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Kind-sein gestern und heute

Deine Kindheit, meine Kindheit

Vielleicht kommt dem, der hier liest, Folgendes bekannt vor: Kaum betritt man einen dieser riesengroßen Spielzeugläden, stellt sich Beklemmung, ja fast schon Übelkeit ein und man hat nur diesen einzig dringenden Wunsch: Nichts wie raus hier! Die Flut an grellbuntem – oft schadstoffhaltigem – Plastik-Schrott ist nur schwer zu ertragen. Trotzdem werden Kinderzimmer hierzulande damit regelrecht zugemüllt – im Schnitt liegen dort 300 bis 500 Spielzeuge, größtenteils aus billigem Kunststoff. Warum nur tut man Kindern das an? Und wieso glaubt man ernsthaft, zu einer guten Kindheit würden solcherlei Spielsachen gehören? Grundsätzlich gefragt: Ist heute wirklich alles besser?

Man erzählt sich gerne, Kinder würden heute in der besten aller Kindheiten leben. Zum Vergleich wird dann beispielsweise angeführt, dass Kinder früher in Fabriken oder auf dem Bauernhof schuften mussten. Oder dass sie Zuhause und in der Schule obligatorisch geohrfeigt und geprügelt wurden. Probleme wie vollgestopfte Kinderzimmer erscheinen dagegen verschwindend klein.

Smartphone-abhängig und medikamentiert

Keiner, der ein Herz hat, wünscht sich solche Zustände, wie sie vor nicht einmal einem Jahrhundert gang und gäbe waren, zurück. Doch die vielen Errungenschaften wie etwa die Einführung von Kinderrechten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kindheit auch heutzutage ihre Schattenseiten hat. 

Man denke unter anderem an den digitalen Terror und die Ausweitung der pharmazeutischen Zone; smartphoneabhängige und medikamentierte Kinder sind alles andere als eine Ausnahmeerscheinung. Dazu kommen Alltagsstress und enormer Leistungsdruck.

Der vorsokratische Philosoph Heraklit stellte treffend fest: „Niemand kann zweimal in denselben Fluss steigen, denn alles fließt und nichts bleibt“. Anders gesagt: Alles ist in Bewegung Leben ist Veränderung, nichts bleibt stehen. Inzwischen kann man mit dem Wandel kaum noch Schritt halten, scheint er doch mit schwindelerregender Geschwindigkeit vonstattenzugehen. Und das bedeutet auch, dass nicht nur Großeltern, wie einst, kaum mehr die Kindheit ihrer Enkel nachvollziehen können, sondern auch zwischen Eltern und Kindern eine entsprechend große Kluft entstanden ist. Natürlich war es schon immer so, dass es Generationenkonflikte gab. Aber das, was Kindheit „an sich“ ausmacht, unterschied sich nicht derart eklatant.

Gibt es die ideale Kindheit?

Gewiss könnte man nun hergehen und eine Liste darüber erstellen, was heute im Vergleich besser ist und was schlechter. Wahrscheinlich käme man dann zu dem Schluss, dass man letztlich, auch bei allen Minuspunkten, keinen Grund habe, sich zu beklagen. Allein: Mit dieser Logik des Vergleichs lässt sich jeder Missstand weg reden. Ein Kind, dass unter der Trennung seiner Eltern leidet, was heute um ein Vielfaches häufiger vorkommt als noch vor fünfzig Jahren, ist sicher immer noch besser dran als ein Kind, das im Zweiten Weltkrieg hungern musste. Nichtsdestotrotz leidet das Trennungskind.

 

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Die Frage ist also: Wann brechen für Kinder Zeiten an, in denen sie völlig ungefährdet aufwachsen können? Oder müssen wir uns damit abfinden, dass jede Kindheit ihre Beschwernisse hat? Inwiefern hat das mit einer Gesellschaft zu tun, in der vieles im Argen liegt? „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, schrieb der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno in seinem Werk „Minima Moralia“. Kann also Kindheit nie richtig sein, wenn der Rest der Gesellschaft falsch lebt? Wer aber definiert überhaupt „richtig“ und „falsch“?

Jede Generation leidet auf ihre Weise

Die Erkenntnis, dass Kindheit heute und Kindheit gestern nicht in den Vergleich zu setzen ist, bedeutet zugleich, anzuerkennen, dass jede Generation auf ihre Weise leidet. Keine schöne Erkenntnis, aber immerhin eine, die den Boden für Verständnis bereitet. 

Es tut Kindern gut, wenn Eltern über das sprechen können, was sie in der eigenen Kindheit als schmerzhaft empfunden haben. Kinder spüren dann: „Meine Mama, mein Papa, auch sie waren mal ein Kind, auch sie wissen, dass Kindsein nicht immer einfach ist“. Selbst wenn Eltern die Situation nicht nachvollziehen können, die Anlass für die Wut oder Trauer des Kindes ist, so wissen sie meistens noch, wie es gewesen ist, als Kind mit diesen Gefühlen konfrontiert worden zu sein.

Was Kinder wirklich brauchen

Leid stellt uns jedes Mal vor die Entscheidung: Sollen wir hinsehen oder wegschauen? Für die österreichische Dichterin Ingeborg Bachmann gab es keinen Zweifel. „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“, lautet eines ihrer bekanntesten Zitate. Allein: Die Wahrheit tut oft weh.

Vielleicht denken wir, emotional nur überleben zu können, indem wir verdrängen. Vielleicht brauchen wir diesen Schutz für einige Zeit. Auch Eltern und Großeltern denken oft, sich selbst oder die Nachkommen schützen zu müssen – und sprechen daher nicht über die Wunden, die sie in jungen Jahren erlitten haben. Vielleicht auch, weil die Idee so schön ist, Kindheit als Ort zu betrachten, an dem Schmerzen nicht existieren. Doch wahrscheinlich bleibt das eine Utopie. Nichtsdestotrotz gibt jeder Tag jeder Familie die Gelegenheit, Kindern das zu geben, was sie für eine gute Kindheit brauchen. Dabei steht an allererster Stelle: Ein liebendes Herz.

 

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Kommentare

Kommentar
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Stefan Flach
Vor 2 Monate

Ja, die Wahrheit tut oft weh. Und warum? Weil sie die Wahrheit ist, es gibt nichts besseres. Und, noch mehr Ja. es braucht ein liebendes Herz. Am besten zwei.

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Stefan Flach
Vor 2 Monate

Ja, die Wahrheit tut oft weh. Und warum? Weil sie die Wahrheit ist, es gibt nichts besseres. Und, noch mehr Ja. es braucht ein liebendes Herz. Am besten zwei.