Kalter Triumph des Modernismus
Was will uns der Künstler damit sagen? Für wen ist dieses Haus gebaut? Die Kultstätte welcher Religion soll das sein? Der Besucher tritt ein in die nach sechsjähriger Umbauzeit radikal neugestaltete St.-Hedwigs-Kathedrale, ein Rundbau im Stil des Friderizianischen Rokoko und Hauptkirche der Erzdiözese Berlin. Bischofssitz.
Man steht am Rande eines komplett weiß ausgefertigten zentralen Kuppelsaals, der Oberkirche. Licht fällt durch acht hohe Milchglasfenster und die Kuppelöffnung ein. Die Bodenplatten mehr cremeweiß, die Wände mit den zwölf Säulenpaaren strahlendweiß, die Kuppel ist etwas matter gehalten. Weiß und leer. Aseptische Anmutung, kalt und gnadenlos steril.
Der Blick irrt umher, fliegt hinweg über den ebenerdig freistehenden, zentralen Volksaltar in Form einer glatten Halbschale und findet nicht Halt. In die Senkrechte strebende Elemente wie das Vortragekreuz aus dem 14. Jahrhundert und metallene Ständer für Osterkerze und weitere Kerzen deuten knapp eine Altareinfassung an. Im riesigen Rund des kahlen Innenraums geben sie jedoch nicht genug Kontur, um aufzufallen.
Der Altar ist nackt, ein Kreuz findet sich nicht. Es hängt auch keines von der Kuppel herab. In den Boden um den Altar sind konzentrische Kreise gezogen. Kreisförmig auch die aufgestellte Bestuhlung, die wirkt wie der Plenarsaal eines modernen Parlaments, geschaffen für Wortmeldungen und Debatten. Klerus und Laien auf einer Ebene.
Mittig auf der Achse zwischen Orgel und Durchgang zur ursprünglichen Sakramentskapelle sind die Kathedra des Erzbischofs und die Sitze des Presbyteriums angeordnet – wie die gesamte Bestuhlung aus Naturholz ohne jeden Schmuck. Mit schwarzem Filz sind Sitze und die Lehnen aus Sperrholz bespannt. Ikea-Moderne. Vor den Stühlen der Geistlichen fehlen die Kniebänke. Warum? Weil auch Gott und Mensch auf einer Ebene gedacht werden?
Wohin gehen, wohin knien, wohin beten? Je ein Weihwasserbecken ist rechts beziehungsweise links der zwei Pforten in der Wand eingelassen. Der Blick geht suchend zum Allerheiligsten und findet den Tabernakel links der Achse unscheinbar in eine der acht Fensternischen gestellt. Außerhalb des Stuhlkreises, wie ausgeschlossen aus der Gemeinschaft. Der vergoldete Kasten, ein verhaltener Farbtupfer in der weißen Wüste und aus der zerstörten Nachkriegsgestaltung herübergerettet, ruht auf einem schmucklosen Steinpodest. Das Ewige Licht, traditionell rot, ist hier mit Klarglas gedeckt. Es hebt sich nicht ab, visuell geht es unter.
In den Fensternischen auf neun und drei Uhr haben die Macher Bildhauerarbeiten der Muttergottes mit Kind und des heiligen Petrus aufgestellt. Die farbigen Statuen aus dem 16. und 14. Jahrhundert wären geeignet, in dieser Kälte Wärme zu spenden, allein, sie wirken verloren, vereinsamt.
Zu beten, es will nicht gelingen
Man geht in die Bank; das heißt, Bänke gibt es ja nicht, nur die Stuhlkreise mit insgesamt 400 Sitzplätzen, kniet sich hin, will sich sammeln, etwas beten. Allein, es will nicht gelingen. Wohin mit den gefalteten Händen? Die Lehne zum Vordersitz ist ja nur wenige Zentimeter breit, da kann man sie schlecht auflegen. Wohin mit den Gedanken? Nur die Stühle in dem Viertelkreis, der dem Tabernakel gegenüber angeordnet ist, macht es möglich, auf den Herrn Jesus zu schauen. Bei den anderen Sitzabteilungen gelingt das nur mit Verrenkungen oder gar nicht. Eine Viertelstunde vor dem Allerheiligsten, wie soll das gehen? Strukturell scheint das nicht vorgesehen, vor dem Tabernakel steht keine Kniebank.
Der Treppenabgang in die Krypta führt durch ein schwarzes Loch, ein scharfer Kontrast zum gleißenden Weiß. Abstieg in des Grabes Nacht, Abfahrt in die Unterwelt, Schlund des Hades. Die jetzt wieder geschlossene Unterkirche mit ihrem Kranz aus Kapellen – die Schließung der Bodenöffnung hat viele Zeitgenossen, die den Entwurf der Nachkriegsmoderne von Hans Schwippert für gelungen hielten, sehr geschmerzt – dient als Taufkapelle und Grablege der Berliner Bischöfe, und hierhin sind die Beichtstühle verbannt. Am Freitag dieser Woche werden die Gebeine des seligen Dompropstes und Märtyrers Bernhard Lichtenberg wieder in seinem Grab zur Ruhe gebettet, sie waren umbaubedingt im Exil in der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum in Berlin-Charlottenburg.
Die Gestaltung der Krypta irritiert indes nicht minder. „Von der unbegrenzten Lebensbejahung des christlichen Glaubens kündet die ganze Krypta“, steht in einem Erklärblatt. Dieses in der dunkelgrau gehaltenen Halle wahrzunehmen, dazu gehören eine ganze Menge Fantasie und zugekniffene Augen. Denn den Betrachter wie den Beter empfängt die gleiche banale minimalistische Stuhlkreis-Ästhetik wie oben. Mittig ist ein kreuzförmiges, begehbares Taufbecken direkt unter dem Altar der Oberkirche angeordnet. Altar und Ambo mögen in Material und Formensprache für eine gehobene Küchenausstattung durchgehen. Aber für die Liturgie der heiligen Kirche?
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Die Raumdecke erhält Struktur durch ein Muster aus geometrischen Linien. „Jeder einzelne Strich soll einen Menschen darstellen. Es zeigt, wir sind alle miteinander verbunden. Es soll die Gemeinschaft der Christen zeigen“, erklärt die Führerin allen Ernstes einer Gruppe von Interessenten.
Der neugestaltete Abstrakt-Kreuzweg erschließt sich nur mit eingehender Erklärung. Von den übrigen Bodenplatten abgesetzt bilden von sich kreuzenden Linien durchzogene Quadrate die einzelnen 14 Kreuzwegstationen, nur unterschieden durch deren Zahl. Sie korrespondieren mit in den Wänden eingelassenen Stationstäfelchen, die das Hohelied der Liebe aus dem Korintherbrief zitieren.
In einer Seitenkapelle hängt eine Leinwand, die mit dem Personalfürwort „Wir“ in den verschiedensten Sprachen bedruckt ist; Ausdruck der „berüchtigten Wir-Ideologie unserer Tage“, die Pfarrer Hans Milch (1924-1987) so kraftvoll und wortgewaltig geißelte. In einer anderen Seitenkapelle steht eine Pietà in traditioneller Schnitzarbeit, in einer weiteren eine farbig-barocke Statue der heiligen Hedwig von Schlesien. Der Mater Dolorosa und der Kirchenpatronin kann man seinen Kummer über die modernistische Zerstörung der alten Kathedrale klagen.
Ein Blick von außen: In unmittelbarer Nähe krönt den protestantisch-wilhelminischen Berliner Dom ein Kuppelkreuz. Auch der Kuppelbau des als Humboldt-Forum wiederaufgebauten Berliner Stadtschlosses ist von einem großen Kreuz geziert. Nur die Hedwigskathedrale schert aus dem Dreigestirn aus: Die Kuppelspitze ist heute leer, das Kreuz auf den Dreiecksgiebel des Portikus herabgesetzt. Wie man hört, um „näher bei den Menschen“ zu sein.
Man denke: Sogar im zu Ende gehenden beinharten Kulturkampf des Bismarck-Reiches konnte der Architekt Max Hasak die Kuppel mit einer machtvollen Laterne und einem weithin sichtbaren Kreuz bekrönen. Und allemal in Ulbrichts Atheisten-Ostzone gelang es, ein drei Meter hohes vergoldetes Kreuz auf die Kuppelspitze zu setzen! In Sichtweite des Staatsratsgebäudes!
Wenn evangelische Kirchen katholischer wirken als katholische
Darum noch einmal zurück zur Eingangsfrage: Was nur will diese Kirche? Bei der hl. Messe zur Wiedereröffnung am vergangenen Sonntag teilte der evangelische Landesbischof Christian Stäblein unverblümt seine Beobachtung mit, die ganz in der Nähe liegenden evangelischen Gebetsstätten Berliner Dom und St. Marien seien „ja herzlich katholisch anmutende Kirchen“, und da sei er doch ganz dankbar, „dass man auch den Eindruck haben kann, ihr hättet den Spieß hier ein bisschen umgedreht“. Tosender Beifall der geladenen Gäste. Der Hausherr macht gute Miene zum vergifteten Lob.
Der drückte in seinem Hirtenwort zur Wiedereröffnung seine Hoffnung aus, dass sich hier „Christen, Menschen anderer Religionen und Menschen ohne religiöse Beziehung in aller Offenheit begegnen und von- und miteinander lernen“. Wie Heiden in dieser kaltweißen Grausamkeit den dreifaltigen Gott finden könnten, blieb sein Geheimnis – aber bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Als die machtbewusste Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken im Erzbistum, Karlies Abmeier, unter Berufung auf das Zweite Vatikanum davon sprach, „dass die liturgischen Feiern der Bischofskirche Vorbild für die gesamte Diözese sein sollen“, dann klang das wie eine Drohung. Der Diözesanrat, der Delegierte in das berüchtigte Zentralkomitee der deutschen Katholiken entsendet, ist Haupttreiber hinter dem umstrittenen Umbauprojekt. Schwerpunktmäßig arbeitet der Rat auf die Zerstörung der hierarchischen Verfasstheit der katholischen Kirche hin.
Die neue Kathedrale solle ein Ort sein, „der die Gottesfrage wachhält“, an „Grenzen des menschlich Machbaren erinnert“ und „mit der Zusage Gottes Menschen zum Einsatz für Humanität und Gemeinschaft motiviert“. Der Großmeister der preußischen Freimaurer, König Friedrich II., hätte dasselbe nur ein bisschen schöner gesagt, nämlich auf Französisch.
Der Alte Fritz war es auch, der sich anfangs mit dem Vorhaben trug, zur Förderung der Toleranz ein großes Pantheon nach römischem Vorbild zu bauen. Allen Göttern geweiht, sollten in den Kapellennischen dann die verschiedenen Religionsgemeinschaften ihre jeweiligen Kulte feiern, einerlei, ob wahr oder falsch.
Missachtet und relativiert
„Jede Zeit muss sich ja ihre Form suchen, die passt, und dieser Raum passt, glaub’ ich, wunderbar in eine Kirche des 21. Jahrhunderts“, urteilte Dompropst Tobias Przytarski, Nachfolger des seligen Bernhard Lichtenberg, in einem ZDF-Beitrag. Relativismus, Subjektivismus und Ökumenismus in einem Satz. Nehmen wir die Phänomene doch ernst: Derjenige, der die neue St.-Hedwigs-Kathedrale entworfen hat, weiß nichts vom sensus fidei, weiß auch nichts vom Beten der Kirche, missachtet über Jahrhunderte erprobte katholische Frömmigkeitsformen. Die Weisheit des Grundsatzes „Lex orandi, lex credendi“ – frei übersetzt „So wie du betest, so glaubst du“: in den Wind geschlagen, tempi passati.
Dieses Interieur ist der Stein gewordene Synodale Weg, die Wir-machen-Kirche-Ideologie in Reinform: Klerus und Volk, Priester und Gemeinde, alle gemeinsam auf Augenhöhe für ein gutes Miteinander, egal, an was du glaubst, im Dialog nach der Wahrheit suchend, denn jeder hat doch seine eigene Wahrheit, gell? Dem Herrn Jesus Christus kommt da nur noch die Funktion zu, eine „Alternative“ anzubieten – die aber bitte ja nicht unsere mündige Menschengemeinschaft mit Geboten behelligen wolle. Und der Weg zur Hölle ist mit Gemeinschaft in Stuhlkreisen gepflastert.
Die praktischen Folgen des Ökumenismus und von „Nostra Aetate“ liegen klar vor uns. Nehmen wir die Phänomene ernst. Die neue St.-Hedwigs-Kathedrale ist in ihrer Formensprache alles, nur nicht katholisch. Alles genuin Katholische ist reduziert, minimalisiert oder gleich hinausgeworfen. Egal, was der Bischof sagt, die Form spricht: Dem unbekannten Gott.
Diese deutsch-katholische Nationalkirche will nichts mehr, außer noch ein bisschen mitzuspielen. Mehr als ein Plätzchen am Katzentisch wird ihr dafür aber nicht mehr zugestanden werden.
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Kommentare
Nun ja, nach einigem Umschauen und anschliessendem Sinnieren über das Gesehene muss man aus der fachlichen Sicht eines Architekten einfach konstatieren: Es handelt sich hier leider um zweitklassige und provinzielle Architektur. Das ist das wahre Problem! Man kann so einen weissen minimalistischen Kirchenraum auch mit Feingefühl und Poesie gestalten, wie John Pawsons grossartige Sanierung von St. Moritz in Augsburg beweist. Dort geht einem doch das Herz auf! Dagegen bleibt man in St. Hedwig stumm und verlässt enttäuscht den nichtssagenden Ort. Dieses eine Mal hat man sich mal in Berlin tatsächlich zu wenig Zeit genommen und auch noch zu wenig Geld ausgegeben. Sehr schade! St. Hedwig hätte mehr verdient gehabt.