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Abtreibung und Alterung

Taiwan wird nicht nur durch das kommunistische China bedroht

Der Drache kreist um die Insel, jederzeit bereit, sie fest zu umschlingen oder gar mit seinem heißen Atem in Asche zu verwandeln. Der Drache ist die Volksrepublik China und die Insel der Staat Taiwan, der sich selbst als Republik China bezeichnet (der eigentlich Republik China heißt). Die Kommunistische Partei in Peking hat erst im vergangenen Sommer in einem neuen Weißbuch zu Taiwan bekräftigt: „Wir sind bereit, großen Raum für eine friedliche Wiedervereinigung zu schaffen, aber wir werden keinerlei Raum für separatistische Aktivitäten jeglicher Art lassen.“ Peking werde „nicht der Anwendung von Gewalt abschwören und wir behalten uns vor, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“.

Die Taiwanesen leben seit Jahrzehnten mit der festlandchinesischen Bedrohung. Fast täglich dringen chinesische Kampfjets oder -Schiffe in taiwanesisches Hoheitsgebiet ein. Die Festland-Chinesen betrachten den demokratischen Inselstaat als Teil der Volksrepublik. Taiwan betrachtet sich hingegen als unabhängig, wird jedoch von den meisten Ländern nicht als eigener Staat anerkannt und gehört auch nicht den Vereinten Nationen an. Auch die 1912 auf dem Festland ausgerufene Republik China beansprucht in ihrer Verfassung ganz China für sich. So gut wie alle Taiwanesen haben ihre Wurzeln auf dem Festland. Die Identitätsfrage beantworten heute zwei Drittel der Menschen auf der Insel mit: Taiwaner. Rund ein Drittel sieht sich gleichzeitig als Taiwaner und Chinesen.

International hat Taiwan auch deshalb eine relevante Bedeutung, weil es im Konflikt zwischen den Supermächten USA und China eine wichtige Rolle spielt. In dem hochentwickelten Industriestaat werden mehr als die Hälfte der weltweit produzierten Halbleiter hergestellt. Halbleiter sind wichtige Bestandteile von Mikrochips, ohne die modernes Leben nicht vorstellbar ist. Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company Limited (TSMC) mit Sitz in Hsinchu ist der nach Umsatz größte Halbleiterhersteller der Welt.

Ein Problem ungeahnter Reichweite

Am 13. Jänner 2024 finden in dem 23,6 Millionen Menschen großen Inselstaat Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Als Favorit gilt die Demokratische Fortschrittspartei (DPP), deren Präsidentin Tsai Ing-wen nun nach zwei Amtsperioden abtreten muss. Gute Karten hat Vizepräsident und DPP-Politiker Lai Ching-te, der von der Kommunistischen Partei Chinas als „Separatist“ bezeichnet wird. Seine Konkurrenten sind Hou Yu-ih von der oppositionellen Kuomintang (KMT), die Taiwan jahrzehntelang diktatorisch regiert hat, und Ko Wen-je von der Taiwanischen Volkspartei (TPP). Der Präsident in Taipeh setzt auch den Ministerpräsidenten ein.

Wer auch immer am 13. Jänner die Wahl gewinnen wird, er wird sich ernstlich mit der Bedrohung durch das kommunistische China auseinandersetzen müssen. Und noch ein weiteres Problem ungeahnter Tragweite steht auf der Agenda: der demografische Niedergang Taiwans. Laut Prognosen der Vereinten Nationen wird die Bevölkerung Taiwans bis zum Ende des Jahrhunderts auf rund 15 Millionen Menschen schrumpfen. Die zusammengefasste Geburtenziffer liegt seit Jahren bei unter 1,2 – manche Berechnungen kommen für das Jahr 2022 sogar auf einen Wert von unter 0,9, im World Factbook von der US-Regierung liegt Taiwan 2023 gar auf dem letzten Platz mit einer zusammengefassten Geburtenziffer von 1,09.

Dabei handelt es sich um eine hypothetische Kennziffer, die angibt, wie viele Kinder je Frau geboren würden, wenn alle Frauen bis zum Ende ihrer gebärfähigen Jahre lebten und entsprechend der Geburtenrate eines jeweiligen Jahres Kinder zur Welt bringen würden. Der Wert gibt Statistikern zufolge das Fruchtbarkeitsniveau genauer wieder als die Bruttogeburtenziffer. Taiwan ist damit eines der Länder mit der niedrigsten Geburtenzahl. Damit die Bevölkerungszahl ohne Einwanderung stabil bleibt, sind 2,1 Kinder je Frau nötig.

Die geringen Geburtenziffern führten dazu, dass das Medianalter in Taiwan inzwischen bei 42,5 Jahren liegt. Das heißt: Die Hälfte der Taiwaner ist jünger, die Hälfte älter als 42,5 Jahre. Die Bevölkerung Taiwans ist damit älter als die von Polen, Kanada, Belgien oder Frankreich. Doch warum werden in Taiwan so wenig Kinder geboren?

Charles Lin von der Hilfsorganisation Pro Femina Taiwan, die über Abtreibung und deren Folgen aufklärt und Frauen berät (zum deutschen Verein Pro Femina besteht keine juristische Verbindung, sie bezeichnen sich aber gegenseitig als Schwesterorganisationen), spricht von einer „komplexen“ Situation. Die Einstellung zum Sex ähnele eher denen der Amerikaner und Europäer – Taiwan war auch das erste asiatische Land, in der die gleichgeschlechtliche Ehe akzeptiert wurde –, was dazu führe, dass es viele ungeplante Schwangerschaften gebe. „In diesem Teil der Welt liegt die Zahl der außerehelichen Geburten unter 5 Prozent, in Taiwan bei 4 Prozent – in der EU und den USA im Durchschnitt bei 45 bis 50 Prozent –, was immer noch als Schande für die Frau und ihre Familie angesehen wird, so dass die meisten Schwangerschaften durch Abtreibung beendet werden.“

Abtreibung ist der gewichtigste Grund für die niedrige Geburtenrate

Abtreibung ist der gewichtigste Grund für die niedrige Geburtenrate – und gleichzeitig der versteckteste. Denn in der Öffentlichkeit werde dies kaum thematisiert, sagt Charles Lin. Dabei sind die Daten dazu erschreckend: „Auf eine Lebendgeburt kommen zwei Abtreibungen. Die offiziellen Abtreibungszahlen liegen bei über 200.000 pro Jahr, einige Medizinexperten sprechen von 300.000 bis 500.000.“

Seit 35 Monaten in Folge sterben mehr Menschen als geboren werden. Anfang Dezember veröffentliche das Innenministerium die neueste Bevölkerungsstatistik. Demnach kamen im November in Taiwan 11.000 Menschen zur Welt – 15.000 verstarben. Das Innenministerium geht von 135.000 Geburten für das Gesamtjahr aus. 2023 wird den Angaben zufolge das Jahr mit den historisch niedrigsten Geburtenzahlen sein. Laut dem Portal The Conversation gibt es in Taiwan mehr registrierte Hunde und Katzen als Kinder unter zehn Jahren.

Die Alterspyramide von Taiwan hat die Form einer Urne: Der Inselstaat hat mit einer Unterjüngung der Bevölkerung zu kämpfen

Als einen weiteren Grund für die niedrigen Geburtenzahlen gibt Lin die Krise der Familie an. „Wir hatten in den vergangenen 20 Jahren eine durchschnittliche Scheidungsrate von 40 Prozent, etwa 1,3 Millionen Minderjährige haben eine elterliche Scheidung erlebt.“ Scheidungskinder neigten dazu, nicht zu heiraten oder mit einem Partner zusammenzuziehen. „Deshalb gibt es eine große Gruppe von 30- bis 45-Jährigen, die unverheiratet sind. Wie die Europäer neigen die Menschen dazu, erst spät zu heiraten, nach dem 30. Lebensjahr, und das erste Kind wird dann erst mit 32 Jahren oder noch später geboren.“ Schließlich seien auch die geringen Löhne im Vergleich zu den hohen Immobilienpreisen und teuren Kinderbetreuungseinrichtungen ein Problem.

Lin betont, eine Debatte über Abtreibung gebe es in Taiwan nicht. Ein ungeborenes Kind abzutreiben, sei überdies sehr unkompliziert und bis zur 24. Schwangerschaftswoche möglich. „Eine Beratung ist nicht erforderlich.“ Behörden müssten Abreibungen auch nicht melden, außer sie wird mit dem Medikament RU 486 vollzogen, der Abtreibungspille Mifepriston. In den vergangenen 22 Jahren seien damit etwa drei Millionen ungeborene Kinder abgetrieben worden. Komplizierter wird es im Fall einer Ehe. Eine verheiratete Frau benötigt die Zustimmung des Ehepartners, um eine Abtreibung durchführen zu lassen.

„Die Regierung spricht das Thema Abtreibung nicht an“

Charles Lin

Lin betont, die demografische Situation des Landes sei den Politikern zwar bewusst, aber: „In den Maßnahmen unserer Regierung zur Ankurbelung der sinkenden Geburtenrate wird das Thema Abtreibung nicht angesprochen.“ Die Regierung habe im vergangenen Jahr umgerechnet drei Milliarden Euro zur Bekämpfung des demografischen Wandels ausgegeben. In diesem Jahr werden es noch mehr sein. Der Präsidentschaftskandidat der KMT warb damit, jede Frau, die ihr drittes Kind bekomme, solle umgerechnet 30.000 Euro erhalten. „Das scheint attraktiv“, meint Lin.

Seine Worte klingen nicht euphorisch. „Es ist mein Auftrag von Gott, der Öffentlichkeit aufzuzeigen, wie ernst Abtreibungen sind und welche Auswirkungen sie haben. Und ich möchte mit unserer Organisation Pro Femina Taiwan Lösungen anbieten.“ Eine dominierende klassische Religion gibt es in Taiwan nicht. Dem chinesischen Volksglauben fühlen sich rund 44 Prozent zugehörig. Rund ein Fünftel sind Buddhisten, 15 Prozent Daoisten. Der Anteil der Christen beläuft sich auf eine niedrige einstellige Prozentzahl.

In puncto Lebensschutz haben Taiwan und West- sowie Mitteleuropa mehr Gemeinsamkeiten, als man zunächst annehmen könnte: Die hohe Zahl an Abtreibungen hat zu einer Unterjüngung der Bevölkerung geführt – es gibt zu wenig junge Menschen. Und an der Problematik wenig interessierte Regierungen. Im Falle Taiwans, das kein Teil eines schlagkräftigen Militärbündnisses ist, hat das gleich doppelt bedrohliche Folgen: Das Militär hat Rekrutierungsprobleme, was im Falle einer Invasion Rotchinas fatal sein kann.

 

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Kommentare

Kommentar
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Michael
Vor 10 Monate 1 Woche

Wenn ein Land bzw. ein Volk tatsächlich so krass die Ungeborenen mordet, dass auf jedes geborene Kind zwei ermordete kommen, dann wird dieses Land auf eine noch schlimmere Weise gestraft werden als wir hier in D. Sie ziehen eine Art Fluch des Himmels auf sich, noch krasser als wir. Wenn es dort nach absoluten Zahlen so viele (oder sogar noch mehr) Abtreibungen gibt wie bei uns, bei einem Verhältnis der Bevölkerungszahlen von 1:3,5, dann ist Taiwan dem Untergang geweiht. Festlandchina muss nur warten.

Und bei uns ist es schon ein unvorstellbares Grauen, wenn man bedenkt, dass in D. seit Mitte der 1970er Jahre grob geschätzt mindestens 12.000.000 Kinder im Mutterschoß getötet wurden. Und schon Ende der 1980er Jahre wurde es thematisiert und jeder hätte es wissen können, dass uns das droht, was heute euphemistisch „demografischer Wandel“ genannt wird. Das allein ist schon Strafe, wenn auch nur im irdischen/zeitlichen Sinn. Aber die Menschen machen ihre Rechnung ohne den ewigen Wirt. Wenn DER zur Abrechnung erscheinen wird, dann wird seine Gerechtigkeit ihnen einen großen Strich durch die Rechnung machen. Grauenhaft.

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Michael
Vor 10 Monate 1 Woche

Wenn ein Land bzw. ein Volk tatsächlich so krass die Ungeborenen mordet, dass auf jedes geborene Kind zwei ermordete kommen, dann wird dieses Land auf eine noch schlimmere Weise gestraft werden als wir hier in D. Sie ziehen eine Art Fluch des Himmels auf sich, noch krasser als wir. Wenn es dort nach absoluten Zahlen so viele (oder sogar noch mehr) Abtreibungen gibt wie bei uns, bei einem Verhältnis der Bevölkerungszahlen von 1:3,5, dann ist Taiwan dem Untergang geweiht. Festlandchina muss nur warten.

Und bei uns ist es schon ein unvorstellbares Grauen, wenn man bedenkt, dass in D. seit Mitte der 1970er Jahre grob geschätzt mindestens 12.000.000 Kinder im Mutterschoß getötet wurden. Und schon Ende der 1980er Jahre wurde es thematisiert und jeder hätte es wissen können, dass uns das droht, was heute euphemistisch „demografischer Wandel“ genannt wird. Das allein ist schon Strafe, wenn auch nur im irdischen/zeitlichen Sinn. Aber die Menschen machen ihre Rechnung ohne den ewigen Wirt. Wenn DER zur Abrechnung erscheinen wird, dann wird seine Gerechtigkeit ihnen einen großen Strich durch die Rechnung machen. Grauenhaft.