Die vormundschaftliche Saat
Welche Rolle spielen eigentlich Funktionäre in der postmodernen Gesellschaft? Es lohnt sich nicht nur, darüber nachzudenken – es ist auch notwendig. Harmlos gedacht geht ein Funktionär Aufgaben nach, mit denen er von Mitgliedern eines Verbandes, ob Fußballverein, Kaninchenzüchterklub oder Kirche, einer Partei oder einer Gewerkschaft bedacht wurde. Der Parteifunktionär wurde und wird auch mit dem umstrittenen Begriff des politischen Establishments in Verbindung gebracht.
Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach in seiner grundsätzlichen Kritik in einem Interview am 19. Juni 1992 mit der Zeit (Nr. 26/1992) davon, dass die politischen Parteien „machtversessen und machtvergessen“ agierten – damit waren vor allem einflussreiche Funktionäre gemeint –, sich den Staat zur Beute gemacht und damit eine große Politikverdrossenheit verursacht hätten. Anders gesagt: Die Parteien wirkten nicht an der Willensbildung des Souveräns mit, sondern agierten in Gestalt von Funktionären schulmeisterlich, ja wie ein Vormund, der weder vom Grundgesetz noch vom Wahlvolk mit solch weitreichenden Befugnissen ausgestattet wurde – kühne Gedanken aus präsidialem Mund. Weizsäcker wurde wegen seiner freimütigen Worte über Funktionäre damals scharf attackiert.
Keinerlei Scheu gegenüber der Linken
Der bestimmende Eindruck eines von Interessengruppen orchestrierten Mainstreams besteht auch heute. An der Alternativlosigkeit der kostspieligen, ökonomisch fragwürdigen und ökologisch unverantwortlichen Energiewende zweifeln etwa Bürger in ganz Deutschland. Wer dagegen begründet opponiert, wird in manchen Medien stigmatisiert. Im Portal „Kirche und Leben“ (Münster) hat die Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, Mitte August summarisch von der drohenden Gefahr antidemokratisch gesinnter „Rechtskatholik:innen“ gesprochen, die „restaurative Tendenzen“ zeigten und zugleich gefordert, dass Mitglieder der AfD von Laienämtern auszuschließen seien: „Im Kern ist die Unvereinbarkeit von AfD-Mitgliedschaft und Übernahme eines kirchlichen Amtes der Maßstab. Ein aktives Eintreten für die AfD widerspricht den Grundwerten des Christentums.“
Bemerkenswert aber ist, dass das ZdK keinerlei Scheu kannte, eine Einladung der Partei „Die Linke“ anzunehmen und mit deren Repräsentanten Gemeinsamkeiten zu erkunden. Am 9. September 2014 erklärte gemäß der hauseigenen Pressemitteilung der damalige ZdK-Präsident Alois Glück: „Es gehört zur politischen Kultur in einer parlamentarischen Demokratie, dass wir den Dialog mit Andersdenkenden suchen.“ Das ZdK hält – so scheint es – damit zwar „Die Linke“, nicht aber die AfD für gesellschaftlich satisfaktionsfähig und politisch dialogbereit. Nicht bekannt ist, dass das ZdK in den zurückliegenden Jahrzehnten bekennende kommunistische Parteigänger von kirchlichen Laienämtern ausschließen wollte.
Nun muss jedem Bürger hierzulande zugestanden werden, die Wahl oder Mitgliedschaft in einer politischen Partei subjektiv für alternativlos, für höchst problematisch, für unverantwortlich, für verwerflich oder sogar für vollkommen unerheblich zu halten. Jede dieser Meinungen über eine demokratische Partei ist in einem freiheitlich-demokratischen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland rechtlich statthaft. Über solche Meinungen kann, darf und muss diskutiert und gestritten werden.
Gefährden Funktionäre das Gemeinwohl?
Indessen illustrieren die apodiktischen Aussagen der Präsidentin eines Verbandes – der behauptet, die katholischen Laien in Deutschland zu vertreten – nur eine Variante des vormundschaftlichen Denkens von Funktionären, die sich artikulieren, als ob ihre Meinung absolut gültig sein und eine bestimmende (kirchen-)politische Geltung besitzen sollte.
Ganz anders agierte der verbal scharf attackierte US-Außenminister Alexander Haig – ein vorbildlicher Streiter für Meinungsfreiheit – 1982 in West-Berlin. Er zitierte vor friedensbewegten Protestlern inmitten der Nachrüstungsdebatte Voltaire und machte sich dessen Worte zu eigen: „Ich bin nicht Ihrer Meinung, aber ich werde bis zum Ende meines Lebens dafür kämpfen, dass Sie Ihre Meinung sagen dürfen.“ Die Pazifisten applaudierten ihm, und der damalige Berliner Bürgermeister Richard von Weizsäcker war tief beeindruckt von Haig.
Politische Akteure, die ihren öffentlichen Einfluss und ihre gesellschaftliche Stellung einer Organisation verdanken, wurden von dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu als „Apparatschiks“ bezeichnet, die „dem Apparat alles verdanken“. Ob sich diese Bezeichnung, die besonders für machtvolle, karrierebewusste Parteigänger in den kommunistischen Staaten Osteuropas verwendet wurde, auch für Funktionäre und Führungspersonen in gesellschaftlichen Verbänden demokratischer Gesellschaften heute nutzbar machen lässt, darüber wäre nachzudenken.
Der Soziologe Helmut Schelsky (1912–1984) verfasste 1982, im Seewald-Verlag erschienen, eine Streitschrift über „Funktionäre“ und fragte, damals vornehmlich auf Gewerkschaftsfunktionäre und -führer bezogen, ob diese das Gemeinwohl gefährden würden. Er schreibt dort: „‘Funktionäre’ sind keine ‘Klasse’ oder ‘Machtgemeinschaft’, sondern Organe der Entmündigung des Menschen dadurch, dass sie ihnen die Lebendigkeit ihrer Interessenvertretung nicht nur abnehmen, sondern sie zu vormundschaftlich von ihnen erregten und gesteuerten Konflikten führen.“
„Politische Agenten von Machtgewinn und Machtentscheidungen“
Wer an das ZdK denkt, wird sogleich auch den deutschen Synodalen Weg in den Sinn bekommen, der gemeinsam mit den deutschen Bischöfen vier Jahre lang durchgeführt wurde. So darf man sich fragen, ob die dort gefassten antirömischen Beschlüsse – etwa die Forderungen nach einer Revision der katholischen Sexualmoral und nach dem Zugang zum kirchlichen Weihe-Amt für alle Geschlechter – wirklich den Interessen, Wünschen und Sorgen der normalen gläubigen Katholiken in Deutschland entsprechen. Vielleicht fühlten sich die romfreundlich gesinnten Gläubigen nicht nur schlecht vertreten, sondern auch bevormundet.
Helmut Schelsky analysiert bereits 1982 treffend gesellschaftliche Organisationen wie diese, freilich ohne etwas vom Synodalen Weg wissen zu können. Der Funktionär sei die „strukturbestimmende Figur des modernen Gemeinwesens“. Ein Bürokrat, schreibt Schelsky launig, könne ein „Verwaltungsperfektionist“ sein, die Funktionäre indessen verkörpern die „politischen Agenten von Machtgewinn und Machtentscheidungen, die von ihnen oft mehr gesteuert, programmiert und angeheizt werden als von den politischen Führern ihrer Organisationen oder gar von den Menschen, die ihre Interessen in diesen Organisationen vertreten glauben“.
Stetter-Karp warb für Ausweitung der Möglichkeit zur Abtreibung
Die Funktionäre befördern, so Schelsky, die „Funktionärsmacht“ auf Kosten anderer, spielen Gruppenkonflikte hoch, setzen Gruppeninteressen durch und schüren zudem Konflikte von Gruppeninteressen. Übrigens wurde auf dem deutschen Synodalen Weg zwar das Thema „Machtmissbrauch“ von Klerikern, mitnichten aber von Laienfunktionären in kirchlichen Verbänden diskutiert.
Ein kritischer Soziologe wie Helmut Schelsky könnte heute über die Gestalten und Formen der politischen „Vormundschaft“ Anregungen zu einer zeitgemäßen Aufklärung geben. Irme Stetter-Karp warb übrigens als Katholikin vor einem Jahr energisch für den flächendeckenden Ausbau von Einrichtungen zur Abtreibung. Bis heute amtiert sie als Präsidentin des ZdKs, eines prominenten Verbandes, der nach meiner unmaßgeblichen Meinung vorwiegend sich selbst, also eine bestimmte Gruppe von deutschen Katholiken, nicht aber die Mehrheit aller Katholiken, die heute in Deutschland leben, repräsentiert.
Zwei weitere katholische Reaktionen seien hinzugefügt:
https://domradio.de/artikel/kirchenrechtler-sieht-konflikt-bei-selbstbe…
https://neueranfang.online/das-zdk-und-das-selbstbestimmte-geschlecht/?…
Im Augenblick handelt es sich ja auch um die Vorlage zu einem Gesetz, über das die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden beraten und abstimmen müssen. Ich kann mir vorstellen, dass sich Bischöfe der Kirche - ähnlich wie bei der Suizidbeihilfe - dann im Vorfeld der Beschlussfassung im Parlament zu diesem Gesetz der Regierungskoalition positionieren werden.
Ja, der zweitgenannte Artikel erklärt die Butlersche Absicht der 'Dekonstruktion' von Identitäten gut und stellt sie als unvereinbar mit christlichen Glaubenssätzen dar. Nur zählt der im Impressum genannte Verfasser Bernhard Meuser zu den Evangelikalen und arbeitet mit Johannes Hartl zusammen, der etwas zu sehr an den Schweizer Ivo Sasek erinnert, der ist mir suspekt.
Unter Domradio finden sich mehrere freundliche Artikel zur geschlechtlichen Selbstbestimmung, darin u. a. dies: "..Zukünftig soll etwa der Begriff "divers" ins Taufregister einziehen."
Da besteht offenbar noch viel Rede- und Klärungsbedarf.
Danke für Ihren Kommentar. So darf ich Sie auf diesen Beitrag hinweisen:
https://www.kath.net/news/82366
Danke! Gut zu lesen.
Zwischen den zahlreichen christlichen Publikationen herrscht zu viel Kleinkrieg, als dass wir schon einen sicheren Pfad wüssten.
Auch die Hospiz-Bewegung titelt neuerdings mit VIELFALT unterm Regenbogen und bemüht sich um "gendergerechte Begleitung Sterbender und Trauernder" und "Queere Bestattung".
Bin seit 62 Jahren Katholik, habe aber keine Ahnung auf welche Weise das zdk gewählt oder sonstige legitimiert ist für die katholischen Laien zu sprechen.
Irme Stetter-Karp begrüßt auch ausdrücklich das neue Selbstbestimmungsgesetz, wogegen von katholischer Seite insgesamt wenig Protest zu hören ist. Ali Utlu versucht immerhin, die Muslime zu informieren und in Bewegung zu setzen, vielleicht kommt wenigstens von dort Widerstand.
Zwei weitere katholische Reaktionen seien hinzugefügt:
https://domradio.de/artikel/kirchenrechtler-sieht-konflikt-bei-selbstbe…
https://neueranfang.online/das-zdk-und-das-selbstbestimmte-geschlecht/?…
Im Augenblick handelt es sich ja auch um die Vorlage zu einem Gesetz, über das die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden beraten und abstimmen müssen. Ich kann mir vorstellen, dass sich Bischöfe der Kirche - ähnlich wie bei der Suizidbeihilfe - dann im Vorfeld der Beschlussfassung im Parlament zu diesem Gesetz der Regierungskoalition positionieren werden.
Hoffentlich!
Ja, der zweitgenannte Artikel erklärt die Butlersche Absicht der 'Dekonstruktion' von Identitäten gut und stellt sie als unvereinbar mit christlichen Glaubenssätzen dar. Nur zählt der im Impressum genannte Verfasser Bernhard Meuser zu den Evangelikalen und arbeitet mit Johannes Hartl zusammen, der etwas zu sehr an den Schweizer Ivo Sasek erinnert, der ist mir suspekt.
Unter Domradio finden sich mehrere freundliche Artikel zur geschlechtlichen Selbstbestimmung, darin u. a. dies: "..Zukünftig soll etwa der Begriff "divers" ins Taufregister einziehen."
Da besteht offenbar noch viel Rede- und Klärungsbedarf.
Danke für Ihren Kommentar. So darf ich Sie auf diesen Beitrag hinweisen:
https://www.kath.net/news/82366
Danke! Gut zu lesen.
Zwischen den zahlreichen christlichen Publikationen herrscht zu viel Kleinkrieg, als dass wir schon einen sicheren Pfad wüssten.