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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Staatliche Desinformanten

Die Schweizer Bundesverwaltung beschäftigt über 42.000 Menschen. Mindestens einer davon hat wohl den Auftrag, aufsehenerregende Beschlüsse in bestem Orwellschen Behörden-Sprech bis zur Harmlosigkeit zu verschleiern.

„Auslegeordnung zur Bedrohung der Schweiz durch Desinformationskampagnen“ nennt sich etwas sperrig ein aktueller Bericht, den der Bundesrat vor einigen Tagen veröffentlicht hat. Nicht ganz aus freien Stücken. Die sicherheitspolitische Kommission des Parlaments hatte ihn dazu verdonnert. Allerdings erfüllt die Landesregierung nicht jeden Auftrag mit gleich viel Herzblut. Hier war sie offensichtlich mit jeder Faser dabei und will alles geben, um sich gegen die Verwirrung der Bürger durch Fake News zu stemmen.

Anlass dazu gibt der aktuelle Krieg in der Ukraine. Die Schweiz fürchtet sich vor gezielten Desinformationskampagnen aus Russland. Eine weitere Gefahr wird in China verortet. Solche Länder, so die These, könnten die kleine Schweiz mit gut kostümiertem Unsinn fluten, den die Leute dann auch glauben. Da nütze es nicht mal etwas, dass die Schweizer ziemlich gut gebildet und ganz allgemein aufgeweckte Geister sind. Man muss also Gegensteuer geben.

Eine App für die Wahrheit

Konkret geplant ist eine App. Sie soll losgelöst von den bekannten Social-Media-Kanälen sein und damit unbeeinflussbar bleiben. So ist es ausgeschlossen, dass Putins Kohorten vor den Bildschirmen Lügen auf uns einprasseln lassen können. Einfach herunterladen, und schon steht man direkt vor den Toren zur Stadt der reinen Wahrheit.

Als Beispiel dafür wird ein möglicher Stromausfall genannt. Stellen wir uns vor, die braven Einwohner eines Stadtquartiers sitzen plötzlich im Dunkeln. Was für eine Steilvorlage für Diktatoren, die uns schlecht gesinnt sind! Sie könnten auf die Idee kommen, das Problem auf die Schweizer Regierung oder die Verwaltung zu schieben und so Misstrauen zu säen.

Das Problem ist nur: Was ist, wenn das Problem wirklich dort liegt? Wer sagt uns dann das? Der Staat in seiner App? Wohl kaum. Das liegt nicht in seinem Interesse.

Da sind wir schon mitten beim Problem, das staatliche Kampagnen gegen Desinformation verursachen. Sie richten sich nur gegen das, was der Staat nicht verbreitet haben will. Dazu zählen allerdings nicht nur inhaltlich falsche Aussagen. Sondern auch völlig korrekte, die aber gerade nicht in den Plan passen. Ähnliche Bestrebungen gibt es auch in Deutschland. Unter dem Vorwand des Schutzes der Demokratie wird alles ausgemerzt, was als Kritik an der Arbeit der Regierung ausgelegt werden kann.

Coronazeit als schlechtes Beispiel

Eine Anti-Desinformations-App des Staates ist in Wahrheit eine potenzielle Desinformations-App des Staates. Nur dass es sich eben um staatlich abgesegnete Fehlinformation handelt. Man stelle sich vor, eine solche App hätte es bereits während der Coronazeit gegeben. In hoher Kadenz wären wir damals mit Fake News beliefert worden wie diesen: Die Impfung ist risikofrei und wirksam, die Schließung von Schulen rettet Leben, alte Menschen sollen besser einsam sterben, als Besuch zu empfangen. Gleichzeitig hätte die App alles als Desinformation adressiert, was inzwischen erwiesen ist. Nämlich das Gegenteil des Behaupteten.

Den Staat zum Hüter der Wahrheit zu machen ist eine schlechte Idee. Er wird nämlich leider nicht gebildet von neutralen Außerirdischen, die rein rational handeln, sondern von Menschen, die eine bestimmte Agenda haben und diese durchsetzen wollen.

Meinungsfreiheit beinhaltet immer die Gefahr der Desinformation

Die Schwarmintelligenz der sozialen Medien ist sehr viel verlässlicher. Mit einzelnen Exponenten, gemäß denen die Erde flach ist und die Regierungen von Reptiloiden durchsetzt sind, können wir umgehen. Viel gefährlicher sind von den Bürgern selbst bezahlte staatliche „Wahrheits-Ministerien“. Sie gaukeln wohlmeinende Unabhängigkeit vor, dienen aber nur zum Erhalt der eigenen Macht. Dort, wo diese von Tatsachen bedroht ist, werden diese nicht mehr bis zu uns vordringen.

Der beste Schutz gegen echte Desinformation ist die Fähigkeit, Quellen zu bewerten und Aussagen ergebnisoffen zu vergleichen. Nur hat der Staat in den letzten Jahren alles getan, damit diese Kompetenz abhandenkommt. Plötzlich galt sogar, dass man wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mehr überprüfen darf. Den Höhepunkt bildete eine Kampagne des Bundesamts für Gesundheit, die auf Plakaten zum Gehorsam gegenüber den Coronamaßnahmen aufrief mit dem Slogan: „Mach’s einfach!“ Wer aber „einfach macht“ ohne nachzudenken, wird das erste Opfer von Lügen sein.

Meinungsfreiheit beinhaltet immer die Gefahr der Desinformation. Wer sie gänzlich verbannen will, verbannt die Meinungsfreiheit an sich. 

 

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