Staatliche Nachhilfe unerwünscht
Die Zeit, von der zu Beginn die Rede sein soll, war die Zeit mehrere Jahre nach dem Mauerfall. Frankreich war zum ersten Mal Fußballweltmeister geworden, Gerhard Schröder zum ersten Mal Kanzler, das Unternehmen Google wurde gegründet, man bezahlte noch in D-Mark. In der Kindergartengruppe, die ich im Münchner Norden leitete, trafen wir uns wie jeden Vormittag im Sitzkreis, um die Themen zu besprechen, die uns am Herzen lagen. Wenn ich „wir“ sage, dann meine ich alle Anwesenden, also auch meine beiden Kolleginnen – und die uns anvertrauten 25 Kinder.
Jeder, der ein Anliegen hatte, kam zu Wort. Jeder wurde gehört, jeder ernst genommen. Es entstanden lebendige Debatten. Etwa darüber, wohin der nächste Ausflug gehen soll, dass es dringend neue Sägen für die Werkbank braucht, dass die Mädchen es blöd finden, dass die Buben im Garten dauernd Fußball spielen oder dass die Regeln beim Mittagessen neu besprochen werden müssen – auch diese Forderung kam übrigens von den Kindern.
Außergewöhnlich war das nicht, Runden dieser Art wurden und werden in zahlreichen Einrichtungen praktiziert; man nennt das Kinderkonferenz. Dabei erleben bereits Drei- bis Sechsjährige, dass sie das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern, unabhängig davon, was andere darüber denken. Sie üben sich darin, Argumente dafür und dagegen zu formulieren und über eingebrachte Ideen abzustimmen.
Was so menschenfreundlich klingt
Gelebte Demokratie eben, die auch sonst in den Alltag eingewoben ist. Und das seit Jahrzehnten. Gewiss nicht überall, aber doch vielerorts. Man nennt das übrigens auch Partizipation. Es muss also niemand daherkommen und Demokratieerziehung für Kindergartenkinder einfordern. Trotzdem tut Nancy Faeser das. Warum eigentlich? Was bezweckt sie damit?
Im Februar 2022, zum zweiten Jahrestag der Anschläge von Hanau, forderte die Bundesinnenministerin in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, rechtsextreme Strömungen in Deutschland künftig möglichst frühzeitig zu bekämpfen. Man müsse bereits im Kindergarten gegen „Ideologien der Ausgrenzung“ steuern. Faeser führte weiter aus: „Wir brauchen eine Demokratieerziehung, die klarmacht, dass es egal ist, wo eine Familie irgendwann einmal hergekommen ist, welche Hautfarbe jemand hat, an wen er glaubt oder wen er liebt.“
Das mag erst einmal menschenfreundlich klingen. Untersucht man die Aussage genauer, beschleicht einen allerdings der Verdacht, dass die SPD-Politikerin nicht genug Ahnung hat vom Grundgesetz, wo Menschenrechte und Nichtdiskriminierung längst verankert sind. Zudem scheint sie ein ausgesprochen pessimistisches Menschenbild zu haben, da sie davon ausgeht, Kinder seien von Grund auf Wesen, die Ausgrenzung und Feindseligkeit praktizieren würden.
„Linke NGOs und Bildungsträger befriedigen“
Tatsächlich aber gehen die allermeisten offen und neugierig auf andere zu, auch und gerade, wenn sie ihnen fremd sind. Politische Nachhilfe ist hier also völlig fehl am Platz. Ohnehin kann man Offenheit gegenüber verschiedenen Kulturen und Lebensmodellen nicht über den Verstand „klarmachen“, nicht über ein staatlich verordnetes Programm, sondern es lässt sich dies nur über das Herz vermitteln.
Dessen ungeachtet hält die aktuelle Regierung weiter Kurs. Am 14. Dezember 2022 hat das Bundeskabinett den Entwurf für das Gesetz zur Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung beschlossen. Es soll Vereine und Initiativen, die sich für Demokratie und gegen Extremismus einsetzen, besser und langfristiger finanziell ausstatten. „Wir verpflichten uns erstmals dazu, die Demokratie zu fördern“, sagte Familienministerin Lisa Paus dazu. Dass sie das überhaupt für nötig hält, sollte stutzig machen.
Nochmal: Um was geht es wirklich? Aus der Opposition regte sich berechtigter Unmut. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm, stellte den Mehrwert des Fördergesetzes bereits vorab infrage und sagte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa: „Der Entwurf für ein Demokratiefördergesetz ist ein Gesetz ohne Inhalt“. Es diene dazu, „überwiegend linke NGOs und Bildungsträger zu befriedigen“.
Nicht die Regierung hat die Deutungshoheit, sondern der Bürger
Und überhaupt: Wieso sollte Demokratie in einer Demokratie staatlich gefördert werden? Das Wort Demokratie stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Volksherrschaft“ und ist also gerade nicht auf einen paternalistischen Staat angelegt, der von oben herab agiert und etwa definiert und lehrt, was Demokratie sei. Nicht die Regierung hat die Deutungshoheit, sondern der Bürger selbst; er ist der Souverän. Dass man bereits Kinder behelligen will, legt den Verdacht nahe, dass die Erziehung zur Demokratie nur ein Vorwand ist, um bereits die Jüngsten weltanschaulich zu indoktrinieren.
Autokratische Systeme wie China wenden diese Methode bekanntermaßen erfolgreich an. Auch in der DDR erfolgte die Erziehung an allen Bildungsinstituten im Sinne des Staates. Laut Schulgesetz aus dem Jahr 1965 war das Ziel „eine allseitig und harmonisch entwickelte sozialistische Persönlichkeit“.
Soll sich deutsche Vergangenheit nun wiederholen? Bereits während der Corona-Pandemie keimte Argwohn auf ob der massiven und unverhältnismäßigen Einschränkung von Grundrechten – wird hierzulande Schritt für Schritt ein DDR-ähnliches System installiert? Kritiker wurden diffamiert, Demonstrationen erschwert, obwohl sie eine der wichtigsten Säulen einer Demokratie stellen. Das allerdings besorgte Faeser nicht, im Gegenteil, forderte sie doch dazu auf, die Proteste nicht mehr auf die Straße zu tragen. Und also scheint ihr Demokratieverständnis von der gängigen Definition erheblich abzuweichen. Auch daher ist fragwürdig, was Kindern ihrer Vorstellung zufolge eigentlich vermittelt werden soll.
Es geht um Macht und Kontrolle
Anstatt Kritiker mundtot zu machen, sollen sie wohl gar nicht erst entstehen. Provokant könnte man fragen, ob man im Kindergartenalter eigentlich nicht zu spät ansetzt. Warum nicht bereits Föten ideologisch beschallen? Oder sollte man sogar so weit gehen, potenzielle Eltern einer Gesinnungsprüfung zu unterziehen?
So übertrieben das klingen mag, verweist es doch auf den Kern, der in totalitären Phantasien steckt. Die Agenda, die in linksgrünen Kreisen vorangetrieben wird, zeigt längst, wie besorgniserregend die Entwicklung ist. Es geht augenscheinlich nicht mehr ausschließlich darum, sich für marginalisierte Gruppen starkzumachen, sondern jeden fertigzumachen, der eine Position vertritt, die von der gewünschten abweicht. Wer erstmal am Boden liegt, der mag vielleicht wieder aufstehen, muss aber damit rechnen, bei der nächstbesten Gelegenheit wieder gestürzt zu werden. Letztlich kann er sagen und schreiben, was er will, es ist immer falsch.
Anders gesagt: Es geht um Macht. Und Kontrolle. Wohin aber soll das führen? Das Lebenselixier liberaler Gesellschaften ist bereits bedroht: die freie Meinungsäußerung. Das spiegelt sich auch in einer aktuellen Umfrage des Allensbach-Instituts wider, wonach jeder zweite Deutsche Angst davor hat, seine Meinung frei zu äußern. Kein Wunder. Inzwischen wird öffentlich gegeißelt, wer darauf verweist, dass es zwei biologische Geschlechter gibt. Gemäß Ideologie ist das nämlich falsch, denn Menschen haben erstens die Option auf mindestens 60 Geschlechter und können das zweitens je nach Gefühl selbst festlegen.
Kinder brauchen kein politisches Programm
Es liegt nahe, dass Kindergartenkinder, die mancherorts bereits von Drag-Queens besucht werden, damit indoktriniert werden sollen. Ohnehin dürfte ihnen via „Demokratieerziehung“ grundsätzlich eingebläut werden, was sagbar ist und was nicht. Und vor allem, den Vorgaben gemäß zu funktionieren. Also gar nicht erst damit anzufangen, selbstständig zu denken. Man braucht schließlich niemanden mehr, der den Mut hat, seinen eigenen Verstand zu benutzen. Es folgt der Rückfall in voraufklärerische Zeiten.
Entmündigt werden dann nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern. Denn damit der Staat seinen Einflussbereich geltend machen kann, müssen Kleinkinder so früh wie möglich aus dem Einflussbereich der Familie herausgelöst werden. Das ist ohnehin schon weitgehend der Fall. Dadurch aber fehlt ihnen die notwendige sichere Bindung und somit die tatsächliche Basis, die sie brauchen, um zu einem liebenden und mitfühlenden Erwachsenen heranzuwachsen. Einem solchen Erwachsenen muss Demokratie übrigens nicht gelehrt werden, er lebt sie ganz selbstverständlich. Was Kinder brauchen, ist also kein politisches Programm, sondern das, was jeder Mensch braucht: Zuneigung.
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