Pissaladière
In meinem kleinen Warschauer Vorort ist der Winter eingebrochen – es ist bereits empfindlich kalt, der erste leichte Schnee mischt sich in den Nieselregen, aufgrund der ungünstigen Lage ganz im Osten der mitteleuropäischen Zeitzone wird es schon bald nach dem Mittagessen dunkel, und die lieben Nachbarn heizen aus vollen Rohren, indem sie ihre Öfen mit den üblichen unglaublichen Dingen füttern. Sind es nasse Bretter, Kohlen, Möbelfragmente mit Farbresten, Plastikverpackungen, Reifen? Ich werde es wohl nie herausfinden, aber auf dem kurzen Weg von der Haustüre zum Auto hält man bei Windstille am besten die Luft an.
Soweit wir die Sache überblicken, gehen diese wilden Heizsitten übrigens nicht etwa auf Armut zurück, sondern stellen einfach eine besonders „praktische“ Art der Müllbeseitigung dar; und da jeder Pole tief von seinem ureigenen aristokratischen Recht auf ein „Liberum Veto“ durchdringen ist, helfen weder EU-Verordnungen noch nationale Gesetze. Und nachbarschaftliche Diskussionen schon gar nicht. Kein Wunder, dass gerade jetzt bei meiner Familie und mir die Sehnsucht nach dem Süden ganz besonders hervorbricht und wohl anhalten wird, bis der Schnee liegenbleibt und die nasskalte Dunkelheit sich in ein strahlendes winterliches Zauberland verwandelt.
Sonne, Wärme, das Zirpen der Grillen und blaues Meer können wir uns gerade also leider nicht verschaffen, aber uns immerhin in der Küche ein wenig ans Mare Nostrum versetzen: Was läge da näher, als eines meiner Lieblingsrezepte der südfranzösischen Küche zu kochen, die famose Pissaladière, die ebenso einfach zuzubereiten ist, wie sie ausgezeichnet schmeckt? Man schämt sich schon fast, das Rezept zu erklären, so simpel ist es: Zwiebeln, Pizzateig, Sardellen, schwarze Oliven und Gewürze – mehr braucht es nicht für eine der besten und saftigsten Spezialitäten des Südens.
Und gerade das ist es, was mich an den meisten der mediterranen Rezepte anzieht, ganz abgesehen von der Geschmacksintensität der dortigen Kräuter und der Vielfalt der Erzeugnisse von Land und Meer: Ganz im Gegensatz zu dem, was man von der französischen „Haute Cuisine“ erwartet, kommt die regionale Mittelmeerküche meist mit recht wenigen Ingredienzien aus; das Geheimnis liegt eher in der Frische der Zutaten, dem Einsatz abwechslungsreicher Gewürze, dem Vermeiden von dicken Crème- oder Mehlsaucen (die drei Plagen der mitteleuropäischen Küche) – und natürlich dem unverwechselbaren Klima, welches das Essen vor Ort einfach immer viel besser schmecken läßt, als wenn man es in Warschau oder, was weiß ich, Tangermünde oder Sielenbach einnimmt.
Doch genug um den heißen Brei herumgeredet. Man schneide die Zwiebeln in halbierte Ringe, hacke dazu den Knoblauch in feine Scheiben und füge alles in eine Pfanne mit reichlich Olivenöl. Die Zwiebeln glasig werden lassen, dann die gesalzenen Sardellen hinzufügen, die sich bald ganz auflösen. Dabei mit Pfeffer und Provence-Kräutern (meist Rosmarin, Oregano, Bohnenkraut und Thymian) würzen sowie der hübschen Farbe halber auch Curcuma-Pulver (oder für die Begüterten unter den Lesern: Safran) beifügen. Salz dürfte wohl nicht nötig sein, da die gesalzenen Sardellen in dieser Hinsicht völlig ausreichen sollten; wenn nicht, kann man noch das gesalzene Öl beifügen, in dem diese eingelegt waren.
Das Ganze dann auf kleiner Flamme weiterkochen, bis eine visuell zwar nicht gerade appetitlich aussehende, dafür aber unglaublich schmackhafte und wohlriechende Masse entstanden ist. Denken Sie bei der Portionierung daran, dass die Zwiebeln beim Erhitzen sehr viel Flüssigkeit verlieren: Was beim Zerschneiden noch als gigantischer Haufen begonnen hat, bedeckt nach ausgiebigem Kochen knapp den Pfannenboden.
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Damit ist eigentlich schon das Wichtigste geschafft, und der Koch darf sich mit einem Gläschen südfranzösischen Weißweins – mein liebster ist der „Picpoul de Pinet“ – belohnen. Der Rest ist simpel: Man bereite einen beliebigen Pizzateig vor (in diesem Fall darf er durchaus etwas dicker und poröser als üblich sein), backe ihn im vorgewärmten Ofen ein wenig vor, damit die Oberfläche nicht gar zu feucht ist, belege ihn dann großzügig mit der Zwiebelmischung und dekoriere das Resultat je nach ästhetischem Geschmack mit schwarzen Oliven und einigen beiseitegestellten Sardellen. Dann alles noch einmal in den Ofen und bei 180 Grad Celsius ein halbes Stündchen backen, bis die Oberfläche ein wenig knusprig und die Zwiebeln grau geworden sind. Et voilà!
Bis über die Spätantike hinaus erhaltene Sitte
Pissaladière, wiewohl traditionell mit Nizza und der Provence verbunden, kann man an der gesamten französischen Mittelmeerküche übrigens in jeder besseren Boulangerie finden, wo man den in handliche Vierecke geschnittenen Zwiebelkuchen gerne auch schon anstatt eines Croissants lau zum Frühstück genießt. Im (deutschsprachigen) Netz kursieren übrigens zahlreiche Rezeptvarianten, die sich um die Sardellen herumzudrücken versuchen oder diese als „optional“ betrachten.
Das ist nicht nur geschmacklich eine unbeschreibliche Häresie, sondern auch historisch-etymologisch ein wahres Unding. Denn die Bezeichnung Pissaladière hat natürlich weder mit dem Wort, an das Sie gerade nicht zu denken versuchen, noch mit einer Salatschüssel etwas zu tun, sondern leitet sich – wie könnte es anders sein! – vom Lateinischen her: nämlich von pisces salsi, also gesalzenen Fischen.
Die Herstellung von Saucen, die aus Fischköpfen und -eingeweiden gewonnen wurden, welche lange genug in Öl, Salz und Kräutern eingelegt waren und in der Sonne mazerierten, wurde schon in der römischen Zeit im ganzen Mittelmeerbecken betrieben und brachte das berühmt-berüchtigte Garum hervor; eine Standard-Zutat nahezu aller erhaltenen römischen Rezepte.
Die Urform der Pizza
In Nizza hat sich diese Sitte über die Spätantike hinaus erhalten; hier bezeichnete man jene Mischung aus eingelegtem Fisch, Öl und Salz provenzalisch als pissalat (aus peis sala gebildet), woraus sich dann die Bezeichnung der Pissaladière bildete (im Dialekt der Gegend um Nizza Pissaladiero).
Übrigens – das sei hier noch abschließend erwähnt – besteht in dieser Hinsicht ein Streit mit dem italienischen Ligurien, wo ein ähnlich geartetes Rezept mit dem Namen Piscialandrea existiert, das aber noch Tomaten enthält und seinerseits beansprucht, der eigentliche Vorfahre der Pizza zu sein. Als Belgier erkenne ich hier natürlich den französischen Vorrang an und halte somit fest, dass Sie mit der Pissaladière gleichzeitig auch die Urform der Pizza kochen. Bon appétit!
Zutaten (für zwei Pizzaböden):
- 10 mittelgroße Zwiebeln
- Knoblauch (mindestens 6 Zehen)
- In Öl eingelegte gesalzene Sardellen
- Herbes de Provence, Kurkuma
- Schwarze Oliven
- Pizzateig
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Jetzt habe ich wirklich Hunger! Vielen Dank für dieses Rezept und die hinreißenden Bemerkungen dazu. Ich werde es ausprobieren!
Vielen Dank für das Rezept. Weihnachten mache ich mir diese Freude.
Und somit wäre der alte Streit um die Etymologie von "pizza" geklärt.
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