Lachen gegen den Woke-Wahnsinn
Der Hinweis kam aus der Redaktion. Ab dem 31. Oktober läuft ein Film in den Kinos, der mir gefallen könnte. „Alter weißer Mann“, eine Familienkomödie mit dem bekannten deutschen Schauspieler Jan Josef Liefers. Warum sollte mir der Film gefallen? Ich habe in der Vergangenheit gerne den Woke-Wahnsinn verulkt und bin damit zumindest in der Schweiz bekannt geworden. Und der Trailer verspricht, dass ein Familienvater Mitte fünfzig mit den neuen Trends, der Sprachpolizei und der „Vielfalt“ nicht zurechtkommt. Steilvorlage für einen humorvollen Abend.
Es bot sich gerade an, einen alten, weißen Mann zu fragen, ob er mit mir ins Kino geht. Er ist zwar weiß, nur nicht alt, sondern erst 49, charmant, groß und hat eine unglaubliche Sprechstimme. Eigentlich logisch, denn er ist die Erzählerstimme in vielen Fernsehsendungen.
Mit nicht mehr ganz jungem Mann ins Kino
So kommuniziert er auch fundiert und schreibt kaum SMS, sondern lieber lange Sprachnachrichten. Das kommt mir entgegen, denn zum Leidwesen meiner Freunde mache ich auch gern lange Sprachnachrichten. So gingen wir viele Sprachnachrichten durch, bis die Verabredung feststand und dank unserer Sprechleidenschaft keine Missverständnisse entstehen konnten.
Hätte ich einen hippen Freund in meinem Alter gefragt, wäre ich wahrscheinlich von einem Typen mit langen Haaren und Dutt abgewiesen worden, weil ihm der Film zu rechtsreaktionär wäre.
Tiefgründig und erfrischend zugleich
Zum Film: Wie schon der Trailer verrät, steckt Familienvater Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) in einer Lebenskrise. Ihm droht der Verlust seiner Stelle als Marketingleiter bei der Fernsehfunk AG, und er muss etwas dagegen unternehmen. Die Gelegenheit, sich von seiner „wokesten“ Seite zu zeigen, ergibt sich, als sein Chef ihn bittet, einige wichtige Leute aus der Firma bei sich zu Hause zu bewirten.
Statt die Sache locker zu nehmen, denkt Hellmich strategisch, als wäre das Abendessen eine Wahlkampfveranstaltung. Er möchte alle Randgruppen inkludieren und ja keine Fehler machen. Das wird schwierig, denn seine familiäre Situation ist alles andere als gut: Konflikte mit der Ehefrau, den Kindern und dem alten Vater, der besser seinen Führerschein abgeben sollte (leichter Spoiler).
Es ist eine Komödie, die so tiefgründig und erfrischend zugleich ist, dass sie schauspielerisch und inhaltlich auf allen Ebenen überrascht. Die komische Tragik um Hellmich („Die Zeiten sind sensibel. Heinz auch“) nimmt zu, je mehr Details über seinen Charakter bekannt werden. Er glaubt, alles im Griff zu haben und auch etwas erreicht zu haben. Doch die Rückmeldungen, die er überall bekommt, sind eher nüchtern. Er gerät ins Grübeln und trifft dann nicht die klügsten Entscheidungen.
Liefers beeindruckt durch seine Fähigkeit, zwischen Ernsthaftigkeit und Komik zu wechseln, ohne dass sein Handeln an Slapstick erinnert. Der Film wird auch nicht künstlich in die Länge gezogen, sondern ist bis zum Schluss spannend. Die Exzesse eskalieren und erinnern ein wenig an die US-Trilogie „Hangover“, ohne dass die ganze menschliche Dekadenz im Film ausbräche und man den Film nicht mehr als Familie anschauen könnte.
Auch die Nebenrollen sind souverän besetzt, It-Boy Elyas M’Barek überzeugt in der Rolle des externen PR-Beraters Älex Sahavi mit einem rundum glatten „Mr. Perfect“-Auftritt, der mit der Absurdität der Woke-Thematik gezielt zum Schmunzeln bringt.
Wenn man nicht mehr unbefangen reden kann
Das Thema KI ist im Film allgegenwärtig, und es werden sehr viele neue technische Möglichkeiten angepriesen, was fast schon zu informativ rüberkommt. Man merkt, dass das Thema gründlich recherchiert wurde.
> Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge.
Die Darstellung aktueller gesellschaftlicher Probleme wurde perfekt auf den Punkt gebracht, wie zum Beispiel die Migration. So gut, dass man sich selbst in dieser multikulturellen Runde beim Abendessen bei den Hellmichs sieht und sofort seinen Senf dazugeben möchte. Man kennt das von Treffen mit alten Bekannten, bei denen man nicht weiß, worüber man unbefangen reden kann. Diese Spannung wurde im Film sehr gut eingefangen und transportiert.
Das Beste zum Schluss
Der Zuschauer wird genau dort abgeholt, wo er gerade steht. Jeder, der sich fragt, ob er mit dem heutigen Denken noch mithalten kann, findet in „Alter weißer Mann“ einen Hafen des Verständnisses. Jede mögliche Unsicherheit wird aufgegriffen, als wolle man dem „alten weißen Mann“ liebevoll auf die Schulter klopfen und sagen: „Hey, ich verstehe das auch nicht, du bist nicht allein!“
Neben einem „alten weißen Mann“ gesessen zu haben, der während des Films herzlich über sich selbst lachte, machte das Erlebnis noch amüsanter. Nette Gesten, wie das Aufhalten der Tür, die Einladung zu einem Drink und unglaublich gute und tiefe Gespräche haben mir den Abend zusätzlich versüßt. Wenn das chauvinistisch und heteronormativ sein sollte, ist mir das egal, denn ich würde den etwas altmodischen „alten weißen Mann“ jederzeit dem Hipster vorziehen, der mir aus Angst vor meiner Zurechtweisung nie die Tür aufhalten würde.
Kommentare