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Nach dem Anschlag in Magdeburg

Die Sehnsucht einer Mutter nach Sicherheit

Ich aktualisiere das gefühlt hundertste Mal meinen Social-Media-Feed, als ich das erste Mal das Bild des kleinen André sehe. Andrés Mama schreibt auf Facebook, ihr Teddybär solle noch einmal um die Welt reisen. André war neun Jahre alt. Er starb auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. Ich fühle, wie das Blut in meinen Adern gefriert und mir Tränen hochsteigen.

Was ist aus diesem Land geworden? Wie schön wäre eine Weihnachtszeit ohne derartige Meldungen gewesen. 

Der Terroranschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20.12.2024 ist nicht der erste seiner Art. Im Gegenteil, als ich die Überschrift am Abend gegen 20 Uhr beim Durchzappen von Instagram-Storys entdecke, bestätigen sich sämtliche vorab gehegten traurigen Vorahnungen. 

Der neunjährige André, getötet auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt

Der bis dahin letzte medial präsente Anschlag auf ein festliches Ereignis, das Stadtfest in Solingen, das war doch erst ein paar Monate her. 

Aber etwas ist anders diesmal. Die Wut, sie fehlt. Sie ist Resignation gewichen. Sprachlosigkeit. Und tiefster Sehnsucht.

Wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bevölkerung zu schützen, wie soll ich als Mutter meine Kinder schützen?

Ich bin ein Dezemberkind. Geboren Mitte des letzten Monats im Jahr, habe ich fast jeden Geburtstag seit meinem Teenageralter auf dem Weihnachtsmarkt gefeiert. Ich erinnere mich an absolute Sorglosigkeit, Besinnlichkeit und so viele schöne Stunden. Könnte ich doch noch mal mit diesem Gefühl einen Weihnachtsmarkt betreten … Doch spätestens seit 2016 kann ich das nicht mehr.

Nach dem Anschlag am 19.12.2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz durch einen islamistischen Terroristen hat sich vieles geändert. Er hat Weihnachtsmärkten ihre Unschuld und ihren Zauber genommen. 

Bereits ein Jahr darauf durften wir auf Weihnachtsmärkten gigantische Absperrungen bewundern. Zynisch als „Merkel-Lego“ oder „Integrationspoller“ bezeichnet, war die einzige Aufgabe dieser Absperrungen, Attentäter davon abzuhalten, mit einem Auto oder Lkw und hoher Geschwindigkeit über den Weihnachtsmarkt zu brettern und alles mitzunehmen, was ihnen in die Quere kommt.

Seit dem 20.12.2024 wissen wir nun, sie schützen uns nicht. Sie schützen uns genauso wenig, wie es Messerverbotszonen tun. Wie es die neuesten Sicherheitskonzepte oder Aktionstage gegen Hass-Kriminalität tun.

Die traurige Wahrheit ist: Unser Staat ist aktuell nicht in der Lage, uns zu schützen.

Die unerbittliche Frage, die sich mir als Mutter aufdrängt, lautet: Wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bevölkerung zu schützen, wie soll ich als Mutter meine Kinder schützen?

Ein Gefühl der Ohnmacht und Angst breitet sich in mir aus

Es ist ein Gefühl der Ohnmacht, das sich in mir ausbreitet. Ein Gefühl der blanken Angst und der Wunsch, meine eigenen vier Wände nie mehr zu verlassen. Keine Stadtfeste, Weihnachtsmärkte oder Massenveranstaltungen mehr zu besuchen und zeitgleich allen anderen zu verbieten, derartige Orte mit meinen Kindern aufzusuchen.

Und auch wenn ich mir von dieser Angst nicht mein Leben diktieren lasse, so ist es doch eine Schande, dass ich sie überhaupt so präsent spüre. 

Ist das noch der freie Westen? Wilhelm von Humboldts bekannter Satz „Denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit“ – er ist nach über 200 Jahren aktueller denn je.

 

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Als ich die Überschrift zum Anschlag in meine WhatsApp-Story packe, melden sich viele Freunde. Traurig, verängstigt, tief bewegt. Verkriechen möchte man sich. 

Und während sich auf X und im medialen Diskurs sämtliche politische Richtungen um die Deutungshoheit über Täter und Motiv streiten, spürt der Großteil der Menschen in diesem Land, vor allem der Frauen, doch nur eines: die tiefe Sehnsucht nach Sicherheit und Freiheit. 

Eine Sicherheit, die wir vor fünfzehn Jahren noch für völlig selbstverständlich hielten. Eine Sicherheit, die Personen wie Helmut Schmidt oder auch Thilo Sarrazin im Blick hatten, als sie eindringlich versuchten, die Politik vor sicherheitspolitisch naiven Fehlentscheidungen zu warnen. 

Und eine Freiheit, die uns über so viele Jahre ein unbeschwertes Leben ermöglicht hat. Ohne No-go-Areas, Krawalle in Freibädern und Anschläge auf Konzerte oder Weihnachtsmärkte. 

Zwei Tage vor Heiligabend bete ich für die Kinder, die Eltern, die Angehörigen – und für Sicherheit

In einer seiner Sendungen im August merkte Markus Lanz in einer Diskussion mit Kevin Kühnert an, dass entgegen allen Bekenntnissen, „sich die eigene Lebensweise nicht nehmen lassen zu wollen“, wir doch schon Teile unserer Lebensweise eingebüßt haben. Denn die Normalität, Konzerte ohne ausgeklügelte Sicherheitskonzepte zu veranstalten, Weihnachtsmärkte nicht zu verbarrikadieren und Schwimmbäder ohne Sicherheitsmänner zu betreiben, sei nun keine mehr. 

Diese Maßnahmen sind der einzige Weg, unsere Freiheit noch einigermaßen zu gewährleisten. Doch verdient eine Freiheit hinter Barrikaden und Sicherheitsmaßnahmen noch ihren Namen? 

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Den kleinen André konnten die Barrikaden und Sicherheitskonzepte nicht schützen. Er ist eines der vielen Opfer unserer neuen Normalität. Wie viele müssen noch folgen?

Zwei Tage vor Heiligabend entscheide ich mich, für ihn zu beten, für seine Eltern, für all die Opfer und Angehörigen von zahlreichen schrecklichen Anschlägen. Und dafür, dass wir wieder zurückfinden auf unseren Weg in ein sicheres Land, das seine Menschen schützt, ganz besonders seine Kinder.

 

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