Direkt zum Inhalt
Frisierte Studienlagen

EU-Richtlinie zur Geschlechterquote mit erfundener Wahrheit

Am 7. Dezember 2022 ist die Richtlinie der EU zur ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern unter den Direktoren börsennotierter Gesellschaften in Kraft getreten. Darin schreibt die Europäische Union die in Deutschland und anderen Staaten bereits existierenden Frauenquoten in den Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen europaweit fest.

Sie erweitert die Quotierung zudem erstmals auch auf Vorstandspositionen, und auch der sachliche Anwendungsbereich wird vergrößert: Galt die deutsche Regelung bisher nur für börsennotierte und zugleich qualifiziert mitbestimmte Unternehmen, insgesamt circa 120 an der Zahl, gilt die Regelung ab 2026 für alle börsennotierten Unternehmen, das sind circa 500 und damit viermal so viele wie bisher.

Die Richtlinie ist gestützt auf Art. 157 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Danach ist die Union zur Rechtsetzung auf den Gebieten der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des gleichen Entgelts, ermächtigt. Dass diesen sozialpolitischen Zielen gedient wird, wenn mehr Frauen auf hochvergütete Direktorenposten berufen werden, ist kaum zu bestreiten. Insofern bestehen von rechtlicher Seite keine Einwände gegen die Kompetenz der EU zur Rechtssetzung.

Von einem weitgehenden Konsens kann keine Rede sein

Außer dem Rechtstext enthalten EU-Richtlinien stets auch Erwägungsgründe. Sie erläutern die Motive des europäischen Gesetzgebers zur Regelsetzung und die damit verfolgten Ziele. Die Erwägungsgründe sind in Zweifelsfragen für die Auslegung des Rechtstextes von entscheidender Bedeutung, deshalb verdienen sie es, beachtet zu werden. Und den 16. bis 18. Erwägungsgrund dieser Richtlinie nimmt man dann mit äußerster Verwunderung zur Kenntnis.

Dort heißt es, dass die Maßnahme positive Auswirkungen auf die Unternehmen selbst hätte, weil Teamleistung und Qualität der Entscheidungen durch eine vielfältigere Denkweise mit breiter gefassten Perspektiven verbessert werden und Vielfalt zu einem vorausschauenden Geschäftsmodell, zu ausgewogeneren Entscheidungen sowie zu besseren Fachkompetenzen führe. Darüber bestehe „weitgehender Konsens“.

Die Verwunderung entsteht, wenn man die Studienlage zu dieser Frage im Kopf hat. Zum einen nämlich legen die dazu existierenden empirischen Studien einen ganz anderen Diversity-Begriff zugrunde als den, um den es hier geht. Die EU-Richtlinie versteht Vielfalt rein binär geschlechtsbezogen, also im Sinne von „mehr Frauen“. Das ist ein verengter und zudem eigentlich auch schon überholter Begriff von Diversität in einer Zeit, in der jede Stellenanzeige den Zusatz „männlich/weiblich/divers“ enthält.

Diversität umfasst neben Geschlecht auch Ethnie, Alter und andere Faktoren

Vor allem aber beziehen sich die existierenden Studien nicht allein auf das Geschlecht, sondern verwenden einen Diversitätsbegriff, der daneben auch Ethnie und Alter sowie ferner persönliche Faktoren (Persönlichkeit, Werte, Einstellungen) und fachbezogene Faktoren (Berufserfahrung, Ausbildung) einbezieht. Schon von daher trägt die Studienlage die Aussage der Kommission nicht.

Zum anderen sind auch die Ergebnisse ernüchternd. Nur wenige Studien, und meist von Wirtschaftsberatungsgesellschaften durchgeführte, bejahen eine förderliche Wirkung der Diversität. Studien aus wissenschaftlichen Einrichtungen können hingegen ganz überwiegend eine Effizienzsteigerung gerade nicht nachweisen, vor allem nicht in Bezug auf die Geschlechtervielfalt. Allenfalls bei der fachlichen Vielfalt finden sich geringfügig positive Ergebnisse. Für Vielfalt bei Persönlichkeit, Werten und Einstellungen werden sogar negative Effekte nachgewiesen, weil diese die Konfliktbereitschaft im Gremium erhöhen und die Findung von Kompromissen erschweren.

Auch die zweite Prämisse, dass nämlich mehr Frauen in Leitungspositionen dazu führen, dass Unternehmen sich weniger risikoorientiert verhalten und bessere Ergebnisse erzielen, muss hinterfragt werden. Die bekannteste Aussage dazu stammt von der heutigen Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, die im Jahre 2008 den durch Risikoüberspannung verursachten Zusammenbruch der amerikanischen Großbank Lehman Brothers mit den Worten kommentierte: „Mit Lehman Sisters wäre das nicht passiert.“

Die heutige Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, bei Verhandlungen: „Mit Lehman Sisters wäre das nicht passiert“

Diese Aussage ist seitdem unter dem Titel „Lehman Sisters Hypothesis“ Gegenstand der empirischen Forschung. Auch insoweit sind bisher robuste Belege für ihre Richtigkeit nicht erbracht worden, und es spricht viel dafür, dass die in Unternehmen vorherrschende Risikokultur Personen, die in diesen Unternehmen bis an die Spitze aufsteigen, weit mehr beeinflusst und sozialisiert als die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht.

Mehr Frauen haben eine neue Bankenkrise nicht verhindert

Zudem hat die Welt sich seit 2008 verändert, und die Geschäftsleitungen sind infolge des gesellschaftlichen Wandels längst weiblicher geworden. Leider hat dies, wie wir gegenwärtig sehen, eine neue Bankenkrise nicht verhindert. Im Gegenteil, bei den bisher in Schwierigkeiten geratenen Banken gibt es einen deutlichen Anteil von „Credit Suisse Sisters“ (56 Prozent weiblich) und „Silicon Valley Sisters“ (34 Prozent weiblich) in den Verwaltungsräten.

Die letzten beiden Chief Risk Officers der Silicon Valley Bank in den Jahren 2022 und 2023, deren Aufgabe es gewesen wäre, ein Desaster wie das eingetretene zu verhindern, waren beide solche „Sisters“: Laura Izurieta und Kim Olson. Izurieta wird in der Wirtschaftspresse zudem vorgeworfen, ihre Kernaufgabe zugunsten eines zeitaufwendigen Engagements für die Belange der „LGBTQ+“-Bewegung vernachlässigt zu haben. Bei der Credit Suisse lagen auf der Geschäftsführungsebene wichtige krisenrelevante Bereiche wie Technology, Operations und vor allem Compliance in weiblicher Hand (abgerufen am 18. April 2023).

Genützt hat es ganz offensichtlich nichts. Der Hegel zugeschriebene Satz, dass es Pech für die Tatsachen sei, wenn sie nicht mit den Theorien übereinstimmten, trifft von daher für die von Madame Lagarde aufgestellte Lehman-Sisters-Hypothese ebenfalls zu.

Die wirtschaftspolitische Argumentation erweist sich als unwissenschaftlich

Und ergänzend für die börseninteressierten Leser noch ein kleines Häppchen: Die Uni Credit Bank war so freundlich, uns ein Testobjekt zu verschaffen. Sie hat im Juli 2022 ein Zertifikat auf den von ihr geschaffenen UC ESG European Women Leadership Index aufgelegt. (Wer investieren möchte, wovon ich abrate: Die Wertpapierkennnummer lautet A3DQCJ.) Der Index bildet Unternehmen ab, die einerseits die modernen ESG-Kriterien voll erfüllen, also sich besonders in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance engagieren. Aus diesen wählt er diejenigen mit dem höchsten Frauenanteil im Management aus. Davon versprechen sich die Initiatoren eine positive Auswirkung auf die Unternehmensperformance.

Die Realität sieht auch hier anders aus: Das Zertifikat wurde im Juli 2022 zu 103 Euro emittiert, der aktuelle Kurs am 18. April 2023 war 106,70 Euro, so dass – bei zwischenzeitlich starken Ausreißern nach unten – ein magerer Gewinn auf Sicht von zehn Monaten zu verzeichnen war. Wer hingegen zur gleichen Zeit in den allgemeinen europäischen STOXX 50-Index investierte, der auf die Themen des Women Leadership Index keine besondere Rücksicht nimmt, konnte sich hingegen über ein Plus von 25,46 Prozent freuen. (Der Index stieg von 3.504 Punkten am 18.07.2022 auf 4.396 Punkte am 18.04.2023.)

Zugegeben, das ist nur eine Momentaufnahme. Ob es sich tatsächlich um einen Female Leadership Index oder doch eher um Female Leadership Bullshit handelt, muss die langfristige Betrachtung zeigen.

Eines aber steht hiernach fest: Weder die wissenschaftliche Studienlage noch die jüngsten Erfahrungen in der Bankenkrise von 2023 noch die Kursentwicklung „geschlechtergerechter“ Finanzprodukte stützen die Annahme der Kommission, der Ausbau der Geschlechterquote sei von wirtschaftlichem Vorteil für die Unternehmen. Man kann sie gerne auf sozialpolitische Erwägungen stützen, aber die zusätzlich gegebene wirtschaftspolitische Argumentation muss als unwissenschaftlich zurückgewiesen werden, weil sich die europäischen Regelsetzer mit ihr ganz offenbar ihre eigene Wahrheit geschaffen haben.

Wahrhaftig bleiben angesichts der Übergriffigkeit der Politik

Das Vorgehen erinnert ein wenig an das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in der Corona-Krise. Auch er pflegte ja stets die Studienlage so darzustellen, wie es für seine politischen Absichten günstig war. Erschreckenderweise scheint diese Argumentationsweise auch auf europäischer Ebene keine Ausnahme mehr zu sein. Sie sollte für die zukünftige Auslegung der Richtlinie nicht maßgeblich sein.

Den finalen Schreck bekommt man als Hochschullehrer dann aber bei Erwägungsgrund 15. Dieser bezeichnet es als unabdingbar, dass in den Wirtschaftshochschulen und Universitäten die Vorteile gelehrt werden, die die Gleichstellung der Geschlechter für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen mit sich bringe.

Dieser Aufruf ist zum einen übergriffig, da der Europäischen Gemeinschaft unter keinem denkbaren Aspekt die Kompetenz zusteht, den Hochschullehrern politische Inhalte für den Unterricht mit auf den Weg zu geben. Und zum anderen ist dieser Inhalt, wie eben gezeigt, noch nicht einmal wahr. Man sollte ihm daher im Interesse der Wissenschaft und ihrer Freiheit nicht nur nicht folgen, sondern deutlich widersprechen und weiter das lehren, was die Forschung hergibt und nicht das, was in Brüssel als politisch gewünscht erklärt wird. Sonst wird eine erfundene Wahrheit weiter perpetuiert.

3
2

Kommentare

Kommentar