf Hochtouren.

Die Eröffnungsrede ist formuliert, das Hauptabendkleid hat Premiere, und wir beide warten auf die Gäste, die wiederum darauf warten, dass sie nicht die ersten sind. Ich werde hinterher denken, dass dieser Augenblick der schönste ist. Wenn du dir kurz nicht sicher bist, ob sie alle wirklich kommen, bevor sie dann doch alle da sind und die Zeit zu rasen beginnt.

„Kann mal einer ‘Griechischer Wein’ auflegen?

Du umarmst, schenkst nach, freust dich, in die altbekannten Gesichter zu schauen. „Hat sich gar nicht verändert“, „Ist grauer geworden“, „Humpelt ein bisschen“, „Erzählt noch immer die gleiche Geschichte“, „Hat sich von seiner Frau getrennt, ich weiß auch nicht, wie er die so lange ausgehalten hat“, „Hat seinen Job an den Nagel gehängt“, „Lässt noch immer nichts anbrennen“, „Kann mal einer ‘Griechischer Wein’ auflegen?“ Unsere Feste enden oft mit einem nach vorn geworfenen Bein beim Sirtaki, der uns im alkoholgeschwängerten Blute liegt.

„Sind wir nicht alle ein bisschen Sorbas?“, frage ich Judith, als wir in der Morgendämmerung im Bett liegen. Ich murmele etwas von Bacchus und Dionysos. „Ein bisschen besser wäre es, wir laden nächstes Jahr gleich zum Fest der Götter ein“, sage ich noch. Sie schnarcht schon mit gekräuseltem Näschen. Ich muss mich bald an den Einladungstext machen, die Leute haben ja heutzutage so viel um die Ohren.

 

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