„Die gesellschaftliche Akzeptanz von antichristlicher Gewalt wird größer“
Der soeben veröffentlichte neue Bericht für das Jahr 2022 der in Wien ansässigen Organisation „Observatory on Intolerance and Discrimination against Christians in Europe” (OIDAC Europe) verheißt nichts Gutes für Christen. Hassverbrechen gegen Christen stiegen um 44 Prozent gegenüber dem Jahr 2021, Brandstiftungen an Kirchen um 75 Prozent. Deutschland ist von Brandstiftungen besonders betroffen, gefolgt von Frankreich, Italien und Großbritannien.
Anja Hoffmann ist seit Oktober dieses Jahres die neue Geschäftsführerin von OIDAC Europe. Es bereite ihr Sorgen, dass die öffentliche Bekanntmachung von Hassverbrechen gegen Christen auf eine größere gesellschaftliche Akzeptanz von antichristlicher Gewalt hinweist. Im Corrigenda-Interview erzählt Hoffmann, wie Christen in Europa diskriminiert werden und was die Politik dagegen tun sollte.
Laut dem neuen Jahresbericht von OIDAC Europe gab es im Jahr 2022 einen Anstieg von 44 Prozent an Hassverbrechen gegen Christen und einen Anstieg von 75 Prozent von Brandstiftungen an Kirchen gegenüber dem Vorjahr. Wie erklären Sie sich diese Zunahme?
Sowohl wir, OIDAC Europe, als auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in ihrem Hate Crime Data Report haben einen Anstieg an antichristlichen Hassverbrechen verzeichnet. Da es leider sehr wenig Forschung zu diesem Phänomen gibt, ist es schwierig, genaue Aussagen über die Hintergründe zu machen. Was wir allerdings sicher wissen, ist, dass es mehr Attacken gibt als früher, dass die Art der Vandalismus-Angriffe schwerwiegender wird und dass sich mehr Täter als früher öffentlich zu den Attacken bekennen.
Kann der Grund für den Anstieg nicht einfach sein, dass mehr Fälle gefunden und dokumentiert werden als in den vergangenen Jahren?
Natürlich ist es unmöglich, eine vollständig flächendeckende Dokumentation aller Vorfälle durchzuführen. Da viele Vorfälle gar nicht öffentlich bekanntwerden, berichten wir sozusagen nur über die Spitze des Eisbergs. Abhängig von der Bekanntmachung können unsere Daten zwar etwas fluktuieren, aber dass es einen Anstieg zum Vorjahr gab, ist meines Erachtens nach ohne Zweifel. Insbesondere bei unseren Daten zu Brandstiftungen in Kirchen wurde das deutlich, weil diese Fälle in der Regel öffentlich bekannt und damit flächendeckend von uns erfasst werden. Dort hatten wir im Jahr 2021 etwa 60 Vorfälle, während es 2022 über 100 waren.
Was genau versteht man unter „Hassverbrechen“? Welche Vergehen fallen darunter?
Unter Hassverbrechen wird generell eine Straftat verstanden, die auf einer Vorurteilsmotivation basiert. Es geht also darum, dass jemand eine Person angreift, weil sie zu einer bestimmten Gruppe oder Religion gehört und nicht aus einem Konflikt oder aus dem Affekt heraus. Strafrechtlich sind diese Fälle schwerwiegender, weil ein Täter, der – in unserem Fall – einen Christen angreift, nur weil er Christ ist, gefährlicher ist als jemand, der eine ihm bekannte Person aus persönlichen Gründen attackiert. Der Hass richtet sich im Fall von Hassverbrechen also gegen die gesamte Gruppe. Es ist aber wichtig zu betonen, dass es bei Hassverbrechen immer um tatsächliche Straftaten geht, die in jedem Fall gesetzlich untersagt sind.
Deutschland ist laut OIDAC-Angaben besonders betroffen von Brandanschlägen auf Kirchen. Können Sie ein paar konkrete Fälle aus dem vergangenen Jahr nennen?
Deutschland führt mit 37 Brandstiftungen im Jahr 2022 die Liste für Europa an. Im November 2022 wurde beispielsweise die Sankt-Laurentius-Kirche in Langenhorn durch einen Molotowcocktail in Brand gesetzt. Im Mai gab es einen schwerwiegenden Brandanschlag auf eine Kirche in Spalt. Leider ist dieser Trend auch 2023 nicht abgerissen. Im Februar machte ein Brandanschlag auf die historische Kirche Kreuzerhöhung in Wissen Schlagzeilen, der einen Millionenschaden verursacht hat.
Was ist die Motivationen hinter den Hassverbrechen?
Für den größten Teil der Anschläge bleibt die Motivation der Täter unbekannt. Was wir allerdings beobachten, ist, dass sich Tätergruppen vermehrt öffentlich zu den Anschlägen bekennen. Deutlich häufiger als früher werden Slogans hinterlassen, oder die Angreifer posten die Tat sogar stolz in den sozialen Medien. Unter den durch solche Nachrichten identifizierbaren Gruppen waren im vergangenen Jahr radikal-linke politische Gruppierungen wie die Antifa, einige radikal-feministische oder -LGBTIQ-Aktivistengruppen, sowohl satanistische, rechtsextreme als auch antiklerikale Gruppen. Besonders bereitet es uns Sorgen, dass die öffentliche Bekanntmachung solcher Taten auf eine größere gesellschaftliche Akzeptanz von antichristlicher Gewalt hinweist.
„Christen wurden angeklagt, weil sie öffentlich die traditionelle Glaubenslehre vertraten“
In einem Artikel sagen Sie, seit der viralen Verbreitung des Online-Slogans „Die einzige Kirche, die erleuchtet, ist jene, die brennt“, sei die Zahl von Brandstiftungen in Spanien und Portugal signifikant gestiegen. Können Sie mehr zu dem Slogan erzählen?
Ursprünglich stammt dieser Spruch von dem russischen Anarchisten Peter Kropotkin. Bekannt wurde der Slogan im spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) durch einen libertären Kommunistenführer. Mit den Anschlägen auf Kirchen in Chile im Jahr 2020 ging der Slogan gemeinsam mit dem ähnlich lautenden Hashtag #FuegoAlClero auch in Europa viral und wurde trotz der strengen Beschränkungen von Hass im Netz tagelang nicht entfernt.
Sowohl geschichtlich als auch durch aktuelle Medienberichte werden diese Online-Slogans mit der linksextremen und marxistischen Szene in Verbindung gebracht. Solche direkten Aufrufe zu Gewalt gegen Christen sind besonders gefährlich und sollten nicht von der Gesellschaft toleriert werden.
Auf welche Art und Weise werden Christen noch diskriminiert, abseits von Hassverbrechen?
Neben Hassverbrechen dokumentieren wir auch Einschränkungen und Verletzungen der Religionsfreiheit durch Diskriminierung. Im vergangenen Jahr gab es beispielsweise einige Fälle von Entlassungen von Lehrern aufgrund ihrer christlichen Weltanschauung. Aber die Fälle reichten bis hin zu gerichtlichen Verfahren, in denen Christen angeklagt wurden, oft weil sie öffentlich die traditionelle Glaubenslehre zu Themen wie Ehe, Familie oder Geschlechtsidentität vertraten. Obwohl die Aussagen keine Aufrufe zu Gewalt oder Hass enthielten, wurden die betroffenen Gläubigen unter sogenannten „Hassrede-Gesetzen“ angeklagt. Das dahinterliegende Problem sind sehr schwammige Formulierungen und damit ein unklarer Geltungsbereich dieser Gesetze.
Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Im Vereinigten Königreich wurden Straßenprediger unter der geltenden „Public Order Bill“ angeklagt, die Hassrede unter anderem mit den Worten „causing disstress“ beschreibt. Außerdem sorgte in England der Fall von Isabel Vaughan-Spruce für Schlagzeilen, die von der Polizei verhaftet wurde, während sie still an einer Straßenecke in einer Bannmeile rund um eine Abtreibungsklinik stand.
Der Hintergrund ist eine Gesetzgebung, die jegliche „Beeinflussung“ in diesen Zonen verbietet. In diesem Kontext wurde Isabel, die für ihre Pro-Life-Arbeit bekannt ist, von der Polizei befragt, ob sie betete. Als sie diese Frage mit „vielleicht bete ich im Stillen“ beantwortete, wurde sie abgeführt und verhört. Während in diesem Fall die Strafverfolgung eingestellt wurde, zeigen sich Menschenrechtsorganisationen weiterhin besorgt über die Kriminalisierung von „nicht-gewalttätigen Hassvorfällen“ im Vereinigten Königreich und darüber hinaus.
In Deutschland wurde vor kurzem ein neuer Lehrplan für Medizinstudenten diskutiert, der die verpflichtende Mitwirkung an Abtreibungen zum fixen Bestandteil des Studiums machen würde. Christen, die dies aus Gewissensgründen ablehnen, laufen durch solche Gesetzgebung Gefahr, mittelfristig aus gewissen Berufssparten gänzlich verdrängt zu werden.
Formuliert OIDAC Europe auch Forderungen an die Politik? Wenn ja, welche Vorkehrungen sollten Politiker treffen, um die Übergriffe gegen Christen zu reduzieren?
Was Hassverbrechen gegen Christen betrifft, empfehlen wir Staaten Datenanalysen zu machen, Fälle einzeln zu erfassen und die Motivation dahinter. Daraus soll dann abgeleitet werden, aus welchen Hintergründen die Täter kommen und welche Deradikalisierungsmaßnahmen angebracht sind, um das in Zukunft zu verhindern.
Der zweite Bereich, den wir im Blick haben, ist jener der Gesetzgebung und der Diskriminierung auf unterschiedlichen Ebenen. Da geht unsere Empfehlung an Staaten dahin, dass Gesetze auch in Bezug auf das Recht auf Religionsfreiheit und die Übereinstimmung mit diesem Recht gemacht werden sollen. Neue Gesetze müssen kritisch analysiert werden, dass sie keine menschenrechtlichen Einschränkungen insbesondere auf die Religionsfreiheit aufweisen.
Das bedeutet auch, dass man versteht, was das Recht auf Religionsfreiheit umfasst. Es geht eben auch um die öffentliche religiöse Meinungsäußerung. Natürlich darf es keine Verhetzung geben, keine direkten Aufrufe zu Gewalttaten, aber insbesondere die Meinungsäußerung zu kontroversen Themen muss möglich bleiben. Der Ausdruck der eigenen Glaubenslehre darf nicht unter gesetzliche Verbote gestellt werden.
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