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Kolumne „Ein bisschen besser“

Au ja, wir gründen ein Sondervermögen

Meine Frau Judith und ich nähern uns nach hitziger Diskussion dem Beschluss, ein Sondervermögen ins Leben zu rufen. In erster Linie geht es um Zivilschutz, und ich werde davon ein Riva-Mahagoniboot anschaffen, um Richtung Westen über den oberitalienischen See zu fliehen, an dem wir zeitweise wohnen, falls der Russe von Osten kommt. Dass der Russe noch in diesem Jahrzehnt kommt, ist nach allem, was wir so hören, sehr wahrscheinlich.

Ein weiterer Teil des Sondervermögens geht in die Infrastruktur zur Wiederherstellung des Südflügels unseres Palazzos oberhalb vom See, an dem sich mangels Investitionen ein jahrzehntelanger Reparaturstau bemerkbar macht. Judith hat in harten Verhandlungen mit mir durchgesetzt, dass auch grüne Projekte aus dem zu beschließenden Sondervermögen bezahlt werden, weswegen wir noch einen Weinberg oberhalb vom Haus nachhaltig bewirtschaften wollen.

Das Töchterchen wendet ein, sie müsse das ja alles einmal bezahlen

Als uns das Töchterchen mit großen Kulleraugen anschaut, die sagen wollen: „Ich muss das einmal alles bezahlen“, und Judith fast weich wird, verkünde ich den beiden Frauen: „Macht euch keine Sorgen, das inflationieren wir weg.“ Und ans Töchterchen gerichtet erkläre ich ihm, dass es ja dann den reparierten Südflügel, das Mahagoniboot und den Weinberg erbt, und doch an das lächerliche Geld, das sowieso nie einer zu Gesicht bekommt, keinen Gedanken verschwenden muss. Schulden seien sowieso nur eine Erfindung der Kirche und der Christenheit.

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Es war die Religion, die uns – vielleicht zu Recht – einredete, schuldbeladen zur Welt zu kommen, weswegen einige Kirchenleute im dunklen Mittelalter die einträgliche Idee des Ablasshandels entwickelten. Wir nehmen an, dass in den laufenden Koalitionsverhandlungen nach einem ähnlichen Finanzinstrument gesucht wird. Der Unterschied: Gab es damals fundierte Kritik innerhalb der Kirche an dieser Praxis, muss man diese heute mit der Lupe suchen.

Meine Frau glaubt noch nicht, dass Sondervermögen das Gegenteil von Schulden sind

Die Politiker müssen allerdings aufpassen, denn die Geschichte zeigt, dass damals ein dahergelaufener Martin Luther das ganze wunderbare Schuld-System ins Wanken brachte, was in den Dreißigjährigen Krieg mündete und eine neue Weltordnung hervorbrachte, die tatsächlich ein bisschen besser war, wie wir meinen.

Das einzige Problem, das ich bei dem Sondervermögen für unsere Familie sehe, ist, dass Judith eine schwäbische Geschäftsfrau ist, die noch nicht restlos davon überzeugt ist, dass Sondervermögen das Gegenteil von Schulden sind. Ich denke aber, dass sie ihre letzten Zweifel überwindet, wenn sie sich am Bug des Mahagonibootes ins Kissen räkelt und ich ihr das erste Gläschen eiskalten Weines von eigenem Anbau nach vorne reiche. Und mit etwas Glück lässt sich der Russe ja noch bis dahin Zeit.

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