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Dunkelflauten und hohe Strompreise

Deutschlands Stromversorgung im Grenzbereich

Im Interview mit dem Nachrichtenportal ntv sagte der Finanzvorstand des Energieversorgers EnBW, Thomas Kusterer, am 28. Dezember 2024: „Das System ist im Grenzbereich unterwegs.“ Damit nahm der Manager Bezug auf die beiden schweren Dunkelflauten, die Deutschland Anfang November und Mitte Dezember trafen. Beide Male ging die Stromversorgung durch Wind und Solar, die doch in naher Zukunft das Land vollständig versorgen sollen, nahezu auf null zurück.

Für die Versorgungssicherheit sowie den Strompreis haben solche Entwicklungen dramatische Folgen: Es mussten verzweifelt Ersatzkapazitäten im In- und Ausland hinzugeschaltet werden. In Deutschland waren es Ölkraftwerke, die die Lücken schließen mussten. Deren Anfahrtskosten werden von den Anbietern auf die Strompreise umgelegt, und so kamen am 6. November Strompreise von bis zu 82 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh) sowie am 12. Dezember von bis zu 94 ct/kWh zustande.

In ungewöhnlich deutlichen Worten kommentierte Markus Krebber, Vorstandsvorsitzender des RWE-Konzerns, in einem LinkedIn-Post die Zustände, die man am 6. November beobachten musste. Er rechnete seinen Lesern vor, dass Deutschland an diesem Tag fast alle im Inland und Ausland verfügbaren Erzeugungskapazitäten ins Netz bringen musste – und dies, obwohl der Strombedarf an diesem Tag noch nicht einmal auf einem Rekordniveau war. Am 15. Januar 2024 war der Bedarf Deutschlands um 10 Gigawatt (GW) höher – die gleiche Situation wäre, so Krebber, mit den verfügbaren Kapazitäten des 6. November 2024 nicht zu bewältigen gewesen. Es hätten folglich kontrollierte Abschaltungen im großen Stil erfolgen müssen.

Und wenn die Nachbarn als Stromexporteure ausfallen?

Aber auch hinter die Verfügbarkeit ausländischer Ressourcen muss ein dickes Fragezeichen gesetzt werden. So ist bekannt, dass der Strombedarf Frankreichs in kalten Winternächten durch die weite Verbreitung von Elektroheizungen steil ansteigt, was auch bedeutet, dass unser Nachbarland in solchen Situationen als Exporteur ausfällt und so die Stromknappheit in Deutschland verschärft wird.

Seit den Ereignissen vom 12. Dezember verändert sich aber auch die Einstellung unserer Nachbarländer zu dem deutschen Anspruch, dauerhaft als Reserve bei Wind- und Solarknappheit zur Verfügung zu stehen. Denn die Lieferung großer Mengen nach Deutschland bedeutet für Schweden und Norwegen, dass auch in diesen Ländern dann plötzlich Strom knapp und teuer wird – am 12. Dezember wurden in Südschweden 70 ct/kWh und in Südnorwegen 90 ct/kWh erreicht – und dies aus Gründen, die immer wieder von Deutschland verursacht werden. Da reißt auch bei dem gutmütigsten Nachbarn irgendwann der Geduldsfaden: Norwegens Energieminister Terje Aasland sprach mit ungewöhnlichen Worten von einer „Sch**ß-Situation“, in die das Land immer wieder hineingebracht werde und drohte mit einer Reduzierung der Stromübertragungskapazitäten.

Die schwedische Energie- und Wirtschaftsministerin Ebba Busch (im hellblauen Anzug) im Gespräch mit US-Außenminister Antony Blinken auf der Pilotanlage für „fossilfreie“ Stahlerzeugung im nordschwedischen Luleå, 30. Mai 2023

Kaum weniger verärgert reagierte die schwedische Energieministerin Ebba Busch:

„Es ist schwer für eine industrielle Wirtschaft, sich für ihren Wohlstand auf das Wohlwollen der Wettergötter zu verlassen. Die Abhängigkeit von unsteten Energiequellen wie Wind und Sonne hat sich als Herausforderung erwiesen, wie die letzte Woche gezeigt hat“, wird sie von der Bild-Zeitung zitiert. Busch kritisierte weiter: „Schwedens Regierung unterstützt erneuerbare Energien, aber kein politischer Wille ist stark genug, um die Gesetze der Physik außer Kraft zu setzen – nicht einmal der von Herrn Habeck.“

Berlin schaltet weiterhin gesicherte Leistung ab

Bei der noch amtierenden Bundesregierung haben solche dramatischen Appelle bisher jedoch wenig Bereitschaft zum Umdenken ausgelöst. Der Ausbau von Wind- und Solarstrom wird unverändert fortgesetzt, was die Probleme der Stromverfügbarkeit im Land weiter verschärft: Während mehr Windräder und Solarzellen bei Dunkelflauten keine Hilfe darstellen, führt der eskalierende Ausbau von Solarstromanlagen, die von den Netzbetreibern nicht abgeregelt werden können, in künftigen Sommern immer öfter zum Risiko der Überlastung lokaler Verteilnetze, welches dann ebenfalls nur durch Abschaltungen gelöst werden kann.

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In gleicher Weise hält die Bundesregierung unvermindert an der Abschaltung gesicherter Kapazitäten fest. Zum 1. Januar 2025 wurden weitere 300 Megawatt (MW) des Kohlekraftwerks Weisweiler (im Rheinischen Braunkohlengebiet bei Aachen) abgeschaltet. Eine Studie des Beratungshauses McKinsey errechnete für 2035, dass einer Spitzenlast von 125 GW nur eine gesicherte Leistung von 71 GW gegenübersteht – wenn die energiepolitischen Planungsannahmen des Bundeswirtschaftsministeriums unter Robert Habeck realisiert werden. Wo die fehlenden 54 GW herkommen sollen, wenn Deutschland zeitgleich in eine Dunkelflaute eintaucht, ist eine mehr als berechtigte Frage.

Wie soll künftig trotz Dunkelflauten die Versorgungssicherheit garantiert werden?

Zu dieser Frage bezog der Vorstandsvorsitzende des RWE-Konzerns, Markus Krebber, in seinem Post klar Stellung:

Und wir tun in Deutschland (seit Jahren) so, als sei die Frage nach dem Zubau von gesicherter Leistung etwas, was sich aufschieben lässt. Dabei sehen wir schon heute ganz klar, was passiert, wenn man Leistung abschaltet und den Erneuerbaren kein Backup zur Seite stellt. Nein, wir haben keine Zeit mehr, ganz im Gegenteil. Die Zeit rennt und der Zubau drängt – nicht erst seit diesem Monat.“

Hier spricht er an, dass man am Ende des Tages Versorgungssicherheit nur garantieren kann, wenn man einem 100-Prozent-Erneuerbare-Energien-Szenario einen kompletten Backup-Kraftwerkspark zur Seite stellt. Da dieser diskontinuierlich betrieben wird – er soll nur dann ans Netz gehen, wenn Wind und Solar nicht zur Verfügung stehen –, entsteht hier ein Kraftwerkspark, der ohne weitere Subventionen von den Betreibern nicht rentabel betrieben werden kann und deshalb dann auch nicht gebaut werden würde.

 

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Die derzeitige Planung sieht 12,5 GW zu schaffende Kapazität vor, was jedoch auch inklusive der bestehenden Gaskraftwerke bei weitem nicht ausreichen wird. Darüber hinaus hat sich die Ausschreibung so weit verzögert, dass der öffentlichkeitswirksame Kohleausstieg im Jahr 2030 für Westdeutschland Makulatur geworden ist.

Eine doppelt redundante Struktur

In der öffentlichen Diskussion tauchen dann angesichts dieser Umstände immer wieder Batteriespeicher als vermeintlicher Lösungsansatz auf. Diese sind durch den starken Verfall der Lithiumpreise (ca. minus 90 Prozent in den zurückliegenden zwei Jahren) preislich durchaus attraktiv geworden. Das macht Batteriespeicher gerade für private Einfamilienhäuser mit Dach-Photovoltaik zur interessanten Ergänzung. Die Vorstellung, Deutschland mit Batteriespeichern „über den Winter zu bringen“ ist jedoch weltfremd und würde Kosten im Billionenbereich bedingen.

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Realistischer ist die Vorstellung, dass Solarüberschüsse im Sommer abgespeichert und in der darauffolgenden Nacht in das Netz abgegeben werden. Allerdings tritt auch hier wieder ein ökonomisches Problem auf. In dem Maße, wie man dies tut, reduziert sich die Betriebszeit der Backup-Gaskraftwerke, ohne dass man deren Zahl signifikant reduzieren könnte, denn sie müssen trotzdem in Dunkelflauten den kompletten Strombedarf Deutschlands übernehmen können. Bei einem massiven Ausbau von Batteriespeichern entstünde also lediglich eine doppelt redundante Struktur mit weiter erhöhten Kosten der redundanten Kapazitäten. Dass all dies mit den Strompreisen von China, den USA oder Schweden mithalten könnte, kann niemand ernsthaft annehmen.

Ihr müsst halt flexibel werden …

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Aus der Erkenntnis all dieser ökonomisch nicht sinnvoll lösbaren Probleme ist den Verfechtern der Energiewende die Idee gekommen, das Thema der „Flexibilität“ in die politische Diskussion einzubringen. Darunter verstehen sie, dass der Großindustrie die Subventionen bei den Netzentgelten gestrichen werden und diese in eine neue Systematik überführt werden: Strompreise sowie die dazugehörigen Netzentgelte sollen sich künftig ausschließlich nach dem Wetter richten – in Phasen hohen Angebots von Wind- und Solarstrom soll die Industrie günstigen Strom beziehen, während in Dunkelflauten hohe Strompreise entrichtet werden sollen.

Die Industrie soll auf diese Weise angespornt werden, ihre Produktion am Stromangebot auszurichten – dasselbe soll auch für den privaten Stromnachfrager gelten, der in Zukunft und teilweise schon jetzt nur bei hohem Stromangebot seine Wäsche waschen, sein Essen kochen und sein E-Auto aufladen soll. Entladen wird letzteres wieder, wenn Sonne und Wind nicht oder nur wenig zur Verfügung stehen.

Eine solche Konzeption ist indes geeignet, einen weiteren Torpedo auf die ohnehin schwer angeschlagene deutsche Industrie abzufeuern. Theoretikern dieser Konzepte fehlt oft die Einsicht, wie kritisch der Parameter der Maschinenlaufzeit für die Cost-Income-Ratio der Unternehmen ist beziehungsweise, was es bedeuten würde, komplexe Fertigungssysteme nach der Verfügbarkeit von Solar- und Windstrom innerhalb von Stunden hoch- und wieder herunterzufahren.

Wir haben die Chance zur Korrektur!

Vollkommen illusorisch sind solche Ideen, wenn es um multinationale Produktionsketten geht. Welcher deutsche Zulieferer kann seinem internationalen Abnehmer erklären, dass die just-in-time vereinbarte Lieferung leider nicht stattfinden könne, weil gerade kein Wind weht?

Auch für den Arbeitnehmer wären solche Konzepte mit erheblichen Implikationen verbunden, würde sich doch der Schichteinsatzplan eines Arbeiters der Automobilindustrie künftig nach den Wetterprognosen richten. Seine Freizeit fiele dann auf Hochstrompreisphasen, was seine privaten Lebenshaltungskosten nicht unerheblich nach oben treiben würde.

Diese Vorgehensweise wird interessanterweise auch mit dem Begriff „Flexibilität“ beschrieben. Damit ist aber offenkundig nicht gemeint, dass der Verbraucher an Flexibilität gewinnt, sondern im Gegenteil: Er möge so flexibel sein, seinen Verbrauch dem wetterabhängigen Stromangebot anzupassen. Dies erinnert sehr stark an die von George Orwell in „1984“ beschriebene Neudeutung von Begriffen: „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke“ – man kann nun hinzufügen: Mangelwirtschaft ist Flexibilität.

Man erkennt an solchen Vorschlägen, dass wir derzeit ohne tragfähiges Risikomanagement im Grenzbereich unterwegs sind. So werden wir wohl auch bald einmal den Grenzbereich überschreiten. Ob dies dann endlich dazu führt, dass wir diese Energiepolitik deutlich korrigieren? Bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar besteht dazu eine erste Gelegenheit.

 

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