Das Fest der Demut
Weihnachten ist das Fest der Liebe. Und der Freude. Und damit auch der Demut – der Königin aller Eigenschaften. Der Allmächtige ist ein Embryo geworden. Aus lauter Zärtlichkeit zu den Menschen. Echte Nähe geht nur mit Demut. Das hat Gott uns vorgemacht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er von uns verlangt, es ihm nachzutun. Wenn wir nicht demütig werden, müssen alle anderen guten Eigenschaften doch immer auch ein bisschen für unsere eigene Glorifizierung herhalten. Dann sind wir niemals ganz frei. Um wirklich diesen Planeten gesundzulieben – und dazu sind wir da, lernen zu lieben und uns lieben zu lassen – müssen wir frei werden. Von Komplexen und von Ruhmsucht.
Diese Haltung sieht man am klarsten bei Maria. Sie bekommt Besuch von einem Engel mit einer Unverschämtheit von einem Vorschlag: Sie würde auf einen Schlag der wichtigste lebende Mensch und gleichzeitig gewissermaßen vogelfrei werden. Und ihre Reaktion? Sie stellt eine logistisch-intellektuelle Frage und ist dann an Bord. Weil sie es nicht für sich tut. Sondern im Vertrauen, dass Gottes Plan immer das Höchste an liebevoller Weisheit für alle Beteiligten beinhaltet.
Vor drei Jahren ist kurz vor Weihnachten meine liebste Freundin Katharina an Krebs gestorben. Sie war auf ihre Art eine große Lehrerin der Demut. Oft scharfzüngig und regelmäßig in Prada-Schuhen. Aber immer im Bewusstsein, dass Gott groß und sie sehr klein war. Und sehr geliebt.
Demut bewahrt vor Unbarmherzigkeit und Abschottungsmentalität
Demut klingt ja nicht wie das, was alle wollen – sie ist tatsächlich aber das Nonplusultra. Nämlich das Gegenteil von Minderwertigkeitskomplexen und von Arroganz, die in Wahrheit ja nur der Minderwertigkeitskomplex in einem schickeren Mäntelchen ist.
Demut ist die christliche Ur-Tugend und gleichzeitig Grundvoraussetzung für eine gewisse Gelassenheit. Demütig sein bedeutet, auf dem Schirm zu haben, dass man mit seinen Abgründen unendlich geliebt ist und man deshalb auch nicht da stehenbleiben muss, wo man gerade rummurkst. Das macht glücklich und frei in der Birne und im Herzen. Demut bewahrt vor Selbstmitleid, Unbarmherzigkeit und Abschottungsmentalität.
Mir ist aufgefallen, dass Christen gelegentlich davon ausgehen: Die Welt lehnt uns ab. Es stimmt: Jesus hat uns prognostiziert, dass wir verfolgt werden. Es wird tatsächlich weltweit kaum eine Crowd so engagiert verfolgt wie Christen. Aber manchmal benehmen wir uns auch einfach wie selbstgerechte Ärsche, und wenn uns dann keiner leiden kann, tun wir so, als hätten wir – bei aller Demut natürlich – bemerkt, dass das an der Gottesferne der Welt liegt.
Lieben bis zum Umfallen
Dabei müsste doch jemand, der sich von Ewigkeit her geliebt weiß, sich im Stande sehen, besonders großzügig und souverän auf die anderen zuzugehen. Auch auf diejenigen, die einen kacke finden. Oder unseren geliebten Glauben ablehnen. Die „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat“-Ruferinnen zum Beispiel. Die guten Leute mit diesem phantastischen Slogan könnten wir lieben bis zum Umfallen, wenn wir bloß demütig wären. Wenn wir nicht ständig Sorge hätten, dass ihr Rufen uns und unseren Verein kränken könnte, hätten wir Kapazitäten, darüber zu grübeln, wie sie Gottes Zärtlichkeit erfahren können.
Katharina hat das gemacht. Sie wusste, dass sie selbst eine Busenfreundin vom Herrgott war, und sie wusste, dass er sie gebrauchen wollte, damit auch die Ruferinnen die Chance hatten zu erfahren, sie sind nicht aus Versehen hier, sondern vom Höchsten gewollt. Sie hatte parat, dass es vom lieben Gott persönlich größere und schönere Pläne gab, als ihn und den Staat gemeinsam abzuschaffen. Gleichzeitig ist es ihr gelungen, auch wenn sie von einer Sache bombenfest überzeugt war, sich selbst nicht zum Maßstab aller Dinge zu machen.
Jesus war zu den „Assis“ am herzlichsten
Diese Offenheit braucht es, um im Fokus zu behalten, dass diejenigen, die einen ablehnen, dennoch liebenswert sind. Jesus liebt sie. Und wir? Wir sind ein bisschen zu feige, bequem und engstirnig dafür und verkaufen das, wenn’s eng wird, als Frömmigkeit. Jesus hat nicht einmal gesagt: Wenn jemand eine pervertierte Haltung zu Menschenrechten hat, dann könnt ihr wirklich aufhören mit dem Lieben. Er hat uns kein komfortables Nächstenliebe-Maß ermöglicht. Wir müssen den Anfang machen. Also eigentlich den zweiten Schritt. Den ersten hat Gott immer schon gemacht. Er hat losgeliebt. Jetzt dürfen wir weiterlieben.
Manchmal haben wir auch den Eindruck, wir müssten den Herrgott vor Beleidigungen schützen und würden die obigen Ruferinnen nur deshalb so kategorisch ablehnen. Aber die Mission, die er uns aufs Auge gedrückt hat, ist ja zu lieben, wie er liebt – und Jesus war zu den Assis (um auf die Schnelle Zöllner, Prostituierte und Ruferinnen unbefriedigend zusammenzufassen) am herzlichsten. Sich abzuschotten ist ein schwerer Verstoß gegen die Demut.
Uns geht es doch in echt sehr häufig eher um unsere eigene Anerkennung. Um das in den Griff zu kriegen, können die profansten Aktionen sehr nützlich sein. Wichtig ist dabei vor allem, dass in uns Platz wird. Den benötigen wir nämlich, um die anderen ordentlich zu lieben und uns lieben zu lassen.
Um wirklich demütig zu sein, musst du aushalten können, dass du ganz unverdient ganz angenommen bist. Und zwar sowohl dann, wenn alle dich für die Thronfolgerin halten, als auch dann, wenn sie annehmen, du seist die Putzfrau. Beides ist nicht so einfach. Wahrscheinlich nähern wir uns dem Thema auch viel zu verkopft. In echt ist es sehr praktisch, das Demut-Üben.
Das Lob der anderen, aber auch Peinlichkeiten aushalten
Einfach mal sowohl das Lob der anderen als auch die Peinlichkeiten des Alltags hinnehmen und aushalten. Weniger eingenommen werden von uns selbst und dem Bewusstsein, wie schick, beschäftigt oder vorbelastet wir sind. Wir nehmen uns oft so sauwichtig.
Wahrscheinlich ist das hehrste Ziel von allen, selbst klein zu werden. Katharina und ich haben versucht zu üben, uns demutstechnisch besser aufzustellen. Mit schwankenden Ergebnissen, würde ich sagen. Am Ende hatte sie keine Wahl, aber sie war der Aufgabe gewachsen. Sie hatte ihre Offenheit für Kleines und Großes geübt und ihre Liebe zu allen Menschen kultiviert. (Wahrscheinlich hätte sie die Gesellschaft eines Kindes mit Down-Syndrom trotzdem jederzeit der eines Top-Managers vorgezogen.) Inzwischen hat sie mich natürlich weit überholt. Jetzt unterhält sie sich routinemäßig mit Engeln, und mir rutschen nach wie vor mit großer Zuverlässigkeit Momente der Arroganz, des Selbstmitleids und des Egoismus raus.
Das Einzige, was dann hilft, ist wieder mein patentestes Vorbild – Maria. Ich erinnere mich daran, dass sie nach ihrem Date mit dem Engel zu Elisabeth und Johannes aufbricht. Sie weiß, dass sie das Zentrum des Universums geworden ist. Mit dem winzigen Jesus in ihrem Uterus.
Und wie geht sie mit diesem Wissen um? Sie packt an. Dort, wo es niemand sieht. Vollkommen unglamourös. Eine schwangere, ältere Verwandte und ihr vorübergehend stummer Ehemann brauchen Hilfe. Maria kocht, putzt, plaudert mit den Nachbarn und massiert Füße. Und ich werde Demut üben. Und irgendwann der Katharina folgen. Zu Maria. Und ihrem Sohn. Und dann ist jeder Tag Weihnachten.
Dieser Beitrag enthält Ausschnitte aus Anne Flecks Buch „Zartheit und Krawall. Oder: Essays über die unverschämte Hoffnung, die mich der Tod meiner Herzensfreundin lehrte“. Erschienen im Fontis-Verlag, 2022.
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DANKE für diesen wunderbaren Kommentar, gerade jetzt zu Weihnachten.
In allem habe ich mich - natürlich! - wiedergefunden, und bin ermutigt, weiterzuüben!
Gesegnete Weihnachten allen!
Das geht mir genauso! Ich habe mich gleich an mehreren Stellen ertappt.
Danke für die aufmunternden Worte.
Wirklich ein sehr sehr schöner, berührender Artikel, aus dem man viel mitnehmen kann für den Alltag! Danke!
Wirklich ein sehr sehr schöner, berührender Artikel, aus dem man viel mitnehmen kann für den Alltag! Danke!
DANKE für diesen wunderbaren Kommentar, gerade jetzt zu Weihnachten.
In allem habe ich mich - natürlich! - wiedergefunden, und bin ermutigt, weiterzuüben!
Gesegnete Weihnachten allen!
Das geht mir genauso! Ich habe mich gleich an mehreren Stellen ertappt.
Danke für die aufmunternden Worte.