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In vielem, was Vance gesagt hat, widerspreche ich ihm. 
Aber der Papst und Vance haben beide recht bei der Interpretation des "ordo amoris".

Papst Franziskus weist darauf hin, dass die "Ordnung der Liebe" eine Form der Liebe hervorrufe, die eine „ausnahmslos alle umfassende Geschwisterlichkeit“ begründet. Das ist richtig. Die Achtung der Menschenwürde und die Geschwisterlichkeit untereinander als Kinder Gottes muss ausnahmslos gelten oder sie gilt überhaupt nicht. Es geht um eine prinzipielle Grundhaltung.

Vance weist darauf hin, dass die tätige Liebe, also die konkrete Verantwortung für andere Menschen, gestaffelt ist nach Nähe und Ferne wie auch nach dem uns Möglichen beginnend bei mir selbst, dann weitergehend zu meiner Familie, meiner Nachbarschaft, Gemeinde, meinem Land etc. Es ist eine gestufte Verantwortung, nicht per se eine Verantwortung für die ganze Welt und was auf ihr alles passiert. Diese relationale Verantwortung stellt sich selbstverständlich unterschiedlich dar, je nachdem in welchem Rahmen man Verantwortung trägt: mein Verantwortungsraum ist weitaus enger begrenzt als der eines Bürgermeisters oder der eines Ministers, eines Bundeskanzlers oder US-Präsidenten. Dennoch sind es jeweils gestufte Verantwortungen, die man hat und wahrnehmen muss, wobei Grundhaltung und Verantwortungsrelation nach Nähe und Ferne zu den Menschen zusammenwirken und notwendigerweise Abwägungen zu treffen und Prioritäten zu setzen sind.

Ein Bundeskanzler wird nicht die Bundeswehr in die Ukraine schicken, um ihr gegen den Eroberungs- und Terrorkrieg Russlands beizustehen, obwohl der viele Opfer hat und eine große Gefahr ist. Er wird auch nicht alle Kräfte zusammenziehen, um der menschlichen Katastrophe im Sudan, wo über 20 Millionen Menschen dringend Hilfe benötigen, diese zu bringen, obwohl es dafür gute moralische Gründe gäbe. Seine primäre Verantwortung - nach der Sorge um die Seinen in der Familie - ist es, seine "Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm zu wenden", wie es im Amtseid heißt. Verantwortlich ist er primär für das "deutsche Volk", die deutschen Staatsbürger, für unser Land. Das schließt nicht aus, was Deutschland ja auch ziemlich großzügig tut, darüber hinaus zu helfen, Katastrophen abzuwenden und Menschen aufzunehmen.

Ohne den "ordo amoris" würde sich Verantwortung ins Allgemeine verflüchtigen, er erinnert uns daran, dass es konkrete, gestufte Verantwortung gibt, die wir wahrzunehmen haben.

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